Laudatio zum Deutschen Buchhandlungspreis 2016 II

"Ein Traum von einer Buchhandlung"

7. Oktober 2016
von Börsenblatt
"Unverwechselbar und eigensinnig" sind die frisch gekürten Besten Buchhandlungen, "Charakterköpfe aus dem Heer uniformer Buchhandlungsketten": Iris Radisch von der Zeit gibt als Juryvorsitzende Einblicke in die Arbeit der Juroren und zeigt das Besondere dieser Sortimente.

"Wir werden immer wieder gefragt, wie es uns eigentlich möglich ist, aus der wirklich überwältigenden Flut engagierter, wohlsortierter, Leseförderung geradezu vorbildlich betreibender, innovativ aufgestellter, gut gelaunter, animierend aussehender, Kaffee kochender, Tee anbietender, Kuchen backender, Lebens- und Lektürehilfe leistender also rundum fantastischer Buchhandlungen in Deutschland dann die wenigen Buchhandlungen auszusuchen, die sich  das Gütesiegel 'Beste Buchhandlungen' an die Wand hängen dürfen. Und ich kann Ihnen hier versichern, dass es keine leichte Arbeit ist.

Ich war auch in diesem Jahr wieder glücklich erschlagen von der Masse an  mit beneidenswertem Idealismus arbeitenden Buchhändlern und Buchhändlerinnen, die keine Mühen scheuen, um den Menschen das alte Überlebensmittel Buch durch tausenderlei kleine und große Handreichungen und ungeahnte Einfälle näher zu bringen. Was zeichnet nun also ausgerechnet die von uns in diesem Jahr prämierten Preisträger in der Sparte 'Beste Buchhandlungen' aus?

Zwei Tage mit Dutzenden von Fragen

Wir, die Jury,  haben zwei ganze Tage miteinander gerungen und sehr lebhaft diskutiert. Alle möglichen Kriterien spielen bei so einer schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe eine Rolle.

- Welche Angebote hat die Buchhandlung? Hat sie ein breites und buntes oder eher ein spezialisiertes und feines Sortiment?
- Berücksichtig sie auch die Bücher der unabhängigen Verlage oder führt sie vorrangig die Titel der großen Konzernhäuser?
- Nimmt sie sich Zeit, die Vertreter zu empfangen und ihren Empfehlungen zu folgen?
- Kümmert sie sich auch um die Jüngsten?
- Hat sie Ideen, wie man die  digital natives, diese ersten Ureinwohner des Netzes, an die ungewohnten schwarzen Zeichen heranführt, die man nicht wegwischen und nicht anklicken kann?
- Was bietet sie den Lesehungrigen über ihr ohnehin schon überraschendes Buchangebot hinaus an?
- Veranstaltet sie Lesungen und Diskussionsabende?
- Wie berät sie, was empfiehlt sie?
- Sind ihre Buchhändler selber passionierte Leser und macht sich das in der Art und Weise, die Buchhandlung zu führen, auch  bemerkbar?
- Und wie geht die Buchhandlung mit den jeweiligen Bedingungen ihres Standortes um?
- Was kann man von einer kleinen Buchhandlung auf dem flachen Land überhaupt verlangen, und woran muss man eine tolle Buchhandlung in der Schriftstellerhochburg Berlin-Prenzlauer Berg messen? Kann man die beiden überhaupt noch irgendwie vergleichen?

Dies ist nur eine Kostprobe  der Fragen, die wir uns vorgelegt haben. Wir haben uns die Sache also nicht ganz einfach gemacht.

Drei Unikate

Was am Ende dabei herausgekommen ist, ist wahrlich kein Kompromiss, sondern es sind unsere diesjährigen Hauptpreisträger. Es ist die Friedrich-Wagner-Buchhandlung aus dem hohen Nordosten Deutschlands, in Ueckermünde am Stettiner Haff gelegen. Es ist die Kinderbuchhandlung Nimmerland in Mainz am Rhein. Und es ist die Buchhandlung Böttger aus der ehemaligen bundesdeutschen Hauptstadt Bonn.

Keine dieser drei hat, was auch die andere hätte. Jede ist, was eine gute Buchhandlung eben ausmacht: ein Unikum, ein echtes Individuum, unverwechselbar und eigensinnig.  Ein Charakterkopf, der aus dem Heer uniformer Buchhandlungsketten und dem Einerlei  fantasieloser Einkaufspassagen herausragt und gute Laune macht. Vor allem das hat uns überzeugt. 

  • In der kleinen unabhängigen Friedrich-Wagner-Buchhandlung findet nicht nur der aufmunterungsbedürftige Badegast, sondern vor allem die sich rapide verflüchtigenden einheimischen Leser ein überraschendes Angebot von Büchern, ergänzt durch eine Vielzahl von Lesungen, Kunstausstellungen und Konzerten, die unter den eher schwierigen literarischen Bedingungen im hohen Nordosten einige tausend Besucher im Jahr anziehen.
  • Die Nimmerland-Buchhandlung wiederum ist die einzige auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisierte Buchhandlung in Rheinland-Pfalz und man kann sie, gemessen an der unglaublichen Vielzahl ihrer Aktivitäten, Kursen, Workshops, Ausstellungen und so weiter als eine regelrechte Leseschule für den Nachwuchs bezeichnen, als ein Zentrum der höheren Alphabetisierung, in dem man nicht nur das Lesen, sondern vor allem die Lust und die Freude am Lesen lernen kann.  Ohne eine solche hartnäckige  Arbeit an den Lesern von morgen geht es ja nicht weiter mit unserer immer noch unvergleichlichen deutschen Lesekultur. Und gerade deshalb gehört auch eine Spezialbuchhandlung wie das nimmermüde Nimmerland unbedingt zu den besten deutschen Buchhandlungen dazu.
  • In der Buchhandlung Böttger in Bonn geht es wieder ganz anders zu. Hier fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Auch das gehört ja schließlich zum Lesen, dass man  für Momente irgendwie wiederverzaubert wird, geistig massiert und angeregt, vielleicht sogar angenehm überfordert und überrascht. In jedem Fall einmal herausgehoben aus dem endlos vor sich hinschnurrenden Alltag. Im wohl geordneten, kreativen Bonner Chaos, wo die Buchregale bis zur Decke reichen, kann man das alles finden. Hier gibt es neben jeder Menge Lyrikbände sonderbare Philosophen, selten gehörte Autorennamen, die in keinem der mit Platznöten und Buchpreiskandidaten kämpfenden Literaturteilen der großen Zeitungen und erst recht nicht mehr in den dem Mainstream verpflichteten Literatursendungen des Fernsehens einen Platz finden. Die Buchhandlung Böttger ist ein Traum von einer Buchhandlung.

Ein Traum, den es, wie das mit Träumen so ist, so nicht überall geben kann. Und das ist vermutlich auch ganz gut so. Denn wir wollen im nächsten Jahr wieder neue Träume träumen."