Pro & Kontra zum Geschäft mit digitalen Inhalten in Europa

Der pre-digitale Binnenmarkt

15. Oktober 2015
von Börsenblatt
Die EU will einen digitalen Binnenmarkt in Europa schaffen, bewegt sich dabei jedoch auf einer riesigen Baustelle: Interoperabiltät zwischen den Systemen, für viele Vertreter der Buchindustrie ein zentraler Faktor, ist nach wie vor mehr Wunsch – als Wirklichkeit. Ein Panel auf der Frankfurter Buchmesse brachte Politik und Buchindustrie jetzt zusammen.  

Albert Gauthier wählt jedes Wort mit Bedacht. Er arbeitet in der Generaldirektion für Kommunikation, Netzwerke, Content und Technology der EU-Kommission in Luxemburg – lächelt gern, gibt sich trotz aller Kritik offen, bleibt dabei jedoch, wie zu erwarten, unverbindlich: Schon nach der ersten Frage, die ihm gestern während der Podiumsdiskussion  "Interoperabilty – What is it all about?" ("Interoperabilität – worum geht es?") gestellt wurde, war klar, dass er momentan keinen rechten Grund dafür sieht, von seinem Kurs abzuweichen.

Ja, aber

Interoperabilität, der Zugang zu digitalen Inhalten über alle technischen Plattformen und territorialen Grenzen in der EU hinweg: Für Gauthier ist das ein Nischenthema, und da besteht aus seiner Sicht politisch keine große Eile. Die EU nehme die Probleme, die durch mangelnde Interoperabilität entstünden, zwar durchaus wahr, versicherte er – betonte aber zugleich, dass der EU dafür im Moment die Lösung fehlte.

Dass sich daran kurzfristig etwas ändert, ist nach Stand der Dinge mehr als unwahrscheinlich. Gauthier: Wenn drei Prozent der Einwohner der EU digitale Inhalte gern über Ländergrenzen hinweg kaufen und nutzen würden, sei das – auf Kommissionsebene – einfach kein großes, drängendes Problem.    

Nichtstun fördert die Monopolisierung
 
Auf wirtschaftlicher Ebene sieht die Sache anders aus. Ronald Schild, Geschäftsführer der MVB, setzte sich gegenüber Gauthier dafür ein, möglichst zügig Lösungen zu finden. Alles andere würde den Markt bremsen. Interoperabilität innerhalb der EU sei der Schlüssel für die Zukunft, für das Wachstum des digitalen Marktes, sagte er. „Es gibt kein besseres Instrument gegen Monopole als dieses.“ Amazon und Apple schadeten mit ihren abgeriegelten Ökosystemen der Entwicklung und dem freien Wettbewerb – und damit vor allem den Verbrauchern. Gauthier rief er dazu auf, den beiden Unternehmen in ihrem Drängen nach Marktanteilen politisch Einhalt zu gebieten.   

Interoperabilität ist keine Frage der Technik und der Wirtschaft – sondern der Politik:  Nicht nur Schild ließ daran gestern keinen Zweifel. Pierre Danet, bei Hachette Livre für Digitalthemen zuständig und zudem Vorstandsmitglied des European Digital Reading Lab (EDRLAB), argumentierte in die gleiche Richtung, fand noch und noch Beispiele dafür, dass sich alle anderen Vertreter der Buchindustrie – außer Amazon und Apple – seit Jahren um Interoperabilität der Systeme bemühten (das aus seiner Sicht  leuchtenste Bespiel: der Tolino und seine Erfolge in Deutschland).   

Nicolas Georges vom französischen Kultusministerium übernahm auf dem Podium die Vermittlerrolle – indem er einerseits anerkannte, dass das Gros der Medienunternehmen in durchlässige, offene Systeme und Standards (wie EPub) investiert, anderseits auch dafür warb, politisch nichts zu überstürzen, sonder die Dinge nach und nach anzupacken. Sein Standpunkt: Die EU sollte zunächst ihre Reform des Urheberrechts abschließen, sich dann noch einmal die Verbaucherschutzrichtlinie anschauen und für technologische Standards sorgen.

Die Podiumsdiskussion wurde vom Börsenverein in Kooperation mit dem Institut Francais Deutschland organisiert. Die Moderation übernahm Francoise Dubruille, Direktorin der Europäischen  Buchhändlervereinigung. 

Am kommenden Freitag (16. Oktober) rückt das Thema auf der Buchmesse noch einmal in den Fokus: Günther Oettinger, seit einem Jahr Digital-Kommissar in Brüssel, spricht im Rahmen der Konferenz New European Media (NEM) Summit über seine Pläne für einen digitalen Binnenmarkt.