Interview mit John von Düffel

"Adaptionen sind keine Reader’s Digest-Version in Bildern"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Schriftsteller und Dramaturg John von Düffel über Roman-Bearbeitungen auf der Bühne und das Theater als "Umschlagplatz" für gute Geschichten.

Herr von Düffel, kann die Bühne mit der Phantasie eines Romanlesers überhaupt mithalten?
 Es geht natürlich in keinster Weise ums Nacherzählen! Der Unmut über Romanbearbeitungen auf der Bühne entsteht oft aus einer Art Vergleich mit dem Leseerlebnis. Der Zweck einer Bearbeitung ist jedoch nicht, das Lese-Erlebnis zu ersetzen. Sie ist vor allem der Versuch, eine spezielle Lesart zu entwickeln: Eine dramatische Lesart eines Buches, in der natürlich vieles wegfällt - das muss man ganz offen sagen. Aber man kann dadurch auch einiges schärfen, zuspitzen. Das ist sicher eine Qualität, die jede Romanbearbeitung hat - wenn sie denn von einem richtigen Zugriff, einem guten Gedanken geleitet ist: Einem Blick auf den Stoff, auf den Text, der in einen Kern trifft.

Es sollte nicht um bebilderte Inhaltsangaben gehen...
Es ist keine Reader’s Digest-Version in Bildern. Und es rivalisiert auch nicht mit dem Lese-Erlebnis. Jedes Theaterstück, das wir heute spielen - sei es aus dem Kanon, aus dem Repertoire der alten Stücke, sei es ein zeitgenössisches Stück - stellt die Frage: Was geht es uns jetzt an? Von dieser Relevanz-Frage ist das Theater im Betrachten eines Romans viel mehr geleitet als ein Leser, der jeden denkbar möglichen Zugriff auf einen Stoff wählen kann. Das Theater behauptet einen Zugriff. Das ist eine besondere Art, auf einen Text zu schauen, ihn zum Leben zu erwecken.

Wenn man einen Roman auf die Bühne bringt, weiß man, dass die Landschaftsbeschreibung von drei Seiten nicht in dieser Form vorkommen wird. Aber man weiß auch, dass eine sehr heftige Begegnung der Protagonisten, ein aufgeladener Konflikt, auf der Bühne eine Kraft entfesseln, eine Energie heraufbeschwören kann, die diese Figuren vielleicht noch einmal ganz anders erlebbar macht.

Worin liegt für Sie der Reiz, sich auf eine Romanbearbeitung einzulassen?
Das Großartige ist, dass man in einem Roman immer eine ganze Welt hat: Die Welt einer Sprache, von Figuren einer bestimmten Zeit. Und man ist im Blick eines Autors, einer Autorin unterwegs. Das ist ein großer Reichtum, mit dem man umgeht. Darüber hinaus ist es natürlich auch eine sehr intime Begegnung mit der Textur eines Romans. Weil man in der Arbeit mit dem Text, in dem Versuch, Zuspitzungen zu finden, einen Zugriff zu entwickeln, die Figuren als Theaterfiguren neu denken und entwickeln muss. Und es ist natürlich ein Umgehen mit Giganten der Literaturgeschichte: Mitunter steht man auf sehr, sehr hohen Schultern

Im Fall von Thomas Mann eine ziemlich sportliche Herausforderung...
Es ist eine - salopp gesagt - enorme kollegiale Begegnung: Weil man mit dem Text ja dann auch bis zur Premiere umgeht, und durch die Arbeit mit den Schauspielern und dem Regisseur dieser Text gewissermaßen zum eigenen Text der Aufführung wird. Das ist auch ein Verwandlungsprozess, bei dem es zu ganz überraschenden Erkenntnissen kommt. Man weiß nicht alles, vorher.

Ein Abenteuer?
Auf jeden Fall. Es ist eine Entdeckungsreise. Während der Bearbeitung der "Buddenbrooks" für Stephan Kimmigs Inszenierung am Hamburger Thalia Theater, die 2005 so etwas wie eine Initialzündung für die Welle der Roman-Adaptionen auf deutschen Bühnen war, hat man mich oft gefragt: Wie hältst Du's mit der Ironie? Die lässt sich, wenn man nicht Anton Tschechow ist, nicht so einfach herstellen. Die große Entdeckung bei der Arbeit war, dass die Ironie tatsächlich verschwunden ist in der direkten Auseinandersetzung mit diesen Figuren und ihrer Geschichte. Aber es ist etwas ebenso Wichtiges an deren Stelle getreten: der Schmerz.

Wie schmerzlich, wie wund, angreifbar und verletzlich diese Geschichte ist, die Thomas Mann erzählt - und wie nahe sie ihm eigentlich ist als Familiengeschichte: Das erzählt sich, glaube ich, auf der Bühne, ohne diesen souveränen, Distanz schaffenden Schutz der Ironie, auf sehr leibhaftig-sinnliche Weise. Man opfert dabei nicht seinen Intellekt. Aber man erlebt die Konflikthaltigkeit und Abgründigkeit des Materials viel stärker als beim Lesen - wo man sich immer noch ein wenig ohrensesselhaft sicher fühlt. Das ist für mich ein Beispiel dafür, wie ein Bühnenerlebnis eines Romans neue Räume öffnet. Das Theater ist absoluter Nahkampf.

Welche Romanstoffe interessieren Sie und Ihre Kollegen besonders? Sind Buch-Bestseller per sé bühnentauglich?
Jede Romanbearbeitung muss sich selber legitimieren. Jede Arbeit muss sich fragen lassen, warum sie hier, an diesem konkreten Ort, vor diesem Publikum, mit diesem Ensemble stattfinden soll und muss.

Also nicht: Deutscher Buchpreis - das machen wir?
So sieht es manchmal aus. Ich will nicht verhehlen, dass ich Uwe Tellkamps "Turm" bearbeitet habe, die Potsdamer Inszenierung gehört dort zu den größten Theatererfolgen. Mit gutem Grund: Weil da eine Geschichte erzählt wird, die die Leute angeht. Die Relevanz-Frage stellt sich bei Theater immer sehr direkt. Man spürt die mit den Füßen scharrenden 400, 500 Zuschauer, die wissen wollen: Warum muss ich mir das ankucken, was sagt mir das heute? Wie bewegt es mich? Der Anspruch an eine Form von Dringlichkeit ist bei Theater höher als bei der Romanlektüre, die einem eine größere Gelassenheit, etwas Flanierendes, Assoziatives erlaubt. Theater ist eher gezwungen, auf den Punkt zu kommen.

Bühnenadaptionen von Romanen sind fast zu einem neuen Genre geworden. Fehlen den Theatern eigenständige Autoren mit originären dramatischen Angeboten?
Was Romanbearbeitungen und zeitgenössische Dramatik angeht, gibt es keine Entweder-Oder-Position. Natürlich geht die Sehnsucht immer nach dem großen Gegenwartsstück, nach der großen Gegenwartsbetrachtung. Es gibt Autorinnen und Autoren wie Dea Loher oder Roland Schimmelpfennig, die auf der Großen Bühne den Saal bewegen können. Davon gibt es allerdings nicht sehr viele. Die Bearbeitung der "Buddenbrooks" oder von Tellkamps "Turm" verdrängt nicht den Newcomer, der häufig auf der Studiobühne stattfindet. Im großen Haus ist es eher ein Angebot zusätzlich zum Kanon.

Allerdings ist dieser Kanon recht schmal: Das sind die Best-of-Shakespeare-Stücke, Schiller, in letzter Zeit kommt die Antike sehr stark zurück. Dann ist man schnell bei Gerhard Hauptmann, Brecht, Heiner Müller. Und dann ist man, zugespitzt, schnell in der Gegenwart. Aber das ist nur ein Aspekt. Wichtiger scheint mir, dass das Theater an Mitteln und Möglichkeiten gewonnen hat. Man sagt zwar immer "Dramatisierung" - aber es muss heute ja nicht jeder Theaterabend auf eine Situation zurückgeführt werden, in der zwei Figuren Dialog haben. In unseren postdramatischen Zeiten sind die Freiheiten des Theaters sehr viel größer geworden, das Formenspektrum hat sich enorm erweitert. Zum anderen war das Theater schon immer ein Transformationsraum von Geschichten, eine Art "Umschlagplatz", wo auf Vorhandenes noch mal neu und zugespitzt geschaut wird. 

Das Theater bearbeitet immer?
 Ich habe gerade die "Don Carlos"-Fassung für eine Inszenierung am Deutschen Theater fertig - an der habe ich länger gesessen als an so mancher Romanbearbeitung. Und da sagt keiner: Aber das ist ja bearbeitet! (lacht) Auch bei Shakespeare würde sich keiner aufregen. Theater ist immer ein zugreifendes Medium.

Zur Person:
John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, war nach seinen Studium der Philosophie und Volkswirtschaft in Stirling (Schottland) und Freiburg/Breisgau ab 1991 als Dramaturg und Autor tätig, an Theatern in Stendal, Oldenburg, Basel und Bonn.

Von 2000 bis 2009 arbeitete er als Schauspieldramaturg am Hamburger Thalia Theater, seit Sommer 2009 ist er Dramaturg am Deutschen Theater (Berlin). Für seinen Debütroman "Vom Wasser" (DuMont, 1998) erhielt von Düffel unter anderem den Aspekte Literaturpreis des ZDF. Neben weiteren Romanen, Essays und Erzählbänden schrieb von Düffel Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Große Wirkung erzielte John von Düffel mit Romanbearbeitungen für die Bühne, unter anderem "Buddenbrooks" (Uraufführung 2005, Thalia Theater Hamburg), "Joseph und seine Brüder" (Uraufführung 2008, Schauspielhaus Düsseldorf).