Meinung

Idylle oder Ideale?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Warum Kochbücher zu empfehlen sind, von Klassikern in der Krise aber eher abzuraten ist. Von Jochen Jung.

Da sitzt man, die Zeitung auf den Knien, und freut sich seiner vier Wände und vor allem des Dachs über dem Kopf. Hat nicht das Zeitunglesen auch einen Vorteil? Immerhin erfährt man dort ja nicht nur, wie grauslich es draußen zugeht, sondern auch, dass es noch schlimmer noch nicht ist, ich meine, wie weit die Katastrophe schon ist, aber eben auch, wie weit nicht.
Trotzdem, und auch wenn es noch nicht durch die eigene Türritze schwappt: Man begreift, dass es kurz vor der Sintflut nicht reicht, dass es einem nicht in den Hals regnet und die Zeitung nicht weggeweht wird. Da man aber auch nicht genau weiß, was denn reichen würde, weil man im Grunde überhaupt nicht weiß, was da los ist, und schon gar nicht, was man dagegen tun kann, bleibt man vorerst mal sitzen, wo man grad sitzt, lässt die Zeitung endgültig sinken und schaut auf seine Buchregale.

Genau, man schaut auf seine Dichter. Und so viel hat man ja längst begriffen: Zum Katastrophenhelfer taugen sie nicht, und Wirtschaftskrisen zu erklären, ist auch nicht gerade ihr Forte. Im Gegenteil: Wer schon mal zugehört hat, wie einer von ihnen einem nach dem vierten Glas die Welt erklärt und was sie so im Innersten zusammenhält, wird hinkünftig lieber darauf verzichten, sie nach ihrer Meinung zu fragen. Aber zu irgendwas müssen sie doch taugen, auch in solchen Situationen, man hat sie doch nicht nur zum Zeitvertreib.

Oder doch? Schließlich kann man sich die ja sehr verschieden um die Ohren hauen, bloß so, aber auch qualitätsvoller, gediegener, mehr im Hinblick auf die Befindlichkeiten. Ob da wohl schon die ersten Kunden in den Buchhandlungen waren und gefragt haben, ob man nicht etwas hätte gegen das Kriseln? Was da wohl empfohlen wird, wenn es nicht nur um Ablenkungsmanöver gehen soll, sondern eben, nicht wahr, um nicht zu sagen tiefer, nachhaltiger, etwas zum Denken?

Also Coelho und über Castaneda zurück zu Nostradamus ist auf jeden Fall genau richtig. Die wussten zwar auch alle nicht, was los war, aber dafür, was dagegen hilft und wie es weitergeht auch. Ist doch schon mal ’ne ganze Menge. Roche sollte man jetzt eher lassen, das hat so einen Verwahrlosungstouch, das möchte man derzeit lieber weniger. Auch nicht, dass Handys dauernd Ärger machen können und die Vampire vor lauter Überangebot demnächst Hartz IV beantragen müssen. Dann schon eher Ritterliches, Ritter kommt ja fraglos von Retter, also das passt. Und Kochbücher! Kochbücher sind gut gegen Schlimmes, und in die Küche schafft man es immer noch.

Und Altes, echt Klassisches? Eher abzuraten. Klassiker sind mühsam, waren es immer schon, auch wenn sie ziemlich gut begriffen hatten, wo’s hingeht, wenn’s bergab geht. Sie vermuten: ins Ideale? Mitnichten. Ins Idyllische nämlich. Dorthin, wo die Katastrophe gar keinen Platz hat, weil es da viel zu eng ist, einfach keine Chance für Knall und Fall, überall Polster und Kissen. Da sitzen die Leute in ihren Sesseln, lesen Zeitung und freuen sich ihrer vier Wände und des Dachs über ihrem Kopf. Die Idylle, Deutschland hat sie immer schon geliebt. Sie werden sehen, das wird es, spätestens in der nächsten Saison. Ich wette eine gute Wärmflasche.