Kirsten Boies deutsch-arabisches Buch kommt nicht überall gleich gut an

Ost-West-Gefälle

11. April 2016
von Börsenblatt
Soziale Netzwerke haben Kirsten Boies "Bestimmt wird alles gut" (Klett Kinderbuch) seit Erscheinen Ende Januar auf knapp 60.000 verkaufte Exemplare gepusht. Im Osten lehnen Sortimenter das Buch in deutscher und arabischer Sprache allerdings häufig ab: boersenblatt.net hat bei Verlegerin Monika Osberghaus, Illustrator Jan Birck und seinem Agenten Harald Kiesel nachgefragt.

Das Buch hat sich rasch zu einem Bestseller entwickelt - was hat zum Erfolg beigetragen?

Jan Birck: "Die erste Kritik, die ich gelesen habe, war eher negativ. Das Buch sei zwar gut gemeint -  aber wer sollte es lesen?, fragte die Rezensentin und bezog ihre Kritik vor allem auf die arabische Übersetzung. Ich glaube aber, dass gerade die schon auf dem Umschlag sichtbare Zweisprachigkeit bei Buchhändlern und Lesern gut ankommt. Die Idee von Monika Osberghaus, die Übertragung ins Arabische mitzuliefern, finde ich wichtig und gut."

Monika Osberghaus: "Wir haben für dieses Buch so viel Presse bekommen wie nie zuvor bei einer Klett-Kinderbuch-Novität. Allerdings kamen die Rezensionen eher von kleinen und mittleren Medien. 'Die Zeit' oder die 'F.A.Z.' beispielsweise haben sich noch nicht dazu geäußert. Zum Erfolg haben ganz stark auch die sozialen Medien beigetragen. Viele Flüchtlingsgruppen, die eigentlich nichts mit dem Buchmarkt zu tun haben, liken und teilen unsere Facebook-Posts dazu. Auch Doris Schröder-Köpf, die bei der Flüchtlingsarbeit sehr engagiert ist, hat darauf hingewiesen: Sie hat einen sehr großen Verteiler und viele Follower. Hinzu kamen weitere Prominente, die "Bestimmt wird alles gut" empfehlen und für uns neue Lesergruppen erschließen. Auf diese Weise erleben wir zum ersten Mal, wie sich Buchempfehlungen viral in den sozialen Netzwerken unabhängig vom Buchhandel extrem schnell und stark verbreiten können. Diese Entwicklung war aufgrund der Vorbestellungen im Handel nicht absehbar. Dann aber haben die Sortimenter gut nachgezogen, vor allem im Westen. Im Osten hingegen gibt es viele Buchhändler, die das Buch gar nicht mögen."

Woran merken Sie, dass die Sortimenter im Osten das Buch weniger schätzen?

Monika Osberghaus: "Zunächst ganz konkret: Am Stand in Leipzig etwa kam eine Frau aus Sachsen vorbei und sagte empört: 'Oh, jetzt machen Sie ja schon Kinderbücher auf Arabisch!' Ähnlich ablehnende Stimmen höre ich mehrfach vor allem von ostdeutschen Sortimentern."

Sind das Einzelfälle?

Monika Osberghaus: "Nein. Die Unterschiede zwischen West und Ost haben sich schon bei den Vormerkern gezeigt, als die Vertreter mit dem Buch auf Reise waren. Im Westen gingen die Zahlen rasch nach oben, das ging in die Tausende. Hingegen blieben die Zahlen im Osten jeweils eher bei 100 oder darunter, jedenfalls vergleichsweise sehr gering. Bei anderen Büchern aus unserem Verlag ist das Gefälle viel weniger ausgeprägt. Allerdings habe ich von Kollegen gehört, die Bücher zur Flüchtlingsthematik veröffentlichen, dass sie ähnliche Erfahrungen mit den ostdeutschen Buchhändlern machen."

Welche Gründe sehen Sie dafür, dass das Buch im Osten abgelehnt wird?

Monika Osberghaus: "Es ist mir ein Rätsel. Viele Ostbuchhändler sitzen den Vertretern gegenüber und sagen: 'Dieses Buch brauchen wir hier bei uns nicht'. Und die Vertreter können keine Ursachenforschung betreiben oder sich auf Grundsatzdiskussionen einlassen. Ich kann nur vermuten, dass es die Angst der Buchhändler vor ihrer Kundschaft ist. Noch schlimmer wäre: Vielleicht sind auch viele selbst davon überzeugt, dass ein solches Buch falsch ist. Das macht mich offen gestanden fassungslos. Aber zum Glück gibt es auch die Leuchttürme im Osten, Buchhandlungen, die das Buch richtig gut einkaufen und zum Beispiel neben der Kasse platzieren. Die sind uns ganz besonders wichtig, über die freuen wir uns. Und das nicht wegen der Verkaufszahlen, denn die kommen hier auch über den Onlinehandel rein. Nein, es tut einfach gut, wenn Buchhändler die Fahne der Weltoffenheit hochhalten in den Bundesländern, in denen die AfD so erschreckend stark geworden ist.“

Stellen Sie im Bestellverhalten Unterschiede zwischen großen und kleinen Buchhandlungen fest? 

Monika Osberghaus: "Hugendubel und Thalia haben über das Zentrallager viel eingekauft. So bekommen jetzt auch die Filialen im Osten das Buch in großen Stückzahlen, und offenbar ist auch die entsprechende Kundschaft da. Der unabhängige Buchhändler ist halt eine Art Torwächter. Bei unseren Büchern ist es sonst eigentlich eher so, dass die kleineren Sortimenter sich sehr für unser Programm einsetzen. Sie reden über Klett-Kinderbücher und verbreiten sie, bevor die Filialisten merken, dass hier etwas zu holen ist. Jetzt haben wir ausnahmsweise mal den umgekehrten Fall. Die Filialisten sind die Rettung für dieses Buch im Osten. Und leider auch Amazon."

Was sagen Sie zur Kritik, dass eine deutsche Autorin nicht über Flüchtlinge schreiben sollte?

Monika Osberghaus: "Die finde ich völlig daneben! Ein Autor sollte zu jedem Thema schreiben, zu dem er etwas zu zu erzählen hat. Egal, woher er kommt und was er selbst erlebt hat. Wenn ein Autor das will und kann, soll er es machen. Und in Kirsten Boies Fall ist es ja eine Art Reportage auf Grundlage von Erzählungen von Kindern, die das so erlebt haben. Es ist also absolut verbürgt, dass die Geschichte so erlebt wurde. Warum sollte man das jetzt anzweifeln, nur weil eine deutsche Autorin das sehr gut erzählt und weitergibt?"

Harald Kiesel: "Der Vorwurf, dass ein Autor nur über das schreiben könne oder gar solle, was er selbst erlebt hat, greift komplett ins Leere -  er ignoriert zum Beispiel Empathie, Phantasie und Recherche. Scharf überspitzt und verallgemeinert dürfte es dann nur dokumentarische Erlebnisprosa geben oder, auch das ist natürlich absurd, beispielsweise keine historischen Romane über das Mittelalter."