Meinung von Okke Schlüter, Professor für Medienkonvergenz

Brennpunkt Gesundheit

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Ratgeber zu den Themen Gesundheit und Medizin haben es derzeit nicht einfach – Internetangebote sind dabei, ihnen den Rang abzulaufen. Was zu tun wäre? Okke Schlüter, Professor für Medienkonvergenz an der Hochschule der Medien in Stuttgart, empfiehlt Verlagen eine "kontrollierte Digitalisierungsoffensive".

Wie die Schwalbe als Indiz für den Sommer bemüht wird, so werden E-Books derzeit in die gleiche Rolle gedrängt, was die Digitalisierung des Verlagsgeschäftes betrifft. Denn Sommer und Digitalisierung haben etwas gemeinsam: beide kommen sicher, mit welchen Ausprägungen ist allerdings noch ungewiss. Hilfreich wäre eine Art Siebenschläfer des elektronischen Publizierens.

Es geht nämlich um mehr als nur E-Books – sie sind nur eine Erscheinung eines tiefgreifenden Wandels. Dessen Ursache ist wie so oft: das Internet. Es hat unsere Mediennutzung verändert und wird es weiter tun, erst recht wenn das mobile Internet sich durchsetzt. "Was hilft gegen Heuschnupfen?" Wo man früher eher einen Ratgeber kaufte, schaut man heute zuerst ins Internet. Wie soll man als Verlag damit umgehen? Unternehmerisch muss man sich fragen, für welche Verlagsangebote eine nachhaltige Zahlungsbereitschaft besteht. 

Welche Zukunft kostenpflichtige Inhalte ("paid content") haben, wird noch kontrovers diskutiert. Keineswegs sollte man dieses Feld kampflos aufgeben, etablierte Geschäftsmodelle aber kritisch prüfen. Die folgende Viererkette kann dabei als Leitlinie dienen: Zahlungsbereitschaft bei Fach-/Sachbuch besteht für Problemlösungen (Nutzen). Zur Lösung wichtiger Probleme vertraut man auf Qualität. Qualität muss erkennbar sein (Markenaussage). Die Problemlösung muss für die Kunden gut auffindbar sein – dort, wo sie sich aufhalten.

Wenn eine Marke die Lösung des Ausgangsproblems verspricht, wird sie zum Leitstern der Suche – mit Start im Internet. Eine Suchmaschinenoptimierung ist daher Pflicht, je eindeutiger der Markenname, desto besser. Habe ich ein Lösungsangebot gefunden, will ich sofortigen Zugang: die Leseprobe eines kostenpflichtigen Angebotes oder auch ein Zusatzangebot für Abonnenten. Print- und Onlineangebote werden miteinander verzahnt, neue Produktformen entstehen durch die Möglichkeiten der Virtualisierung (3D-Animationen etc.). Für eine erfolgreiche Medienkonvergenz ergänzen sich die einzelnen Medien und werden jeweils gemäß ihrer Stärken in der Darstellung eingesetzt. Wer seine Daten in XML vorliegen hat, ist bedeutend handlungsfähiger.

Die Daten sind allerdings nur die notwendige Voraussetzung, die hinreichende ist das Konzept: in welcher Form und in welchem Kontext wird die Information benötigt? Statt in Produkten müssen wir in Verbünden denken: zum Ratgeber-Content Heuschnupfen auch aktuelle Studien, ein interaktiver Selbsttest und ein Forum zum Austausch mit Leidensgenossen.

Themenportale wie netdoktor.de wittern diese Nischen und füllen sie schnell. Damit Verlage hier mithalten können ist die Lernfähigkeit der Organisation gefragt. Da die Zielgruppe meist selber nicht weiß, was sie künftig nachfragen wird, ist die Erprobung kreativer Angebotsformen gefragt. Junge Kollegen, bereits für neue Medien ausgebildet und deren intensive Nutzer, sind dafür prädestiniert – zusammen mit der gewachsenen Erfahrung der Verlage.

 

Zur Person:

Okke Schlüter ist seit Oktober 2008 Professor für Medienkonvergenz an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Nach Stippvisiten in zwei Unternehmensberatungen absolvierte Dr. Schlüter zunächst das Traineeprogramm für Führungskräftenachwuchs der Klett-Verlagsgruppe, anschließend übernahm er nacheinander Führungspositionen in drei verschiedenen Geschäftsbereichen und Märkten der Verlagsgruppe. Bei PONS entwickelte er Wörterbuchlösungen und Sprachlernsoftware für Firmen. Im Schulbuchbereich von Klett verantwortete er eine Lehrwerksfamilie und Begleitsoftware. Zuletzt war er als Pädagogischer Leiter in der Geschäftsleitung des Fernstudienanbieters sgd für Entwicklung und Durchführung des gesamten Lehrgangsangebotes verantwortlich.

Mehr zum Thema lesen Sie im Börsenblatt-Extra Gesundheit+Medizin, das heute erscheint (Börsenblatt 22/2009).