Peter Ritter über Aktualität in Reiseführern

"Die Welt vor Ort dreht sich unaufhaltsam weiter"

20. März 2015
von Börsenblatt
Nichts ist so alt wie der Reiseführer vom letzten Jahr: Was tun Verlage, um aktuell zu bleiben? Peter Ritter verrät, wie Lektoren das Problem angehen – und wo Potenzial ungenutzt bleibt.

Wer sich einen Reiseführer kauft, fragt zuallererst nach der neuesten Auflage. Man will schließlich aktuell informiert in den Urlaub fahren. Tatsächlich ist Aktualität in Reiseführern aber eine Fiktion: Die Welt vor Ort dreht sich unaufhaltsam weiter; Restaurants schließen, neue eröffnen, Eintritts­preise ändern sich, Buslinien stellen ihren Dienst ein.
Mit dem Problem des begrenzten Mindesthaltbarkeits­datums haben im Prinzip alle Reiseführer zu kämpfen, besonders virulent ist es bei den Individualreiseführern. Sie sind für Urlauber konzipiert, die ihre Aufenthalte auf eigene Faust planen, vor Ort flexibel sein wollen und deren Interessen über das klassische Sightseeingprogramm hinausgehen. All das bedarf einer gründlichen »infrastrukturellen Stütze«, mit zum Teil sehr kleinteiligen Detailinformationen. Dass »Kleinkram« schneller veraltet als die Eckdaten zu touristischen Sehenswürdigkeiten, liegt auf der Hand: Der Waschsalon um die Ecke kann schon drei Wochen nach der Recherche den Besitzer wechseln und die Preise ändern, der Eiffelturm wird auch in 100 Jahren noch eine exakt 324 Meter hohe Stahlkonstruktion und das Wahrzeichen von Paris sein. Um die Aktualitätslücke nicht allzu groß werden zu lassen, bieten sich drei Verfahren an:

Schnelle Taktung  Möglichst alle zwei Jahre sollte eine Neuauflage des Buchs erscheinen. Wer länger wartet, baut sukzessive Altlasten auf und wird auf Dauer am Markt verlieren.

Prävention  Hier wird von vornherein versucht, potenzielle Aktualitätsfallen aus dem Weg zu räumen. Man verzichtet etwa auf präzise Preise und gibt nur Tendenzen an oder instruiert Autoren, bei sensiblen Angaben sprachliche Bremser einzubauen: »… gleich daneben eine improvisierte, kleine Ausstellung, die möglicherweise nur einen Sommer überlebt«. Letzteres schafft das Problem nicht aus der Welt, dämpft es aber ab. Bei Service-Informationen im Vagen zu bleiben, schafft zwar deutliche Entlastung, birgt aber die Gefahr, Erwartungshaltungen zu enttäuschen. Wer seine verlagsüblichen Standards bricht, kann seine Leser verprellen. Ein bisschen ist das wie beim Autokauf: Man entscheidet sich für das gewohnte Modell mit 27 Sonderfunktionen, auch wenn man davon nur drei ernsthaft nutzt. Haben möchte man aber alle 27 … auch die präzisen Preisangaben.
Nachsorge  Das dritte Verfahren ist klassische Lektoratsarbeit: Das fertige Manuskript wird anhand von Checklisten auf besonders sensible Daten hin überprüft: Öffnungszeiten, Eintritts­preise, Ausstellungen – mithin alles, was zu Recht im Verdacht steht, eine geringe Halbwertszeit zu haben. Entscheidender als alle Checks ist allerdings oft eine enge Autorenbindung: Als Lektor kennt man die Stärken und Schwächen der Autoren und weiß, bei wem wo der Schuh drücken könnte.

Updates gratis  Ergänzt werden diese klassischen Verfahren durch das Internet: Dort stellen viele Verlage mittlerweile Update-Seiten zu ihren Reiseführern zur Verfügung, mit denen sie auf neueste Entwicklungen im jeweiligen Reisegebiet reagieren. Hier kann unabhängig von der Auflagen-Taktung jederzeit nachgebessert werden. Bislang ist das Potenzial aber nicht ausgeschöpft, sind die Seiten meist wenig umfänglich und wirkt die Informationsauswahl ein bisschen beliebig. Das hängt damit zusammen, dass ihre Pflege den Autoren überlassen wird, für die Updates zusätzliche Arbeit ohne entsprechende Aufwandsvergütung bedeuten. Erforderlich wäre ein stärkeres redaktionelles und finanzielles Engagement der Verlage, etwa für den Unterhalt entsprechender Datenbanken. Daraus könnten sich weitere Optionen ergeben, insbesondere der Einsatz von Updates bei Reiseführer-Apps. Aus Nutzerperspektive eine interessantere Variante als die Aufsplittung der Information auf zwei Medien.