Leipziger Buchmesse: Eröffnung im Gewandhaus

„Wir müssen die Extremisten ans Tageslicht locken“

15. März 2018
von Holger Heimann
Die norwegische Autorin Åsne Seierstad wurde bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse im Gewandhaus mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Sie bedankte sich mit einer beeindruckenden Rede.

„In den norwegischen Märchen verwandeln sich Trolle in Steine, wenn sie von den Strahlen der Sonne getroffen werden“, sagte Åsne Seierstad gestern im Leipziger Gewandhaus, wo ihr der mit 20 .000 Euro dotierte Preis zur Europäischen Verständigung verliehen wurde. Es war einer der einprägsamsten Sätze ihrer bemerkenswerten Rede, den wohl viele der ergriffenen Zuhörer mit nach Hause nahmen.

Die norwegische Journalistin und Schriftstellerin, die für ihr Buch „Einer von uns" (deutsche Ausgabe bei Kein & Aber), in dem sie sich mit dem Massenmörder Anders Breivik auseinandersetzt, ausgezeichnet wurde, folgerte: „Das müssen wir auch mit den Extremisten tun – sie herauslocken ans helle Tageslicht, sie unter die Lupe nehmen, sie entlarven. Denn ihre Ideen gedeihen im Dunkeln, in den geschlossenen Kreisen, in den Echokammern des Internets."

Selten dürfte eine Rede zum Auftakt der Buchmesse als passender empfunden worden sein. Vor dem Gewandhaus demonstrierten an dem Abend mehrere hundert Menschen gegen die Teilnahme rechter Verlage an der Messe. Doch drinnen waren sich die Redner einig, dass nicht der Ausschluss der passende Wege der Auseinandersetzung ist: „Wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, müssen wir sie auch jenen zugestehen, deren Wertvorstellungen und Meinungen wir nicht teilen, ja, deren Ansichten wir sogar für gefährlich halten“, sagte der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller (die ganze Rede finden Sie unterhalb dieser Meldung im Download-Bereich).

Der Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer, ist sich sicher, dass es nicht zu viel, sondern zu wenig Diskurs in der Öffentlichkeit gibt. Die Absenz der Auseinandersetzung vertiefe den Riss in der Gesellschaft. „Fake News“ allerdings würden nicht unter die Kategorie künstlerische Freiheit fallen. Kretschmer warnte zugleich davor, rechte Verlage in den Mittelpunkt der Messe zu rücken: Allenfalls fünf von über 2600 Ausstellern seien dem rechten Spektrum zuzuordnen, so Kretschmer, der folgerte: „Wir sollten nicht über jedes Stöckchen springen.“

Åsne Seierstad Buch „Einer von uns“ führe zu Fragen über „Zugehörigkeit und Gemeinschaft und über die notwendigen Voraussetzungen für ein zugewandtes, würdiges Zusammenleben“, heißt es in der Begründung der Jury. Dass das Buch auch eine enorme Zumutung darstellt, weil es den Terror und das Leiden der Opfer so genau nachzeichnet, schilderte eindrucksvoll die Laudatorin Verena Lueken: „Ich kann mich an keine Lektüre erinnern, mit der ich länger gekämpft habe.“ Seierstad Buch sei „Zeugnis einer Trauer immensen Ausmaßes“, Trauer um die 77 Menschen, die Breivik 2011 ermordete.

Die 48-Jährige Preisträgerin schloss ihre Rede mit dem Bild eines Mädchens, das mutig auf den Täter zugegangen war und ihn aufgefordert hatte, das Massaker zu beenden. Breivik hat auch sie erschossen. Doch Åsne Seierstad ist sich sicher: „Unsere einzigen Werkzeuge sind dieselben, die sie wählte: Worte. Auf lange Sicht sind sie stärker.“

 

Die komplette Dankesrede von Åsne Seierstad und die Laudatio von Verena Lueken finden Sie hier.