Leselust

Höllenfahrt und Hundedreck

9. März 2012
von Börsenblatt
Mit 78 starken Bildergeschichten hat Daniel Clowes in "Wilson" zeichnerisch wie erzählerisch einen eigenen Kosmos geschaffen. Ein Beitrag von Alexander Adolph.

Wilson, mein Held. Gemessen daran, wie Du Dich aufführst, wirkst du eher unauffällig. Ein kleiner, schütterer Mann, Mitte 40, alleinstehend. Generosität gehört nicht zu Deinen Eigenschaften – außer wenn es darum geht, andere zu beleidigen, weil sie: "lächerliche Angeber-Autos" fahren, "widerliche Kinder" haben oder einfach "dumme Arschlöcher" sind. Deine ganz persönliche Höllenfahrt hat der große Comiczeichner Daniel Clowes aufgeschrieben. Als Buch mit 78 Bilder­geschichten, von denen jedes eine Seite umfasst und aussieht wie ein Gag-Paper aus einer amerikanischen Sonntagsbeilage. Fünf bis acht Kästchen haben sie und am Ende eine Pointe.

Im Ganzen aber erzählen diese Anek­doten ein großes Melodram. Wie Du nach Chicago reist, weil Dein Vater im Sterben liegt, durch Zufall erfährst, dass Du mit deiner ersten Frau vor 17 Jahren ein Kind gezeugt hast, das zur Adoption freigegeben wurde. Diese Tochter aufzuspüren und zu kidnappen, war vielleicht nicht Deine beste Idee, Wilson – die bestand darin, Deinem Schwager zehn Kilo Hundescheiße zu schicken.

Die Tragödie eines lebensuntüchtigen, hochgradig aggressiven Verlierers, der sich nach menschlicher Nähe sehnt und sie trotzdem nicht ertragen kann, gehört zum Ergreifendsten, was ich im letzten Jahr gelesen habe. Gleichzeitig ist Deine Geschichte, in der Du, Wilson, immer wieder anders gezeichnet wirst – manchmal naturalistisch, manchmal als runder Kopf mit einer Knollennase, sodass man am Ende glaubt, Dich in allen Lebenslagen zu kennen, ein Beweis für die Meisterschaft des Daniel Clowes. Mit Dir hat er einen eigenen erzählerischen Kosmos erschaffen.

 

Alexander Adolph ist Drehbuchautor und Regisseur. Aus der Feder des zweifachen Grimme-Preisträgers stammen erfolgreiche Fernsehspiele (u.a. "Tatort") und die Reihe "Unter Verdacht", die den deutschen Fernsehpreis erhielt.