Neue Bücher über Martin Luther

Luther lebt!

25. August 2016
von Börsenblatt
Noch immer prägt Martin Luther unser Denken. Unter den unzähligen Titeln zum Reformationsjubiläum zeigen einige, dass über den empörten Augustinermönch und wortgewaltigen Erneuerer der Kirche noch längst nicht alles gesagt ist.

Wer war der Mann, der am 10. November 1483 in Eisleben geboren wurde? Wie dachte er? Was trieb ihn an? Die Neuerscheinungen über den größten theologischen Revolutionär der deutschen Geschichte geben vielfältige Antworten. Als Einstieg bietet sich Michael Märkers Bildbiografie "Martin Luther" (Kamprad, 144 S., 19,80 Euro) an, schließlich ist der Mensch ein "Augenwesen", wie Luther selbst einmal gesagt hat. In dem Band mit kurzen einführenden Texten fehlt natürlich nicht das bekannte Gemälde Gustav Adolph Spangenbergs, das Luther im Kreise seiner Familie musizierend zeigt – der Autor ist immerhin in der nunmehr 13. Generation ein direkter Nachkomme Martin Luthers.

Die umfangreichste Lebensbeschreibung legt aktuell die britische Historikerin Lyndal Roper vor, die dazu über zehn Jahre in Archiven Briefe und Dokumente gelesen und ausgewertet hat. Dabei interessieren die Professorin vor allem Luthers Seelenlandschaft und ­seine Widersprüche – und wie er als Mensch des 16. Jahrhunderts die ihn umgebende Welt wahrnahm. Das Ergebnis führt dem Leser den empörten Augustinermönch geradezu leibhaftig vor Augen: "Der Mensch Martin Luther. Die Biographie" (S. Fischer, September, 736 S., 28 Euro). Für ihre herausragen­den Forschungsleistungen erhält die Wissenschaftlerin im November den mit 100.000 Euro dotierten Gerda-­Henkel-Preis: Die Jury ist überzeugt ­davon, dass Ropers jüngste Studien den Verlauf der Debatte über den Reformator nachdrücklich mitbestimmen werden.

Die Biografie mit dem längsten Titel stammt von Andrew Pettegree: "Die Marke Luther. Wie ein unbekannter Mönch eine deutsche Kleinstadt zum Zentrum der Druckindustrie und sich selbst zum berühmtesten Mann Europas machte – und die protestantische Reformation lostrat" (Insel, Oktober, 450 S., 26 Euro). Der Autor geht der Frage nach, wie ein akademischer Streit in Nordostdeutschland zu einem großen öffentlichen Ereignis werden konnte, das Kleriker und Laien über weite Teile des europäischen Kontinents erfasste.
Pettegree, Professor in Schottland, gilt als Experte für das Europa des ­Reformationszeitalters und präsentiert Luther als einen findigen Strategen, der sich zur Vertreibung seiner Ideen der noch jungen Technik des Buchdrucks bediente.

Joachim Köhler hat lange für den "Stern" geschrieben und ist Autor mehrerer Lebensbeschreibungen, zum Beispiel Wagners und Nietzsches. Ebenso versiert wie fesselnd zeichnet er nun in "Luther! Biographie eines Befreiten" (Evangelische Verlagsanstalt, 405 S., 22,90 Euro) den Weg des Reformators nach. Köhler argumentiert auch gegen die Luther­kritiker, die in ihren ideologischen Deutungsmustern übersehen würden, dass keiner vor Luther dem Einzelnen eine so souveräne Stellung zugewiesen habe. Und er verdeutlicht dem Leser, dass Luther alles andere als von gestern ist.

Für Endkunden hat C. H. Beck einen 24-seitigen kostenlosen Prospekt herausgebracht, der ab Februar 2017 erhältlich sein wird. Er enthält die wichtigsten Informationen zur Reformation sowie Buchempfehlun­gen zum Thema. "Luther, der Ketzer. Rom und die Reformation" (C. H. Beck, 352 S., 24,95 Euro) heißt einer der darin erwähnten Titel. Volker Reinhardt, Professor im schweizerischen Fribourg, durfte dafür erstmals Originaldokumen­te aus dem Vatikan lesen. Daraus ergibt sich das Bild der Reformation als Interaktion ­zwischen Wittenberg und Rom. Was oft vergessen wird, tritt hier deutlich zutage: Anfangs wollte Luther nichts weiter, als den katholischen Glauben retten.

Eine Annäherung ganz anderer Art ist "Tinte, Thesen, Temperamente. Ein ­Lesebuch auf den Spuren von Martin Luther" (Brunnen, 144 S., 13 Euro). Die von Christoph Morgner herausgegebene Sammlung mit Beiträgen diverser Autoren beleuchtet viele Einzelaspekte rund um den Glaubenserneuerer: Luther als Seelsorger, Luther und seine Lieder oder Luther und seine Krankheiten.

Mit seinen 95 Wittenberger Thesen hat der Reformator einen Stein ins Rollen gebracht, der nicht mehr aufzuhalten war: Das Mittelalter ging zu Ende und ein neuer Freiheitsbegriff des Denkens wurde definiert – so schreibt man Geschichte. Die Entwicklung setzte sich in der Aufklärung fort und führte schließlich zur Herausbildung unseres heutigen Demokratieverständnisses und des modernen Europas. Was aber ist mit unserem gegenwärtigen Glauben, dem so oft der Unglaube entgegentritt? Norbert Bolz kennt ein einfaches Rezept: "Zurück zu Luther" (Wilhelm Fink, 141 S., 19,90 Euro). Luthers Lehre eigne sich hervorragend zur Glaubensfestigung, so seine Position. Entsprechend prägnant wird sie vom Autor dargeboten, in den kursiv gedruckten Passagen kommt Luther selbst zu Wort. Bolz empfiehlt auch Katholiken die Auseinandersetzung mit Luther: Gerade ihrer Kirche hätten seine Angriffe gutgetan.

Diese Ansicht teilt Kurt Koch, Herausgeber von "Luther für Katholiken. 100 Worte" (Neue Stadt, 120 S., 12,95 Euro). Auch er ist davon überzeugt, dass Luthers markante Worte den Glauben vertiefen können. Bereits am 31. Oktober wird das Reformations­jahr 2017 durch eine ökumenische ­Veranstaltung im schwedischen Lund eröffnet, an der Papst Franziskus ­gemeinsam mit Spitzenvertretern des Lutherischen Weltbunds teilnehmen wird.

Viele Christen erwarten und hoffen zu Recht, dass das Gedenken an 500 Jahre Re­formation die kirchliche Einheit näher rücken lässt. Zur Vorbereitung hilft ­Stephan Mokrys "Luther – Was Katholiken schon immer wissen wollten. 95 Fragen und Antworten" (St. Benno, Oktober, 120 S., 7,95 Euro). Denn wer fragt, bleibt im Dialog und lernt dazu – für das Miteinander der Konfessionen ein wichtiger Beitrag.

Haben die Katholiken vielleicht schon dazugelernt? Und was ist den reformatorischen Kirchen geblieben? Eugen Drewermann und Jürgen Hoeren ist mit "'Luther wollte mehr'. Der Reformator und sein Glaube" (Herder, September, 192 S., 19,90 Eu­ro) eine packende Analyse gelungen, die zugleich für eine Wiederent­deckung und ein Neuverständnis ­Luthers plädiert.

Insbesondere tröstliche Kräfte schreibt Uwe Birnstein Luthers Impulsen zu. In "Mensch Martinus. Warum uns Luther zu Herzen geht" (Patmos, September, 96 S., 10 Euro) stellt er ­anhand von Anekdoten und Alltags­geschichten die menschlichen Seiten Luthers vor. So erscheint den Lesern dieser erstaunliche Mann, der mit 62 Jahren in Eisleben starb, greifbar nahe – auch wenn seitdem ein halbes Jahrtausend vergangen ist.