Renate Reichstein zur Eröffnung der Jugendbuchmesse in Bologna

Verlage müssen umdenken

4. April 2016
von Börsenblatt
Für die deutschen Aussteller wurde die 53. Internationale Jugendbuchmesse in Bologna schon Sonntag Abend beim Empfang der avj (Arbeitsgemeinschaft der Jugendbuchverlage) eröffnet. „Deutschland als Gastland ist etwas ganz Besonderes“, freute sich die avj-Vorsitzende Renate Reichstein, die ihre Verlagskollegen warnte: „So weitermachen wie bisher geht nicht.“ Kurze Zeit später wurde die sehenswerte Retrospektive der „Tollen Hefte“ eröffnet.

Auf dem Messegelände hatten die Standbauer noch alle Hände voll zu tun, um aus vielen Pappröhren Wände zu errichten, an denen die Originale von 30 Illustratoren hängen. Früher anfangen konnten die Aktiven nicht, da die Aussteller der vorangegangenen Begräbnis- und Bestattermesse noch mit Abbauen beschäftigt waren. Dennoch: Alle sind zuversichtlich, dass Montag Vormittag das Band zum Gastlandauftritt mit der großen Illustratorenschau vom italienischen Kulturminister Dario Franceschini zerschnitten werden kann.

Am Abend machten zwei Soldaten mit Maschinengewehren vor dem Eingang des Istituto di Cultura Germanica deutlich, dass ausländische Einrichtungen derzeit besonders geschützt werden. Drinnen herrschte drängende Enge und großes Hallo; rund 200 Gäste aus der Jugendbuchszene tauschten sich aus und nutzten bei schönem Wetter auch den Garten zu Gesprächen. Avj-Vorsitzende Renate Reichstein begrüßte in diesem Jahr besonders viele Illustratoren, die auch in der Illustratorenschau oder bei den für ein Kinderhospiz zu versteigernden Apfelbäumchen vertreten sind. In ihrer Rede stellte Reichstein die Jugendlichen in den Mittelpunkt, die mit G8, schulischem Leistungsdruck, ehrgeizigen Eltern, Musik, Sport und Freunden alle Hände voll zu tun hätten – „da bleibt nicht mehr viel Zeit für Bücher.“ Dann gebe es ja noch die Smart Devices, von denen auch die Erwachsenen wüssten, wie schnell man viel Zeit mit ihnen verbringen könne: „Und da glauben wir ernsthaft, wir könnten als Verlage so weitermachen wie bisher?“

Sie appellierte, mehr besondere Leseangebote zu machen, die im Gedächtnis haften bleiben. „Vielleicht sollten wir auch die Angebotsform überdenken und mehr hybride und elektronische Formen wagen.“ Gerade auf der Messe gelte es, nach neuen Inhalten zu suchen, nach dem einen Buch, nach den unverwechselbaren Stoffen.

Im Herzen der Bologneser Innenstadt wurde kurze Zeit später im Herkulessaal des Palazzo d’Accursio die Retrospektive der legendären „Tollen Hefte“ eröffnet. Was Rotraut Susanne Berner mit Unterstützung von Hamelin und des Goethe-Instituts da auf die Beine gestellt hatte, erhielt von den anwesenden Gästen großes Lob: Die Kunstwerke auf hellblauem Hintergrund oder in der Luft schwebend vermittelten eine Leichtigkeit, die zur sofortigen Auseinandersetzung geradezu aufforderte.

Wie gut, zeigte die jüngeren Besucher der Kabinettausstellung, die staunten, blätterten, sich festlasen. Es wäre der Ausstellung zu wünschen, dass sie auch in Deutschland zu sehen ist.