Meinung: Börsenverein

Strukturwandel und Verbandsstruktur

1. Juni 2011
von Börsenblatt
Die Debatte um die Fusion von Zentrale und Landesverbänden ist nicht zu Ende. Von Hermann-Arndt Riethmüller, Osiandersche Buchhandlung, Tübingen.

Es ist eine Binsenweisheit: Unsere Branche befindet sich in einem rasanten Strukturwandel. Drei Stichworte mögen genügen: Die Konkurrenz der örtlichen Buchhandlung befindet sich nicht mehr um die Ecke, sondern, je nach Blickwinkel, über 8 000 Kilometer entfernt in Seattle oder direkt im Computer des Kunden; Electronic Book und Internet konkurrieren mit den klassischen Druckmedien; das Urheberrecht wird durch die neuen Medien infrage gestellt. Eine Folge dieses Strukturwandels ist die Konzentration auf allen Ebenen und ein Rückgang der Mitgliedszahlen.

Der Börsenverein wurde 1948 infolge der politischen Neuordnung als Dachverband regionaler Verbände neu gegründet. 2002 wurden aus den bisher selbstständigen Landesverbänden »regionale Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit« innerhalb des Gesamtvereins, zusammengehalten durch eine auf-­ geblähte Satzung, die eine »Satzungsharmonie im Gesamtverein«, einen Länderrat, und, als Anhang zur Satzung, »Aufgabenkataloge von Landesverbänden und Börsenverein« definiert. Diese Komplexität spie­gelt sich in den Satzungen der einzelnen Landesverbände wider.

Angeregt vor allem durch den Entschluss des Landesverbands Nord­rhein-Westfalen, seine rechtliche Selbstständigkeit aufzugeben, entbrannte auch in den übrigen Landesverbänden eine Diskussion um den Sinn der regionalen Selbstständigkeit – nachdem von überall die Antwort kam, dass man an der bewährten Struktur festhalten wolle, hat sich auch der LV Baden-Württemberg mit knapper Mehrheit gegen eine Fusion mit dem Bundesverband entschieden.

Also Ende einer unnötigen Diskussion? Ganz sicher nicht – denn auch mit demokratisch zustande gekommenen Mehrheiten lassen sich gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklungen zwar eine Zeit lang verdrängen, aber nicht aufhalten. Und hier stellt sich die Frage nach Verantwortung und Pflichten der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Vertreter der Landesverbände: aktives, vorausschauendes Denken wie in Nordrhein-Westfalen, Verteidigung des Status quo wie in vielen anderen Landesverbänden oder Rückzug auf Verfahrenstechnokratie, wie in Baden-Württemberg vorgeführt.
Denn die Tatsachen bleiben bestehen, auch wenn sie in den Köpfen vieler offensichtlich noch nicht angekommen sind:

1     Wir leisten uns trotz Identität von Mitgliedern und Aufgaben eine monströse Doppelstruktur bei Gremien, Hauptversammlungen und Geschäftsberichten, die in den Landesverbänden mehr Geld verschlingt als die direkte Mitgliederbetreuung kostet. Wir leisten uns bei Preisbindung, Leseförderung, Marketing, Nachwuchswerbung Parallelstrukturen, die mit Mitgliedsbeiträgen bezahlt werden, ohne mehr Mitgliedsnutzen zu bringen.

2     Wir leisten uns einen Verband, der als einziger Wirtschaftsver-band Hersteller und Händler unter einem Dach vereinigt, weil uns diese einzigartige Verbindung eine weit über die wirtschaftliche Bedeutung hinausreichende Beachtung verleiht, und wir zahlen dafür gern den Preis einer komplizierten Spartenstruktur – diese Qualität darf nicht durch eine ursprünglich allein aus politischen Gründen geschaffene regionale Struktur gefährdet werden.

3     Wir fürchten uns vor einem zentralen Moloch und beschwören den Vorteil regionaler Selbstständigkeit, statt den Wegfall unproduktiver Selbstverwaltungsbeschäftigung für eine bessere lokale Dienst­leistung für unsere Mitglieder zu nutzen.

Strukturwandel und Rückgang der Mitgliederzahl gefährden mittelfris­tig die Existenz unseres Gesamtverbands Börsenverein – die großen Unternehmen würden das leichter verkraften als die kleinen Buchhandlungen und Verlage, die für unsere Branche unverzichtbar sind. In ihrem Interesse müssen wir die Diskussion fortsetzen und rechtzeitig überlebensfähige Strukturveränderungen durchführen.