Meinung: Ein Rückblick auf die Leipziger Buchmesse

Bücher, haufenweise

24. März 2011
von Börsenblatt
»Leipzig liest« verändert für fünf Tage die Stadt an der Pleiße. Alle hören zu, sind freundlich und sprechen, ja, über Literatur. Von Jochen Jung, Leiter des Jung und Jung Verlags in Salzburg.

Wir lesen lyrik / im pressezentrum / der internationalen buchmesse« – so beginnt ein Gedicht des serbischen Autors Željko Mitic´ , Jahrgang 1976. Wo, wenn nicht in Leipzig zu Zeiten der Buchmesse, ist so etwas nicht nur der Traum eines Poeten, sondern zumindest vorstellbare Wirklichkeit?
Zum 20. Mal hieß es »Leipzig liest«, auch wenn immer noch nicht geklärt ist, wie viel die Leipziger tatsächlich lesen. Denn so viel ist klar: Es ist nicht Leipzig, es sind nicht die Leipzigerinnen und Leipziger, die lesen – das machen vielmehr die frühlingshaft hereingeschneiten Gäste. Es ist ein solch sagenhaftes Stimmengewirr über der Stadt, dass die Zugvögel schon mal eine halbe Woche lang einen Bogen um Leipzig machen.

1 500 Autoren auf 2 000 Veranstaltungen, man muss da gar nicht viel herumrechnen, es braucht Zigtausende, die die Veranstaltungen alle besuchen. Das heißt, die Leipziger und Leipzigerinnen haben in diesen Tagen auch gar keine Zeit zum Lesen, die müssen zuhören. Und zuhören können sie, ganz gleich, ob da 300 oder nur drei im Saal sind. Wobei Saal eigentlich das falsche Wort ist, Leipzig zeigt ja, dass man eigentlich überall Lesungen machen kann, in der Tangotanzschule ebenso wie an Gleis 11, wo eine junge Frau einer anderen jungen Frau aus einem aufgeschlagenen Buch vorgelesen hat.

Und überall Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Man denkt, da kommt einem eine Buchanzeige entgegen, man träumt ja schon von dem Gesicht – aber dann ist es tatsächlich Arno Geiger, leibhaftig, und er sieht ganz genau so aus, wie er eben aussieht. Zudem ist er ein überaus freundlicher Mensch, aber das sind ja eigentlich alle Autoren, jedenfalls solange sie in Leipzig sind. Denn die Stadt ist auffallend freundlich. Vielleicht kann man das so sagen: Leipzig reimt sich. Auf geduldig, friedlich, gastfreundlich.

Ein bisschen gespannt war man, ob auch in diesem Jahr die zahlreichen Manga-Kinder kommen würden, aber das hat inzwischen schon lange nichts mehr mit Japan zu tun, das ist längst uralter Leipziger Volksbrauch. Und die Behauptung, dass die bunten Mädchen und Jungen vor lauter Bastelarbeit das ganze Jahr über nicht zum Lesen kommen, muss widerlegt werden: Als ich einen weißen Engel mit gebrochenem Flügel gefragt habe: Lest ihr auch?, da fragte sie zurück: Meinen Sie Bücher? – Ich: Ja. – Und daraufhin der Engel: Haufenweise. Und ich ergänzte im Stillen: Vielleicht liest das liebe Kind sogar ein Buch, das den Deutschen Krimi-Preis bekommen hat: »Tokio im Jahr Null«, bei Liebeskind.

Jetzt noch was Ernstes zum Serbien-Schwerpunkt. Mal Hand aufs Herz: Wer hat bei der Erwähnung des Wortes Serbien ein Glücksgefühl? Eben. Wir haben nämlich stattdessen eine Mischung aus Geschichtsmoral, Vorurteil und Unkenntnis. Dass sich die Serben im Vorfeld noch selbst in die Haare kriegten, war gewiss nicht hilfreich, aber am Ende saßen doch Autoren jeder Couleur auf den Leipziger Podien und widerlegten mit Erfolg die Vorstellung, dass Serbien ein besonders düsteres Stück Balkan sei. Viel Kluges, Kritisches und, ja, auch Unterhaltendes war da zu hören. Man soll nicht verzweifeln, meinte ein serbischer Dichter am Ende eines Podiumsgesprächs. Man sollte dieses Jahr wenigstens zwei serbische Bücher lesen, meinen wir