Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann über TTIP

Die Marktfähigmachung

22. Mai 2015
von Börsenblatt
Beim Freihandelsabkommen TTIP geht es um mehr als nur ein paar kulturwirtschaftliche Details. Für Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat steht die Frage an, in welcher Welt wir künftig leben wollen.

"Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus", mit diesem berühmten Satz beginnt die von Friedrich Engels und Karl Marx im Auftrag des Bundes der Kommunisten verfasste Programmschrift, die als Kommunistisches Manifest seit 1848 Weltgeschichte geschrieben hat.

Die Gespenster, die heute durch die Welt gehen, sind jedoch nicht mehr der Kommunismus, sondern ein zügelloser Marktradikalismus und ein ebenso zügelloser religiöser Fundamentalismus. Gespenster, mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattete Fabelwesen, die einen Hang zum Totenreich haben, sind gute Bilder für die Situation, in der wir uns befinden. Auf der einen Seite haben wenige Unternehmen bereits eine Macht, die die Stärke vieler Nationalstaaten längst in den Schatten stellt. Diese weltweit agierenden Unternehmen wollen expandieren, ohne Rücksicht auf nationale, kulturelle und religiöse Unterschiedlichkeiten. Der globalisierte Markt verlangt die Aufgabe der Vielfalt, weil mit Einfalt mehr und schneller Geld zu verdienen ist. Doch keine Aktion ohne Gegenreaktion. Der religiöse Gewaltwahnsinn, der sich in der Welt ausbreitet, ist auch eine Antwort auf die schonungslose Marktfähigmachung der Welt der letzten Jahrzehnte.

Natürlich könnten globalisierte Märkte auch sinnvoll sein, zum Beispiel um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, doch immer noch stirbt etwa alle 3,5 Sekunden ein Mensch an den Folgen von Hunger und Unterernährung. Oder um das Recht auf Bildung in der Welt zu realisieren, aber etwa 776 Millionen Erwachsene – die meisten davon Frauen – beherrschen nicht die einfachsten Grundlagen des Schreibens und Rechnens, ungefähr 75 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, keinen einzigen Tag in ihrem Leben! Nicht nur in Syrien werden ganze Generationen tagtäglich ihrer Zukunft beraubt.

Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hat auf dem letztjährigen St. Michaelsempfang der Katholischen Kirche in Berlin für mich die Grundfrage gestellt. Er sagte sinngemäß, dass er das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika (TTIP) gut findet, wenn es den Armen nützt.

Und ich finde auch, wenn TTIP, CETA & Co. den Armen wirklich nützen, dann sollte der Kulturbereich nicht klein­mütig sein und seine Bedenken hintanstellen. Aber nichts, leider überhaupt nichts spricht dafür, dass das gerade in Verhandlung befindliche TTIP, dass das gerade im Ratifizierungsprozess befindliche CETA oder die bereits rechtskräftigen Handelsabkommen der Welthandelsorganisation, wie das GATS, den Verhungernden und den Ungebildeten eine Chance geben würden oder gegeben haben. Die Globalisierung der Märkte befreit die Armen nicht aus ihrem Elend. Im Gegenteil, die globalisierten Märkte machen nur die Reichen immer reicher.

Und deshalb geht es nicht nur um den Erhalt der Buchpreisbindung, um die Möglichkeit, auch in der Zukunft als Daseinsvorsorge mit öffentlichen Mitteln Kultureinrichtungen zu finanzieren, um die weitere Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und um die Vielfalt der kleinen kulturwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland, die einem ungebremsten Konkurrenzdruck durch die amerikanischen Medienmultis nur wenig entgegenzusetzen haben. Es geht um viel mehr!

Friedrich Engels und Karl Marx schrieben im Kommunis­tischen Manifest über die Kapitalisten: "Mit einem Wort, sie schaffen sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde." Wir werden entscheiden müssen, ob wir das hinnehmen wollen.

Olaf Zimmermann ist Herausgeber des Buchs "TTIP, CETA & Co.: Zu den Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf Kultur und Medien" und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.