Neu im Regal - Lesetipp der Woche

Daten gegen Geld

3. März 2015
von Börsenblatt
Jaron Lanier ist Internetpionier, Computerwissenschaftler, Unternehmer, Musiker, Erfinder des Begriffs „virtuelle Realität“ – er wird geachtet, manchmal aber auch belächelt: weil er keine Ruhe gibt. Mit seinem neuen Buch („Wem gehört die Zukunft?, Hoffmann und Campe) schreibt er erneut gegen die Kostenloskultur im Netz an.

„Wem gehört die Zukunft?“, fragt Jaron Lanier, und beginnt seine Antwort mit einem Satz, der locker daherkommt, dann aber hart aufschlägt: „Wir sind daran gewöhnt, Informationen als 'kostenlos' zu betrachten, aber das funktioniert nur, solange der Großteil der Wirtschaft nicht auf Informationen basiert, ansonsten würden wir für diese Illusion einen hohen Preis bezahlen.“

Der hohe Preis, von dem Lanier spricht, besteht in massenhafter Arbeitslosigkeit. Ginge alles so weiter wie bisher, könne es eines Tages – sobald jeder Wirtschaftszweig von Technologien getragen werde –  gar nicht anders kommen: Als dass die Wirtschaft aus den Fugen gerate.

Lanier misstraut den Segnungen der Kostenloskultur, wie sie sich durch das Web manifestiert hat. Er warnt vor den langfristigen Folgen, vor Big Data-Apologeten und vor einer Übermacht der Silicon Valley-Elite (mit ihren "Sirenen-Servern", wie sie Lanier nennt). Für den Fall, dass die Informationsökonomie von heute keine Korrektur erfährt und sich weiterhin niemand darum schert, wie eine Mittelschicht des Informationszeitalters und neues Wachstum entstehen könnte, prophezeit apokalyptische Verhältnisse.

"Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne"

Das Internet folgt der Philosophie des Gebens und Nehmens, die aus Laniers Sicht neben einer sehr hellen nun mal auch eine tiefdunkle Seite hat. Netznutzer bekämen Zugriff auf nützliche, kostenlose Dienste, müssten dafür aber mit der härtesten Währung zahlen, die sie haben: mit ihren Daten.

"Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt", schreibt Lanier, und erinnert damit zugleich noch einmal an seine schon im Vorgängerbuch von 2010 („You are not a gadget“; deutsch: "Warum die Zukunft uns noch braucht", Suhrkamp) so leidenschaftlich formulierte These: Dass die Kostenloskultur im Netz für die Masse der Menschen direkt in die Armut führt. Lanier schlägt nun vor, eine humanistische Informationsökonomie zu entwickeln – eine, die den Netznutzern kommerzielle Rechte an ihren Daten zugesteht und sie für alle ihre vielen Datenschnipsel, die sie hinterlassen, anteilig über ein universelles Micropayment-System entlohnt. (In diesem System würde Facebook, zum Beispiel, einem Nutzer dann kleine Zahlungen zukommen lassen, wenn Daten, die mittels Algorithmen von ihm abgeleitet wurden, dazu genutzt werden, jemand dazu zu bringen, Produkt X beim Unternehmen Y zu kaufen.)

"Der Wert der persönlichen Informationen lässt sich nur schwer messen"

Ob solche Szenarien Realität werden, ist eine der zentralen Fragen, die sich beim Lesen von Laniers „spekulativer Streitschrift“ (Lanier über Lanier) auf fast jeder Seite stellt – weil er sich in diesem Punkt ebenfalls nicht ganz sicher ist. "Der Wert der persönlichen Informationen lässt sich nur schwer messen, weil unsere derzeitigen Praktiken daraus entstanden sind, diesen Wert zu unterdrücken", meint er. Doch immerhin: Es gibt Ansätze.

Lanier selbst berichtet im Nachwort, das er für die ein halbes Jahr nach dem Hardcover erschienenen US-Taschenbuchausgabe verfasste, über erste, rein theoretische Versuche, persönliche Daten zu messen. Außerdem sind wohl – der „Brandeins“ zufolge (März 2014) – zumindest in Übersee längst Firmen entstanden, die tatsächlich mit Daten handeln. „Hat Rückenschmerzen“ bringt demnach 0,26 Dollar, "ist frisch verlobt" 0,12 Dollar.

"Ein Buch ist kein bloßes Objekt"    

Eines der letzten Kapitel widmet Lanier den ”Bücherschicksalen“ - betont aber gleich,dass er mit den üblichen Grabenkämpfen zwischen Print-Gläubigern und E-Book-Jüngern wenig anfangen kann. "Mich stört nicht, dass ein Buch auf einem elektronischen Tablet statt auf Papier gelesen wird", sagt er. "Was mich stört, sind die damit einhergehenden wirtschaftlichen und politischen Folgen – und das veränderte Zeitgefühl."

An die Buchbranche appelliert er, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, sich also den Konzepten, wie sie Jeff Bezos (Amazon) und Eric Schmidt (Google) formulieren, nicht einfach hinzugeben. Sein Argument: "Ein Buch ist kein bloßes Objekt, sondern vollgültiger Ausdruck eines Individuums im Fluss der Menschheitsgeschichte." Allein deshalb müsse das Wirtschaftsmodell unserer Netzwerke optimiert werden – "um diese indiviuelle Ausdrucksmöglichkeit zu bewahren, oder es wird der Menschheit nicht dienlich sein."

Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft? Übersetzt von Heike Schlatterer und Dagmar Mallett. Hoffmann und Campe 2014, 480 S., 19,99 Euro.