Nachruf auf Hildegard Hamm-Brücher

Verbündete des Buchhandels

10. Dezember 2016
von Börsenblatt
Hildegard Hamm-Brücher hat die deutsche Bildungspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt wie wohl keine andere Frau. Der Verleger Klaus G. Saur erinnert an die große Durchsetzungsfähigkeit der liberalen Politikerin, die viele Jahre auch dem Stiftungsrat des Friedenspreises angehörte.

Wir trauern um die wunderbare und großartige Frau, deren Einflussnahme und Förderung die Bildungswelt in Deutschland viel zu verdanken hat. Bis 2002 war Hildegard Hamm-Brücher Mitglied der FDP, von 1976 bis 1982 war sie die erste Staatsministerin für Kultur im Auswärtigen Amt. Sie hatte einflussreiche Positionen und Funktionen im Münchner Stadtrat, im Bayerischen Landtag, in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz und auch weit darüber hinaus. In allen diesen Funktionen setzte sie sich mit ungewöhnlicher Stärke und Durchsetzungsfähigkeit für Bücher und Bildung ein. Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem gesamten Buchhandel war sie eine einzigartige und einmalige Verbündete. Viele Jahre war sie Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises und gestaltete diese bedeutendste Kulturarbeit des Deutschen Buchhandels ganz entscheidend mit.

Eine Reihe wichtiger Entscheidungen sind ihr zu verdanken. In ihrer Funktion im Auswärtigen Amt setzte sie eine erfolgreiche und langjährige Buchpolitik durch. Nur ihrem persönlichen Einsatz war es zu verdanken, dass das Buchförderungsprogramm für Osteuropa, das von Seiten des Auswärtigen Amtes im Jahr 1980 zunächst gekündigt wurde, wiederbelebt werden konnte und mit weiteren 55 Millionen D-Mark für die Jahre 1981 bis 1990 gefördert wurde.

Mehrfach hat sie die Frankfurter Buchmesse eröffnet und war über Jahrzehnte ein Dauergast auf der Buchmesse und beim Friedenspreis. Mehr als 35 Jahre war sie Mitglied im Goethe-Institut und förderte dessen Arbeit in ungewöhnlich intensiver Weise. 1978 wurde der Grundlagenvertrag zwischen dem Goethe-Institut und dem Auswärtigen Amt abgeschlossen. Auf Seiten des Goethe-Instituts verhandelte Theodor Eschenburg. Noch wenige Stunden vor der endgültigen Unterschrift beeinflusste sie die Formulierungen in geradezu konspirativer Weise zu Gunsten des Goethe-Instituts und schuf damit die Grundlage für eine hervorragende Arbeit, die dem Goethe-Institut dadurch ermöglicht wurde und die bis heute andauert.

1937 war sie ein Jahr lang im Internat Salem auf dem Gymnasium, musste dieses aber verlassen, da ihre Großmutter Jüdin war.  Sie konnte dann ab 1939 in München Chemie studieren bei dem Nobelpreisträger Heinrich Wieland, der sie vor der Verfolgung durch die Gestapo schützte. 1945 wurde sie Wissenschaftsredakteurin bei der Neuen Zeitung und damit Kollegin von Erich Kästner, der leitender Redakteur des Feuilleton war. Von 1949 bis 1950 war sie die erste deutsche Studentin, die ein Stipendium der Politischen Wissenschaften an der Harvard Universität erhielt. Theodor Heuss erklärte ihr schon 1948, dass sie in die Politik gehen müsse. Er unterstützte sie in ihrer ganzen Laufbahn, und sie ergriff später dann die Initiative zur Gründung der Theodor-Heuss-Stiftung. 1994 war sie Kandidatin der FDP für das Amt des Bundespräsidenten. Von den hessischen Grünen wurde Hildegard Hamm-Brücher als Wahlfrau für die 14. Bundesversammlung am 30.  Juni 2010 nominiert und sie war - wieder auf Vorschlag der hessischen Grünen - Wahlfrau auf der 15. Bundesversammlung am 18. März 2012 und machte deutlich, dass sie bei beiden Wahlen Joachim Gauck gewählt habe.

Sie war in unzähligen Gremien tätig. So war sie die Gründungsvorsitzende der Theodor Heuss-Stiftung, war viele Jahre Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages und Mitglied im Kuratorium am Jüdischen Zentrum Münchens. Sie war Ehrenmitglied des PEN-Zentrums Deutschland und förderte intensiv die Weiße-Rose-Stiftung in München, deren Beirat sie bis zu ihrem Tod angehörte. 46 Jahre lang war sie Mitglied des Goethe-Instituts.

2009 gründete sie noch den "Hildegard-Hamm-Brücher-Förderpreis für Demokratie Lernen und Erfahren", und sie stiftete den Münchener Bürgerpreis "Gegen Vergessen - für Demokratie" zur Erinnerung an die Herrschaft der Nationalsozialisten und zur Stärkung der Demokratie.

Bis wenige Monate vor ihrem Tod wirkte sie immer noch in der Öffentlichkeit, nahm an Diskussionen teil, und die Festveranstaltung zu ihrem 95. Geburtstag im Festsaal des Münchener Rathauses konnte sie noch wunderbar genießen.

Klaus G. Saur