Interview mit Nina Hugendubel

"Wir sind in Aufbruchstimmung"

20. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Hugendubel hat harte Zeiten hinter sich. Wieder in Familienbesitz, hat das Unternehmen nun alle Weichen für die Zukunft gestellt – für einen Buchhandel, der Shopping-Erlebnisse auf allen Kanälen bieten will. Ein Interview mit Nina Hugendubel über das neue alte Geschäftsmodell.

Das letzte Jahr war für Hugendubel nicht leicht: die Herauslösung aus der DBH, die Finanzspritze durch die Kirchen, der Übergang in Familienhand. Wie haben Sie die Zeit überstanden? Sehr gut. Wir sind solide finanziert, können investieren – das letzte Jahr ist Geschichte. Nun sind wir gut aufgestellt, um positiv in die Zukunft zu gehen. Im Augenblick ist alles im grünen Bereich, läuft zur Zufriedenheit der Banken. Wir haben 2014 sogar besser als die Branche abgeschlossen, bei der es ja einen Rückgang von rund zwei Prozent gab. Das ist natürlich sehr erfreulich.

Woher kommt es, dass Sie die Verwerfungen ohne größere Blessuren überstanden haben? Das Wesentliche ist, dass unser Geschäftsmodell funktioniert. Wir haben die Grundlagen gelegt, unser Haus ist fertig gebaut. Es verfügt über verschiedene Stockwerke: Filialen, Tolino, Hugendubel Fachinformatio­nen, hugendubel.de und ebook.de. Jetzt geht es darum, die Stockwerke mit­einander zu verbinden und durchlässig zu machen. Den Kunden müssen wir zeigen, dass sie, wenn es ums Buch geht, immer zu Hugendubel gehen können. Dort erhalten sie alles aus einer Hand.

Mit Stephan Roppel haben Sie sich einen ausgewiesenen Digitalexperten ins Haus geholt, der nun auch in die Geschäftsführung berufen wurde. Welches Eisen soll er schmieden? Stephan Roppels Hauptaufgabe ist es, genau diese Verzahnung zwischen den verschiedenen Kanälen voranzutreiben. Seine Bereiche, das Online- und Digitalgeschäft, CRM sowie das Servicecenter, sollen mehr Durchschlagskraft erhalten, es soll ein anderer Druck auf das Thema kommen. Es gilt, für die Kunden die beste Welt zu schaffen.

Mit der Übernahme von ebook.de haben Sie viel technisches Know-how eingekauft. Zu welchem Zweck? Wir wollen hugendubel.de weiterent­wickeln und nach einigen Jahren auf anderen Plattformen sind wir froh, es endlich wieder in eigenen Händen zu halten. Das ebook.de-Team in Hamburg um Per Dalheimer wird hugendubel.de mitbetreuen, es wird eine enge Abstimmung mit München geben. Außerdem haben wir mit ebook.de eine starke Marke im E-Book-Geschäft erworben.

Wenn es um den Tolino geht, ebenfalls ein digitales Standbein von Hugen­dubel, bekommen die Mitglieder der Allianz glänzende Augen. Sie auch? Klar. Wir haben es mit der Tolino-­Allianz geschafft, eine Alternative zu Amazon aufzubauen – als einziger Verbund weltweit. Darauf sind wir stolz und wir freuen uns, dass die Internationalisierung voranschreitet. Wir profitieren dabei sehr von dem technischen Know-how, das die Telekom einbringt. Und auch mit dem Tolino Selfpublishing haben wir jetzt erst kürzlich einen ganz neuen Zweig aufgebaut, der sehr positive Reaktionen bei den Autoren und Lesern hervorruft.

Hugendubel Fachinformationen (HFI), ebenfalls Säule des Hauses Hugen­dubel, ist für Sie noch ein junges Geschäftsfeld. Wie schlägt es sich? Wir bauen das B2B-Geschäft gerade aus und haben viel gelernt durch die Übernahme von Habel und Weiland. Beide Unternehmen hatten auf diesem Gebiet mehr Erfahrung als wir. Auch wenn der Wettbewerb groß ist, haben wir die Systeme und die IT weiterent­wickelt und sind mit den Fachinformationen deutschlandweit aktiv. Es ist schön zu sehen, dass das, was wir in den vergangenen Jahren vorbereitet haben, auch funktioniert.

Hugendubel hat sich stark gewandelt in den letzten Jahren und steht damit in der Branche nicht allein da. Wie vermitteln Sie den Change-Prozess nach innen, an Ihre Mitarbeiter? Wir sind sehr stolz auf unsere Mitarbeiter und dankbar dafür, wie stark sie uns in diesem Veränderungsprozess unterstützen und den Wandel für Hugendubels Zukunft mittragen.

Wir haben bis jetzt viel über Digitales gesprochen. Wie wichtig ist für Sie (noch) das stationäre Geschäft? Das stationäre Geschäft ist nach wie vor die Basis unseres Handelns und wird es auch bleiben. Das gilt für jeden Händler, der ernsthaft Multichannel betreiben möchte. Die Läden sind der wichtigste Ankerpunkt, weil man dort die Kunden direkt erreicht. Wenn die Menschen durch die Stadt laufen, ist es sehr wichtig, dass man mit der Marke präsent ist. Wir müssen es schaffen, die Kunden so zu begeistern, dass sie an einem Shoppingtag am liebsten in die Buchhandlung gehen. Und wir müssen dafür sorgen, dass sie bei uns jedes Mal wieder etwas Neues entdecken. Dazu gehört, dass man sie anspricht, ihnen Türen öffnet und sie mit anderen Ideen an das Buch heranführt, als nur zu sagen: »Komm herein, wir haben hier ganz viele Bücher, schau, ob eins für dich dabei ist.« Das alles ist eine spannende und tolle Herausforderung.

Um diese Herausforderung zu bewältigen, folgen Sie bereits seit einiger Zeit der Maxime, dass sich Buchhandel optimal auf einer Fläche zwischen 300 und 500 Quadratmetern betreiben lässt. Bewährt sich das? Ja, denn wir können in unseren Filialen zeigen, was wir richtig gut machen: das Vorsortieren, den Kunden die beste Auswahl bieten, nicht die größte. Auf den kleineren Flächen wird es für Kunden und Mitarbeiter viel spannender, weil der Wechsel intensiver ist. Wir präsentieren stetig neue Produkte. Es ent­wickelt sich eine ganz andere Dynamik, die optimal zu den Kunden von heute passt. Der Longtail steht durch die Kataloge oder das Internet zur Verfügung. Über die Beratung begeistern wir die Kunden für das Buch, denn wir nehmen uns mehr Zeit für sie. Dies wird möglich, weil wir andere Dinge, mit denen sich unsere Mitarbeiter in der Vergangenheit beschäftigt haben, anders organisieren.

Wie schaffen Sie den Freiraum, den Ihre Buchhändler für die zusätzliche Zeit mit den Kunden brauchen? Wir bauen beispielsweise unser zentrales Sortimentsmanagement mit neuen Bereichen aus. Dazu haben wir auch neue Sortimentsmanager eingestellt, die hier in München sitzen. Sie wählen gemeinsam mit den Verlagen die wichtigsten Titel aus, sodass sich die Buchhändler vor Ort darum gar nicht mehr kümmern müssen. Diese können sich mit ihren regionalen Spezialitäten befassen und schauen, was der Kunde vor Ort haben möchte. Ich denke, dass Regionalität im Handel immer wichtiger wird. Früher haben die Mitarbeiter oft mit dem Rücken zum Kunden gestanden, da sie Regale aufgefüllt haben oder Ähnliches. Das passiert heute während der Öffnungszeiten nicht mehr. Die Sortimenter zeigen sich gesprächsbereit. Das ist unser großes Potenzial im Vergleich zum Internet. Wenn man das Beste daraus macht, hat man gute Chancen.

Die Verlage finden es sicher weniger gut, wenn Hugendubel ihre Titel nur kurz im Laden präsentiert und sich die Umschlagsgeschwindigkeit noch weiter erhöht …
Wir erhalten von den Verlagen das Feedback, dass sie daraus wichtige Schlüsse ziehen. Sie haben viel schneller eine Rückmeldung darüber, welche Titel gehen und welche nicht. So gilt es, schon früher zusammenzuarbeiten, auf bestimmte Titel und Themen zu setzen. Die Zusammen­arbeit mit den Verlagen ist in den vergangenen Jahren ohnehin erfreulicherweise immer intensiver und enger geworden. Wir wollen die Kooperationen noch verstärken und freuen uns über die positiven Reaktionen und vielen Impulse seitens der Verlage.

Wird sich die Branche auf lange Sicht noch Großbuchhandlungen in 1-a-Lagen leisten können?
Die Toplagen sind sehr teuer. Zugleich sind sie für die Sichtbarkeit des Buchs in den Städten unersetzlich.  Wir alle – Buchhandel und Verlage – merken, dass es schwieriger werden würde, wenn Bücher aus den Innenstädten verschwänden. Genau deshalb arbeiten wir heute enger zusammen. Die Kunden gehen nicht noch dreimal um die Ecke, wenn sie ein Buch kaufen wollen. Wir dürfen nicht in die Randlagen gehen, sonst wird vielleicht das Buch auch irgendwann zu einer Randerscheinung.

Am Filialnetz von Hugendubel mit derzeit rund 90 Geschäften haben Sie 2014 ständig geknüpft, es gab Schließungen, Verkleinerungen, auch Neueröffnungen. Wohin geht die Reise?
Wir haben vieles gemacht, alle denkbaren Formen waren dabei. Nun sind wir im Großen und Ganzen fertig. Aber: Es wird bei uns immer Bewegung geben, denn Handel ist Wandel. Es verändert sich permanent etwas, die Kunden, die Konkurrenz, die Kanäle. Unsere Aufgabe ist es, die Gegebenheiten früh zu erkennen und darauf zu reagieren, sie vielleicht vorwegzunehmen, wenn das möglich ist. Hugendubel ist ein lebendes, atmendes System.

Spielen große Buchkaufhäuser für Sie noch eine bedeutende Rolle?
Auf jeden Fall. Wir haben gerade die Mietverträge für viele große Flächen verlängert, um zehn Jahre, teilweise auch mit Option auf 15 Jahre. Das ist ganz wichtig für uns. Mit den großen Häusern können wir die ganze Bandbreite zeigen. Es sind Leuchttürme, die auch überregional strahlen. Die braucht man nicht mehr überall heutzutage, aber an einigen Stand­orten gibt es die Berechtigung für sie. Wenn sich irgendwo die passende Gelegenheit bietet, machen wir auch wieder ein Flaggschiff auf, aber im Moment gibt es unserer Auffassung nach keine Stadt, die ein großes Buchkaufhaus brauchen könnte und noch keins hat.

Bastei Lübbe hat die Preise für ausgewählte Bücher erhöht und erntet dafür in der Branche viel Beifall. Applaudieren auch Sie?
Auf jeden Fall. Wir finden es toll, was Bastei Lübbe macht. Es ist ein mutiger Schritt. Wir sind überzeugt, dass höhere Preise auch durchsetzbar sind. Wir in der Branche können uns ruhig mehr zutrauen und mehr ausprobieren, denn wir sollten unsere Produkte nicht unter Wert verkaufen. Allerdings funktionieren höhere Preise nicht bei allen Büchern. Es gibt gewisse Preisschwellen, die man im Blick haben muss. Und es gilt zu unterscheiden: Ist es ein Zielkauf, dann gelten sicher andere Werte als beim Mitnahme­artikel oder Spontankauf zur schnellen Unterhaltung. Ich erinnere mich an eine Überreizung bei den Preisen: der letzte Band von »Harry Potter«, der 28 Euro kostete. Da kamen die Kunden im Vergleich zu den Vorgängerbänden mit 19 Euro schon sehr ins Grübeln.

Axel-Springer-Manager Christoph Keese hat den Vorschlag gemacht, die Preisbindung nach oben zu öffnen. Was halten Sie von dieser Idee?
Unserer Meinung nach führt sie nicht in die richtige Richtung. Wir sind überzeugt, dass die Preisbindung gut und richtig ist, so wie sie ist. Des­wegen geht es der Branche noch so, wie es ihr geht, trotz aller Heraus­forderungen. Die Preisbindung erhält die Vielfalt, da wären Mindestpreise ein falsches Signal.

Mit welchen Gefühlen betrachten Sie die Entwicklung bei Ihrem ehemaligen Partner Weltbild beziehungsweise auch bei Lesensart?
Wir äußern uns nicht zu Wettbewerbern – und Tolino-Partnern.

Wie sieht nach Ihrer Einschätzung der stationäre Buchhandel in fünf Jahren aus?
Gar nicht so viel anders als jetzt. Es wird immer noch viele Buchhandlungen geben, vielleicht mit anderen Konzepten. Wichtig ist und bleibt ein enger Austausch mit den Kunden, um zu sehen, wohin die Reise geht. Heute sind wir davon überzeugt, dass unsere Kunden einerseits Orientierung suchen, andererseits in ihrer Mobilität abgeholt werden wollen. Deshalb setzen wir für die kommenden Jahre auf beste Beratung, beste Auswahl und die Verzahnung aller Kanäle.

Hugendubel ist seit rund eineinhalb Jahren wieder in Familienhand. Ihre Zwischenbilanz?
Es ist für meinen Bruder und mich sehr schön, wieder eigenständig zu sein und selbstständig zu agieren. Zudem ist es eine große Ehre und Freude, diesen momentanen Wandel gestalten zu dürfen. Wir haben vieles neu sortiert, uns personell verstärkt – wir sind jetzt in Aufbruchstimmung und denken dabei offen und kooperativ in alle Richtungen. Sei es mit Verlagen, mit Wettbewerbern oder mit Vermietern – jetzt ist die Zeit der Ko­operationen. Und das ist toll!

Interview: Christina Schulte