Jugendbuchverlage diskutieren über eine schwierige Zielgruppe

Wie erreichen wir die Kids ab 12 Jahre?

20. Oktober 2016
von Börsenblatt
Eine von der avj Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen initiierte Podiumsdiskussion trug den Titel:  Ja, wo laufen sie denn? Wo ist die Zielgruppe 12+?
Renate Reichstein, die Vorsitzende der avj, rahmte die Veranstaltung mit zwei Statements ein und nahm dabei Bezug auf den Loriot-Sketch auf der Pferderennbahn: "Wir müssen das Fernglas richtig herum halten und nahe an die Jugendlichen herangehen, um sie gut zu sehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen", sagte Renate Reichstein.

Es wird anders gelesen

Vier Leitthemen bestimmten die Diskussion: Das Eventbuch, die digitalen Leseformen, die Gestaltung von Buchumschlägen und gleich zu Beginn die Statistiken und Zahlen zum Kinder- und Jugendbuchmarkt. 

Jeannette Hammerschmidt, Programmleiterin bei Loewe, rüttelte die Runde auf: "Seit 2011 verzeichnet der Kinder- und Jugendbuchmarkt einen Rückgang um 30 Prozent", sagte sie und verwies darauf, dass die Zielgruppe 12+ vermehrt Belletristik lese oder ins Internet abwandere, wo sie bei Selfpublishern und verschiedenen Lese- und Schreibplattform fündig werde. "Vielleicht wird nicht weniger gelesen, aber es wird anders gelesen", so Hammerschmidt.

Stefan Hauck, Moderator der Runde und Redakteur beim Börsenblatt, wies darauf hin, dass es von Mediacontrol und GfK keine absoluten Zahlen gebe, doch Hammerschmidt unterstrich Übereinstimmungen zwischen den Erfahrungswerten im Verlag, dem direkten Austausch mit dem Handel und den offiziellen Zahlen. 

 

Nichtschulische LeseförderungDarüber, dass das Lesen nicht zurückgehe, war sich die Runde einig. Mit Bezug auf verschiedene Studien einigte man sich auf rund 30 Prozent Vielleser in der Zielgruppe, die bei entsprechenden Angeboten die Wenigleser mitreißen könnten. "Natürlich wünschen wir uns mehr Eventbooks wie die Biss-Reihe oder Panem", sagte Birgit Murke, die 2003 die Berliner Leseratten gegründet hat und bereits seit 16 Jahren Geschäftsführerin der Literaturinitiative Berlin ist. Sie schilderte, wie wichtig das Erzeugen von Leselust durch nichtschulische Organisationen ist. "Wir bauen einen engen Bezug der Jugendlichen zum Buch auf. Wer einmal bei einer unserer Lesegruppen Feuer gefangen hat, der springt bis zum Schulabschluss nicht mehr ab", so Birgit Murke. 

Die Hürde sind die Eltern

In dieselbe Kerbe schlug der Buchhändler Sven Puchelt, der sich seit mehr als 20 Jahren in der Buchhandlung LiteraDur in Waldbronn für Leseförderung einsetzt. "Es wird nich weniger gelesen bei uns. Wie bauen Vertrauen, eine enge Verbundenheit, mit unserer Kundschaft auf. Ich weiß, welche Pixi-Bücher die heute Pubertierenden damals lasen. Die Hürde sind eher die Eltern." 

Autorenlesungen fesseln die Zielgruppe 

Theresa Feldhaus ist eine erfahrene Leserin von Jugendbüchern, studiert Literaturwissenschaft und hat als Mitarbeiterin der Literaturinitiative Berlin gute Erfahrungen mit herausragenden Autoren wie Ursula Poznanski gemacht: "Nicht nur die Bücher müssen gut sein, auch die Veranstaltungen müssen die Jugendlichen fesseln. Dann wollen sie die Schriftsteller gar nicht mehr gehen lassen." Und Brigti Murke ergänzte: "Dann verkaufen wir auch richtig viele Bücher." 

Kombi aus Tschick-Motiven mit sterbenden Helden

Ralf Schweikart, Juror, Redakteur und Kritiker, erinnerte an den Leseknick und die Notwendigkeit, diesen mit literarischer Qualität zu überwinden: "Der Buchmarkt zerfasert. Die E-Books haben keineswegs den erhofften Schwung in die Leseförderung gebracht. Das Papierbuch ist bei Jugendlichen immer noch in, so lange man sie mit originellen und eigenständigen Themen erreicht." Er verwies auf die frustrierenden Nachahmer und Sucher von Erfolgsformeln. "Der größte Trend besteht zur Zeit in der Kombination aus Tschick-Motiven mit unterwegs sterbenden Protagonisten", sagte Schweikart und forderte gut erzählte und individuelle Stoffe. 


Jugendbuch-Optik nähert sich der Belletristik

Dabei gebe es vieles zu beachten, war man sich in der Runde einig, beispielsweise auch die Umschlaggestaltung: "Da kann man gerade bei dieser Zielgruppe sehr viel falsch machen", sagte Birgit Murke. "Der schlimmste Fehler besteht darin, die Cover für zu junge Leser zu konzipieren", sagte Sven Puchelt. "Darauf achten wir besonders", erwiderte Jeannette Hammerschmidt und nannte Beispiele, bei denen sich die Jugendbuch-Optik kaum noch von der Grafik für Belletristik unterscheide.


Der Zeitaspekt ist zentral

Am Ende blieb die Frage: Wo laufen sie denn? Allen war klar, dass Wenig- und Nichtleser sich lieber in sozialen Netzwerken bewegen oder viel Zeit bei Youtube verbringen. "Der Zeitaspekt ist zentral", sagte denn auch Birgit Murke und berichtete von Jugendlichen, die nach der Schule und wegen vielfältiger Freizeitaktivitäten keine Geduld mehr für das Bücherlesen hätten. Ob vielleicht auch eine abnehmende Fähigkeit der Autoren eine negative Rolle spiele, wollte Stefan Hauck wissen. "Die Qualität der Jugendliteratur hat in den vergangenen Jahren nicht abgenommen. Daran liegt es nicht. Es gibt nur gute und schlechte Jahre", sagte Ralf Schweikart. Die Aktivitäten der Zielgruppe in der Freizeit gelte  es im Auge zu beachten. Und dort müsste verstärkt das Buch eine wichtige Rolle spielen, war sich das Podium einig.