Kongress der Deutschen Fachpresse 2015

Blümelhubers Irritationen und Haanks Prinzipien

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Der neunte Bahnstreik der GDL machte dem ein oder anderen Besucher des heute beginnenden Fachpressekongresses einen Strich durch die Rechnung. Sie verpassten die Vorträge des Vormittags im Frankfurter Kongresscenter Kap Europa, die das Thema "Cultural Change" variantenreich durchspielten.

"Wir erleben gerade den fünften Kondratjew-Zyklus mit dem Internet, und der sechste Kondratjew-Zyklus mit dem Web of Things und der Künstlichen Intelligenz steht vor der Tür", sagte Stefan Rühling, Sprecher der Deutschen Fachpresse, zu Beginn des Jahreskongresses, der in diesem Jahr erstmals in Frankfurt stattfindet. Kondratjew war ein russischer Wirtschaftswissenschaftler, der eine Theorie der zyklischen Wirtschaftsentwicklung aufgestellt hatte. Jedesmal, wenn ein neuer Zyklus beginnt, bricht für Unternehmen eine neue Gründerzeit an. (Rühlings Beitrag lesen Sie in Gänze hier.)

Sogesehen steht auch die Fachmedienbranche derzeit zwischen dem aktuellen und einem neuen Zyklus, der permanente Veränderungen notwendig machen wird.

Das erfordert eine große Anpassungsleistung. Worin die besteht, führte Christian Blümelhuber, Professor für Strategische Organisation an der Universität der Künste in Berlin, in einer Mischung aus Didaktik und kabarettistisch geschulter Präsentation vor: Ein bisschen "Sendung mit der Maus" und zugleich satirisch angehauchtes Theorie-Seminar "Change Management".

Blümelhuber wählte bewusst das Mittel der Irritation, um den kulturellen Wandel in den Unternehmen sichtbar zu machen. Und rief viele Kronzeugen des Wandels an: weise Schlagersänger wie Katja Ebstein und Jürgen Marcus, Charles Darwin und den polnischen Soziologen Zygmunt Bauman, den man – Spaß beiseite – wirklich gelesen haben sollte. Bauman, so Blümelhuber, habe den Begriff der "liquid modernity" geprägt, den Begriff der flüchtigen Modernität, in der sich Veränderungen in immer kürzeren Takten vollziehen.

Wie man damit umgeht, demonstrierte Blümelhuber mit Hilfe von Darwins Theorem des "survival of the fittest" und anhand dreier Tiere: Chamäleon, Pfau und Birkenspanner. Das Chamäleon passt sich an jede Umgebung an und verfügt über ein 360-Grad-Auge, der Pfau überzeugt durch seine unschlagbare Attraktivität ("so sexy"), der Birkenspanner färbt sich bei Bedarf schwarz ein, wenn die Birkenrinde rußig wird.

Blümelhuber, der es vermied, aus seinem kurvenreichen Vortrag ins parodistische Aus zu fliegen, betonte die Bedeutung des „Spiels“. Nur wer experimentiert, ist fit genug, um die Zukunft zu bewältigen.

Nach Blümelhuber kam Derk Haank, der gestandene CEO des viertgrößen Wissenschafts- und Fachverlags der Welt, der gerade unter dem neuen Markennamen Springer Nature die Bühne betreten hat. Haank, Chef eines globalen Unternehmens mit 13.000 Mitarbeitern in 50 Ländern, richtet den Blick auch auf das Bestehende: Er führt ein etabliertes Unternehmen, das in den vergangenen Jahren sehr vom Internet profitiert und zufriedene Kunden hat.

Und wie bewältigt Springer Nature den kulturellen Wandel? „Natürlich“, so Haanks Antwort, „können wir nicht so agil sein wie ein Start-up. Aber wir sind agiler als unsere Konkurrenten.“ Dazu trägt auch die internationale Aufstellung bei: Es gibt keine Konzernzentrale, sondern alle Standorte sind gleich wichtig. Der CEO selbst koordiniert die Arbeit aller Unternehmenseinheiten in einem kleinen Büro in den Niederlanden, und ist ständig unterwegs.

International aufgestellt zu sein, heißt nicht dezentral – im Gegenteil. Haank hält die Zügel zusammen und vertritt klare Management-Prinzipien:

  • Innovative Prozesse zu steuern, sei Chefsache. Der CEO muss die Prozesse so organisieren, dass Ideen gesehen werden.
  • Es muss allen klar sein, auf welche Zukunft man hinarbeitet.
  • Das Back-Office muss zentralisiert sein.
  • Man sollte nicht in Profit-Center-Denken verfallen!
  • Die Hierarchie kann man gelegentlich ignorieren. Nur so bekommt man Kontakt zu frischen Leuten, die normalerweise nicht an einen berichten.
  • Und man sollte den Fokus beibehalten! „Besser, man macht ein, zwei Sachen gut. Und man muss auch Nein sagen können“, so Haank.

Haanks Vortrag war von erfrischendem Pragmatismus und holte die Zuhörer von der Spielwiese in die (Kongress-)Wirklichkeit zurück.