Interview mit Erik Spiekermann

"Lipstick on a pig? Das funktioniert nicht"

11. Juni 2015
von Börsenblatt
Ein Objekt, das alle seine Vorteile ausspielt: Der Schriftgestalter und Grafikdesigner Erik Spiekermann über Buchgestaltung in digitalen Zeiten.

Erik Spiekermann (68) ist einer der bekanntesten Grafikdesigner weltweit. Der Gründer von FontShop, dem ersten Versandgeschäft für Computerschriften, und Namensgeber der Agentur Edenspiekermann repräsentiert deutsche Schriftgestaltung und Markenführung wie kein zweiter - vom Auftritt der Deutschen Bahn über Kampagnen für Audi, Volkswagen oder Nokia bis zum Relaunch des „Economist“. Und die Bücher? Betritt man sein Townhouse in Berlin-Mitte, bleibt der Blick sofort am zweistöckigen Bücherregal hängen, randvoll mit Design- und Typografie-Preziosen: Spiekermann hat es mit Flaschenzug und „Fensterputzersitz“ ausgestattet, um in die oberen Sektionen zu gelangen. Obwohl Spiekermann Erscheinungsbilder, etwa für Birkhäuser oder den wissenschaftlichen Springer Verlag erarbeitete, hat er bislang eher nur wenige Bücher gestaltet. In diesem Frühjahr hat er, unterstützt von Herstellerin Renate Stefan, dem Jubiläumsprogramm des Secession Verlags das Gesicht gegeben – Anlass, mit dem Designer über das zu sprechen, was er „die Essenz typografischen Gestaltens“ nennt. Dass wir irgendwann bei den Irrwegen zeitgenössischen Auto-Designs landen (der RO 80 NSU mit Wankelmotor in seiner Garage hat 360.000 km auf dem Tacho), ist fast schon zwangsläufig. Wie formulierte Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Spiekermann ist der lebende Beweis für dieses Axiom. 

Gemessen an Ihrem Output haben Sie relativ selten Bücher gestaltet – ist das etwas Besonderes für Sie, noch immer?
Sicher. Zum einen entwickelt man zu Büchern eine Beziehung, im Gegensatz zu anderen Gegenständen. Messer, Löffel, selbst Möbel wirft man schon mal weg – Bücher nicht. Sie haben einen viel höheren emotionalen Wert. Zum zweiten habe ich mich immer schon darüber geärgert, dass Bücher oft nur von außen gestaltet werden. Über der Verpackung wird der Inhalt vernachlässigt, auch von guten Verlagen, von großen Verlagen. Dabei gibt es dafür keinen Grund. Ein gut gesetztes Buch ist ja nicht unbedingt teurer als ein schlecht gesetztes: Gleicher Verbrauch an Papier, an Farbe - man benötigt nur ein bisschen mehr Gehirnschmalz, und der kostet im Allgemeinen gar nichts. Am Ende ist Buchgestaltung die kompakteste Gestaltungsaufgabe, die man überhaupt haben kann. Wenn Sie so wollen: Die Essenz der Arbeit eines typografischen Gestalters. Kleiner geht es nicht.

Hatten Sie bei der Zusammenarbeit mit Secession Card blanche?
Selbst wenn es diese Karte gäbe, würde ich sie nicht ziehen. Das wäre arrogant, ich gestalte ja nicht im luftleeren Raum. Es gibt bestimmte Parameter, etwa ein Budget, das nicht nach oben offen ist. Man kann also nicht prägen, lochen, stanzen und Goldkram machen, selbst wenn man's wollte... Dann gibt es den Inhalt, für mich der wunderbarste Teil: Ich bin gezwungen, statt Fachliteratur endlich mal wieder Belletristik zu lesen - was ich sonst relativ wenig tue. Und dann geht’s darum, dem Text das entsprechende Kleid geben. Ich arbeite ja als Übermittler, ich muss den Text nicht unbedingt interpretieren, sondern einfach nur darstellen – das aber angemessen! Ich darf mich nicht zwischen Leser und Autor drängen.

Schießen bei der Arbeit an belletristischen Büchern andere Synapsen zusammen?
Man hat mehr Interpretationsspielraum – im Guten wie im Schlechten. Man kann leicht daneben liegen. Bei Literatur dreht sich vieles um Emotionen. Wie soll man einen Begriff wie "Hingabe" (Titel des Romans von Giorgio Chiesura) visualisieren? Schrift hat den großen Vorteil, dass sie konkret ist: Ein Wort ist ein Wort ist ein Wort. Es kann aber auch ein Bild sein. Mit einer rein typografischen Cover-Lösung habe ich den Vorteil von beidem: Illustration, die sich selber erklärt! Wie würden wir "Hingabe" mit einem Foto illustrieren? Da können wir drei Tage diskutieren und dann 400 Euro Lizenz für ein Bild zahlen, was manche Leute kitschig finden. Eine Gefälligkeits-Lösung, die meist in der Sackgasse endet.

Oft stirbt ein aus dem Rahmen fallendes Cover ja auf der Vertreterkonferenz, nach dem Motto: Das nimmt uns der Buchhandel nicht ab...
Ich kenne das, wie wahrscheinlich jeder Verlag. Man muss auf die Argumente eingehen. Andererseits: Wenn man nicht gegenhält, entsteht nie etwas Neues. Ich kann mich noch gut an die Aufregung erinnern, als dtv in den 1960er Jahren mit den Covern von Celestino Piatti herauskam: Ein Riesen-Skandal! Alle sagten: Weiße Bücher, um Gottes Willen! Der Buchhändler fasst die nicht an. Die haben Millionen davon bestellt! Weil es neu war, frisch, anders. Und weil es auch physisch machbar war mit der Glanzfolienkaschierung.

Kann gute Typografie ein schlechtes Buch retten?
Das glaub' ich nicht. Lipstick on a pig, wie die Amerikaner sagen? Das funktioniert nicht. Vielleicht noch am ehesten in der boomenden Sparte der Betroffenheits- und Selbsthilfe-Literatur. Mit einer Mogelpackung lässt sich da sicher manches leichter verdauen. Aber das ist nicht mein Ding.

Wie wichtig ist gute Buchgestaltung in Zeiten der Digitalisierung?
Ich denke, dass das Taschenbuch nicht mehr so fürchterlich viel Zukunft haben wird - und weine dem auch nicht nach. Für Texte, die schnell und rückstandsfrei konsumiert werden, muss man keine Bäume fällen. Auf dem Tablet lassen sich natürlich wunderbar wissenschaftliche Bücher lesen, man kann annotieren, suchen, mit ihnen umgehen. Gerade deswegen wird das gedruckte Buch aber nur dann eine Chance haben, wenn es ordentlich gestaltet ist. Ein Objekt, das alle seine Vorteile ausspielt: Ich kann auch mal drei Seiten überspringen, und weiß trotzdem immer, wo ich gewesen bin. Ich kann Eselsohren reinmachen. Wenn ich vor dem Regal stehe, weiß ich, ob ich nach dem blauen, roten oder braunen Buch suchen muss.

Das dauert bei Ihnen sicher etwas länger. Wo kaufen sie ein?
Grundsätzlich nicht bei Amazon, das ist mir wichtig. Hier in Berlin gehe ich hin und wieder in die Buchhandlung im Aufbau Haus. Und ich kaufe viel im Bücherbogen. Wenn ich da reinkomme, haben die schon einen Stapel für mich liegen; Titel, von denen sie annehmen, dass sie mich interessieren. Tun sie auch meistens, das ist das Problem (lacht). Meine einzige Ausrede: Ich bin mit dem Rennrad da, ich habe keinen Gepäckträger. Aber dann schicken sie's mir nach...

Also wird es hier langsam ein bisschen eng?
Mein Problem ist schlicht der physische Platz. Ich habe hier noch einen Lagerraum, einen Keller - alles voller Bücher. Deswegen sind diese leider sehr raren Momente die schönsten, wenn ich nach einem Buch suche - und drei andere finde, von denen ich nicht mehr wusste, dass ich sie hatte. Das Finden ist schön, nicht das Suchen.

Nach dem Abschied vom operativen Geschäft haben Sie sich in der Potsdamer Straße eine Druckwerkstatt eingerichtet. Eine Art Gegenbewegung in Zeiten von Bits und Bytes? Oder back to the roots?
Ein bisschen Nostalgie ist schon im Spiel, die Lust am Früheren, am nicht zu Ende geführten Jugendwerk (lacht). Ich hatte Ende der 60er schon einmal eine Druckwerkstatt, in der ich für Künstler und kleine Gewerbe arbeitete. Damals wurden einem Schriften und Technik ja förmlich nachgeschmissen. Ich bin mit den Kumpels und einem gelben, ausgedienten Post-Laster losgezogen und habe mich eingedeckt. 1977 ist die Werkstatt abgebrannt. 1985 habe ich dann meinen ersten Macintosh gehabt – und bin im Grunde 30 Jahre am Bildschirm gesessen. Insofern trifft das Bild von der Gegenbewegung.

Es gibt sie noch, die guten Dinge...
Man muss ja nicht gleich sein eigenes Brot backen oder Schuhe schnitzen. Aber wieder mal was in die Hand nehmen... Warum nicht? Wir sind ja schließlich aus Atomen und nicht aus Bits zusammengesetzt.

Die Arbeit am Rechner fühlt sich anders an als am Setzkasten Hand anzulegen?
Es ist im Grunde wie Kochen ohne Wasser. Ich merke es an den Reaktionen der Kollegen, die in die Werkstatt kommen: Lego spielen, die Finger schmutzig machen, das mag jeder. Das ist ein bisschen wie Backe-backe-Kuchen, nur hier eben mit Blei und Schrift. Aber es ist auch ein verrücktes Erlebnis: Mein Gott, Schrift kann man ja anfassen! Das ist nicht nur etwas Virtuelles, das auf dem Bildschirm erscheint und dann, pure Magie, auf dem Papier. Das beeinflusst auch meine Art zu gestalten, es macht mich disziplinierter. Jeder Architekt kennt den Unterschied zwischen einer Entwurfszeichnung und dem Bau eines Modells.

Was entsteht in der Werkstatt? Sicher nicht nur Briefpapier für Nostalgiker?
Man sollte die Renaissance des Haptischen nicht abtun. Ich glaube durchaus - und ich rede da auch mit Verlagen drüber - dass man wieder Bücher im Buchdruck machen kann. Aber nicht, wie Greno das damals mit der „Anderen Bibliothek“ getan hat, mit der Monotype und in Blei - das ist viel zu umständlich und zu teuer. Inzwischen lässt sich, etwa mit dem Nyloprint-Verfahren, eine ganze Druckform auch vom Computer herstellen. Und dann im Heidelberger Zylinder drucken – mit richtiger Farbe, richtigem Fett. Für kleinere Auflagen ist das, glaube ich, wieder konkurrenzfähig. Im Moment tüfteln wir an dieser Schnittstelle zwischen alten Druckverfahren und den Werkzeugen der digitalen Welt.

Wie oft sind sie in der Werkstatt?
Nicht so oft, wie ich möchte. Eigentlich will ich da jeden Tag sein...

Pures Vergnügen?
Ja, eigentlich schon. Im Augenblick ist es noch ein Hobby. Ich muss jetzt langsam daran denken, über Workshops und ein paar Plakatverkäufe zumindest die Kosten wieder einzuspielen.

Interview: Nils Kahlefendt

Im Gestalten Verlag liegt ein Band über den Werdegang und das Werk des Designers, Typografen und Unternehmers vor:

Johannes Erler: Hallo, ich bin Erik. Erik Spiekermann: Schriftgestalter, Designer, Unternehmer. Gestalten Verlag 2014, 320 S., 45 Euro.

Einen Lesetipp zu dem Buch finden Sie auf boersenblatt.net: Nicht ärgern –ändern!