Martinière-Verleger zum Google-Urteil

Pro Tag drohen 10000 Euro Bußgeld

21. Dezember 2009
von Börsenblatt
Als "einen großen Sieg für das Verlagswesen" hat Hervé de la Martinière heute in Paris auf einer Pressekonferenz das Urteil in dem Prozess gewürdigt, den er vor zweieinhalb Jahren gegen Google angestrengt hatte. Ein Pariser Gericht hatte am Freitag Nachmittag die US-Internetfirma wegen Verstoßes gegen das französische Urheberrecht zu 300 000 Euros Schadenersatz verurteilt – "eine symbolische Summe" im Vergleich zu den geforderten 15 Millionen, aber für de la Martinière dennoch ein entscheidender Schritt und vor allem eine Premiere in Europa.

Der Chef der Verlagsgruppe La Martinière, zu der insbesondere der altehrwürdige Wissenschafts- und Literaturverlag Le Seuil und in Deutschland der Knesebeck-Verlag gehören, hatte Google vorgeworfen, zwischen 4000 und 9000 teils noch unter Urheberrechtschutz stehende Bücher seiner Verlage aus Bibliotheksbeständen digitalisiert und in Auszügen im Internet zugänglich gemacht zu haben. Dieses Vorgehen hat das Gericht jetzt bei Strafe untersagt, auch wenn die Richter nur illegal digitalisierte 300 Bücher feststellten: Google muss binnen 30 Tagen nach Zustellung des Urteils zumindest die urheberrechtsgeschützten Bücher des Verlags La Martinière aus dem Netz nehmen – andernfalls drohen pro Tag 10 000 Euro Bußgeld. Das allerdings könnte ein technisches Problem sein, denn die strittigen Bücher sind offenbar weder von Google noch von La Martinière ohne weiteres zu identifizieren. Daher, so Hervé de la Martinière, könnte Google sogar gezwungen sein, seine automatisierte Digitalisierung und damit die Kooperation mit den zuliefernden Bibliotheken zu suspendieren.

Für La Martinières Anwalt ist überdies unzweifelhaft, dass das Urteil – anders als Google meint – nicht nur La Martinière, sondern alle französischen Verlage schützt. Daher sprach das Gericht auch dem französischen Verlegerverband SNE und dem Schriftstellerverband Société des Gens de lettres, die sich der Klage angeschlossen hatten, einen symbolischen Euro zu. Das Argument von Google, es handle sich bei der Verbreitung von Auszügen aus geschützten Büchern um einen vom französischen Zitierrecht oder vom amerikanischen fair use erlaubten Gebrauch, ließ das Gericht nicht gelten: Dem widersprächen "die zufällige Auswahl und das Fehlen einer erkennbaren Informationsabsicht“. Außerdem untersagte das Gericht die "massive Digitalisierung". Google erklärte, das Urteil anfechten zu wollen. Dies habe, so der Anwalt von La Martinière, allerdings keine suspensive Wirkung. "Und überhaupt sollte Google sich das zweimal überlegen", so Anwalt Yann Colin. "In der zweiten Instanz könnte es für Google noch schlechter ausgehen."


La Martinière will Google dennoch nicht verteufeln. Man habe dem respektablen Unternehmen zwar eine Lektion erteilt, sei aber zu Gesprächen bereit. Google müsse für das Recht bezahlen, Teile geschützter Werke ins Internet zu stellen. Denn damit verdiene dieses durchaus nicht philanthropisch motivierte Unternehmen Geld. Zur Debatte steht allerdings nicht, Google die Digitalisierung zu gestatten. Denn zusammen mit den Verlagen Gallimard und Flammarion hat La Martinière im März diesen Jahres eine eigene Digitalisierungskampagne gestartet: Inzwischen seien etwa tausend Bücher elektronisch verfügbar. Sie werden über die Internet-Platform Eden“ an die Buchhändler geliefert. Google könnte dann – insbesondere wenn sich Google Books zu einem Online-Verteiler entwickeln sollte – diese Bücher wie jeder andere Buchhändler vertreiben.


La Martinière trat als Vorkämpfer der französischen Verlage an, deren Vertretung sich nur zögernd zu dieser Klage durchringen konnte. Die französischen Verlage hatten sich – wie die deutschen – dem Mitte November zwischen Google und den US-Verlagen erreichten und noch von einem US-Gericht zu bestätigenden Vergleich nicht angeschlossen. Nach dem Pariser Urteil, so vermutet Anwalt Yann Colin, könnten die US-Verleger ihre konziliante Haltung bedauern, die er unter anderem mit den in den USA drohenden Prozesskosten erklärt.
Seit Beginn der Digitalisierungskampagne 2004 hat Google dank der Zusammenarbeit mit zahlreichen Bibliotheken angeblich bereits zehn Millionen Bücher eingescannt. Vorreiter in Frankreich ist die Stadtbibliothek Lyon, die binnen zehn Jahren bis zu 500 000 Bücher eingeben lassen will. Dagegen bezahlt der Chef der Pariser Nationalbibliothek (BNF), Bruno Racine, sein zaghaftes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Google mit der Nichtverlängerung seines Mandats an der Spitze der BNF. Racine hat nun überraschenderweise ein Buch über die Risiken von Monopolen wie Google angekündigt.


Die Gefahr, dass sich die Verlage am Ende mit diesem Urteil schaden und auf eine kostenlose Werbung für ihre Bücher verzichten, sieht La Martinière nicht. Ein "französischer oder gar europäischer Blackout" – falls Google das gesamte französische Angebot zurückzieht – sei nicht zu befürchten. Zumal Staatspräsident Sarkozy vor wenigen Tagen überraschend ankündigte, dass die bereits vielfach eingeleitete Digitalisierung französischen Kulturguts in Bibliotheken und Museen sowie Filmen mit 750 Millionen Euros gefördert wird. Die Daten sollen über das europäische Portal Europeana zugänglich sein. "Wir werden eine privat-public Partnerschaft anstreben, aber wir werden die Kontrolle über unser kulturelles Erbe behalten", sagte Sarkozy. Der französische Staat will mit den privaten Dienstleistern "auf Augenhöhe" verhandeln. Das sei, so Sarkozy, auch "eine Frage der nationalen Identität".