Nachruf auf Péter Esterházy

Paradiesvogel der Literatur

20. Juli 2016
von Börsenblatt
Péter Esterházy, ungarischer Schriftsteller und Friedenspreisträger von 2004, ist am 14. Juli im Alter von 66 Jahren gestorben. Ein letzter Gruß eines Weggefährten.

Lieber Péter. Ich möchte keine Worte des Abschieds sagen, dafür ist es zu früh, und auch keine Worte der Trauer, zu lebendig sehe ich dein Lachen vor mir und höre deine vor Humor funkelnden Auslassungen. Ebensowenig möchte ich jetzt deine Texte würdigen, noch weniger könnte ich sie resümieren; wenn die Zeit der Trauer vorüber ist, wird sich eine neue Perspektive auf dein Werk auftun, und sie wird, was die Verständigung angeht, eine philosophische, gesellschaftspolitische sein, sofern die (ungarische) Gesellschaft ihre Lethargie überwindet.

Diese neue Sicht wird mit der Dimension, der Tragweite deines Denkens zu tun haben, das freier ist, als es eine Gesellschaft und ihre Lenker je zu sein vermöchten. Das klingt nach Gemeinplatz – denkerische Freiheit und Gesellschaft waren sich, gelinde gesagt, wohl zu keiner Zeit nah. In deinem Land ist es aber noch eine Komponente düs­terer, denn die kleine Nation hat einen starken Hang zum Inzestuösen und will jeden Ungarn als ihren Geliebten. Wehe dem, der sich dem Dekret nicht fügt. Einmal sagtest – zitiertest? – du: Man muss ein sehr souveränes Wesen sein, um weder in die Sackgasse des Akzeptierens noch in die des Reformismus zu geraten und weder wahnsinnig zu werden noch Selbstmord zu begehen oder sich zu Tode zu trinken.

Du freilich nanntest dich schlicht einen Glückspilz. Andere hielten dich für einen wundersamen ­Paradiesvogel der Literatur, was dich zum Lachen brachte, du könntest es im Augenblick nicht bestätigen, sagtest du, das Paradies käme ja erst später. Du hast Wort gehalten und, als keiner mehr ans Paradies dachte, uns die große himmlische Harmonie geschenkt. Welche Harmonie? Welche Ironie. Nein, ich glaube an die Kontinuität der Weltkultur, sagtest du, an die kleinen Tempel der Erinnerung, und warum sollte ich, fragtest du dich mit Wittgenstein, Begriffe nicht gegen ihren angestammten Gebrauch verwenden? Rausch und Geistesgegenwart, Treue und Lebenslust.

"Für wen schreiben Sie?", fragte der Moderator vor rund zehn Jahren im Wissenschafts­kolleg in Berlin. Auf dem Podium saßest du mit den beiden anderen Doyens der ungarischen Literatur, Imre Kertész und Péter Nádas. Nádas erörterte seriös den Sinn seines Tuns, Kertész sagte, er schreibe für sich selbst, und du für Zehlendorf*, erklärtest du. Wie aus einer Kehle brach das Lachen im überfüllten Saal los. Von da an verlief der Abend in gelöster Stimmung.

Und noch eine kleine Szene, Péter: Im Tiergarten, vor rund 20 Jahren, spielten wir zusammen Fußball. Sieben oder acht gegen sieben oder acht, selbstgebastelte Tore. Wir ­waren an dem Tag gut in Form, versuchten es mit Spielwitz gegen robuste Gegner. Manchmal klappte das auch ganz gut, wenn auch du, verzeih, dass ich es nicht vergessen habe, ein bisschen zu viel gedribbelt hast. Dann spielte ich dir einen Pass zu und du standest frei vor dem Tor, wähltest aber ein ­anderes Koordinatensystem und der Ball flog hoch ins Unendliche. Lautes Fluchen rundum, und als es still wurde, sagtest du, mit Verlaub, Jungs, aber auch Wittgenstein habe mit Mathe­matik angefangen. Keine Reaktion, Fußballer in Ballnähe lachen nicht. Doch dich sehe ich immer noch auf dem weiten Feld, allein, schmunzelnd, dribbelnd, frei.

* Bezirk im Südwesten Berlins mit viel Grün

Lacy Kornitzer, geboren in Budapest, lebt heute als Theaterregisseur und Dramaturg in Berlin. Er schreibt und übersetzt Prosatexte zeitgenössischer Autoren aus dem Ungarischen ins Deutsche.