Nachruf auf Paul Otchakovsky-Laurens

"Einzigartiges verlegerisches Wagnis"

5. Januar 2018
von Börsenblatt
Am 2. Januar ist der französische Verleger Paul Otchakovsky-Laurens verstorben. Ein Nachruf.

Paul Otchakosvky-Laurens war eine Ausnahmegestalt des französischen Verlagswesens. Geboren 1944 als Sohn eines bessarabischen Juden, des Künstlers Zalman Otchakovsky, den er nie kennenlernte, wuchs er bei Pflegeeltern in Sablé-sur-Sarthe im Westen Frankreichs auf. Als Assistent des legendären Verlegers Christian Bourgois lernte er 1969 das Verlagswesen kennen und begann 1970 als Lektor bei Flammarion zu arbeiten. 1977 verließ er Flammarion, um bei Hachette seine eigene Reihe herauszugeben. Er benannte sie nach seinen Initialen P.O.L und veröffentlichte darin u.a. Texte von Georges Perec, der auch das spätere Verlagssignet zeichnete. Als Perec 1982 verstarb und Hachette von P.O.L mehr Bestseller verlangte, kündigte Otchakovsky-Laurens und gründete seinen eigenen Verlag – wieder unter dem Namen P.O.L.

Damit begann ein einzigartiges verlegerisches Wagnis, das nun, nach 25 Jahren mit seinem Tod ein Ende nimmt. Denn er war für jeden einzelnen Text, der in diesem Verlag erschien, verantwortlich, sein Programm war geprägt von seiner Persönlichkeit. „Die Originalität eines Textes ist nicht das, was man zuerst an ihm wahrnimmt. Was man zuerst wahrnimmt, ist das, was man kennt, das Konforme.“ Otchakovsky-Laurens war immer auf der Suche nach dem nicht konformen Text, nach dem Neuen, Störenden, Unbekannten. Vielleicht wünschte er sich deshalb das, was alle anderen seiner Kollegen als Höchststrafe ansehen: unverlangt eingesandte Manuskripte. Er lud selbst auf der Webseite seines Verlags dazu ein, sie ihm zuzusenden. Angeblich las er nicht nur alle Manuskripte, die ihm zugesendet wurden, er beantwortete auch jede Einsendung persönlich. Unvorstellbar! Aber wie sonst hätte er dieses Programm zusammenstellen können? Ich kenne es seit über 15 Jahren ziemlich genau, und doch ist jeder erneute Blick auf seine liste eine Entdeckungsreise, die auf Unbekanntes stoßen lässt, auf Texte, deren Bedeutung ihnen erst mit den Jahren zuwächst. Dieser Glaube an seine Autoren und ihre Texte führte auch zu einer enormen Sturheit, die ihn zum Beispiel über 30 Bücher eines doch recht erfolglosen Autors verlegen ließ, und man sah ihm an, wenn er darüber sprach, dass er fraglos noch weitere 30 Bücher dieses Autors verlegen würde.

Interessanterweise war sein Programm überaus erfolgreich, über viele Jahre hinweg war P.O.L – dessen Mehrheitsgesellschafter seit 2003 die Gallimard-Gruppe ist – der Verlag, der am meisten Preisträger hervorbrachte und überraschenderweise viele Bestseller zuwege brachte. Zu seinen Autoren zählen Namen wie Maguerite Duras, Marie Darrieussecq, Jean Rolin, Valère Novarina, René Belletto, Atiq Rahimi, Édouard Levé oder Emmanuel Carrère. Wo andere prahlten, war sein Kommentar dazu immer ein asiatisch anmutendes Schmunzeln. Dieser scheue, zurückhaltende Mann stand über den Dingen, auch über dem Erfolg, von dem er immer wusste, dass er nicht verlässlich ist. Verlassen hat er sich nur auf seinen verlegerischen Instinkt und seine unbedingte Neugierde auf das Neue. Mit Paul Otchakovsky-Laurens wurde am 2. Januar 2018 der für mich wichtigste französische Verleger aus dem Leben gerissen. Im Alter von 73 Jahren kam er bei einem Autounfall ums Leben.