Rede des Journalisten Wilfried Huismann in Berlin

"Freiheit ist nur ein Wort "

16. Juli 2015
von Börsenblatt
"Mich hat geschockt, wie schnell sich flammende Bekenntnisse zum aufrechten Gang als dünner zivilisatorischer Firnis erweisen können, wenn sie auf die Realität treffen": Der dreifache Grimme-Preisträger Wilfried Huismann skizzierte am Donnerstag im Berliner Congress Centrum die Schwierigkeiten mit dem Handel bei seinem "Schwarzbuch WWF" − und bedankte sich bei vielen unabhängigen Buchhändlern, die sein Buch direkt bezogen und angeboten hatten.

boersenblatt.net dokumentiert Wilfried Huismanns Rede im Wortlaut:

In der „Süddeutschen“ las ich vor kurzem, die Farben der Merkelschen Hosenanzüge folgten dem Farbspektrum der bunten Bände der Edition Suhrkamp. Da spürte ich zum ersten Mal so etwas wie Seelenverwandtschaft zu dieser rätselhaften Frau.

Oldenburg 1968: Ich war 17, die NPD feierte in der Stadthalle ihre Wahlsiege, in Vietnam tobte ein grauenhafter Krieg und die Welt wollte irgendwie nicht in meinen Kopf passen. So ging ich manchmal auf Diebeszug durch die drei Oldenburger Buchhandlungen und achtete darauf, den Bestandsverlust an Edition Suhrkamp Bändchen gerecht aufzuteilen. Ich brauchte all die  Brechts, Adornos, Sartres, Abendroths und Blochs, um zu verstehen, was das menschliche Leben auf dem Planeten bedroht und wer es retten könnte. Max Frisch tat die Edition als „Suhrkamp in Dosen“ und als „Suhrkamps Brotaufstrich“ ab, aber genau dieser Brotaufstrich hat mir das Leben gerettet. Ich lernte die  Lust des Begreifens. Verleger Unseld zog sein Projekt durch, der Verlag werde sich „den Luxus und die Leidenschaft einer Linie, also eines klar erkennbaren Konzeptes“ leisten. Die Edition war mehr als ein Spiegel der Zeit, sie prägte sie auch. Wir verstanden den enormen Wert, den öffentliche Kritik an Fehlentwicklungen im Handeln und Denken von Gesellschaften hat. Selbst die beleibte ZEIT war zu klein für ein komplexes Verständnis der Welt. Große Themen passen einfach nur in Bücher hinein.

Mit der dunklen Seite des  WWF hatte ich 44 Jahre später ein Thema, dass ich für groß genug hielt, um daraus ein Buch zu machen. Nur auf den ersten Blick handelt es sich beim WWF um eine Naturschutzorganisation, die brav mit den Panda-Blechbüchsen Spenden für Tiger, Orang-Utans und Eisbären sammelt, geleitet von dem lustigen Prinz Philip, der sich mit dem WWF ein eigenes Weltreich aufgebaut hat, dem einzigen, in dem er herrschen kann, ohne immer erst seine  Gattin fragen zu müssen.

Moderner Ablasshandel

Der WWF entpuppte sich erst bei tieferen Recherchen als Weltmacht der Green Economy. Er hat Zertifikatssysteme für alle wichtigen Rohstoffe geschaffen: Palmöl, gentechnisch verändertes Monsanto-Soja, Zucker, für Holz, Fische, Aquakultur, Biosprit- und demnächst will er auch Finanzanlagen zertifizieren. Das spült Geld in die Kassen, und wäscht gleichzeitig seine industriellen Partner wie Shell, BP, Cargill oder Monsanto von ihren Umweltsünden rein. Als Partner  der großen Energie- und Agrobusinesskonzerne verfügt der WWF über eine ungeheure, verdeckte und durch keine Wahlen legitimierte politische Macht bei strategischen Entscheidungen, die den gesamten Planeten betreffen.

Auf Borneo habe ich mir angesehen, wie das funktioniert. Dort forsten WWF-Aktivisten, finanziert von Krombacher-Bier, den Sebangau-Nationalpark wieder auf, damit dort ein paar Orang-Utans überleben können, unsere „Brüder des Waldes“ , wie es pathetisch in den WWF-Werbespots heißt. Das Problem ist nur: Die meisten Orang Utans leben nicht in den wenigen Nationalparks, sondern in den Regenwäldern ringsum. Die aber werden zur gleichen Zeit abgeholzt, von einem Unternehmen mit dem der WWF ein Kooperationsabkommen zwecks Herstellung von „nachhaltigem und naturverträglichen Palmöl“ hatte. Dieser Konzern darf alleine  in Zentralkalimantan 270.000 Hektar Regenwald abholzen, mit Zustimmung des WWF. Dabei sind mehrere hundert Orang Utans elendig in den Flammen umgekommen. Mit dem „green palm“ Siegel wird das Öl der Pflanzen salonfähig und kann in Europa als Brennstoff im Rahmen der „Regenerative Energien“- Verordnung verkauft werden. So sieht Ablasshandel im 21. Jahrhundert aus. Die Konzerne brauchen die Handlangerdienste des WWF immer mehr, um ihr landgrabbing und die Vernichtung der letzten natürlichen Habitate der Welt politisch durchsetzen zu können. Indonesische Umweltschützer nennen diese Methode schlicht „Ökoimperialismus“.  Ich denke, Sie verstehen jetzt, warum der WWF so ungewöhnlich scharf gegen das Schwarzbuch WWF vorging. Er fürchtete um die Glaubwürdigkeit der Marke Panda, die so populär ist wie Coca-Cola- und auch so profitabel.

„Abfallprodukt“ Sachbuch?

Das Thema war mir eigentlich zu groß für eine 45-Minuten ARD-Dokumentation. Dabei geht vieles verloren, weil die Filmzeit zu knapp ist für ein komplexes Verstehen, weil Film der Erscheinungsebene verhaftet bleibt; das Buch kann dagegen zum Wesen einer Sache vordringen. Was ist PR, was ist die Seele des WWF? Um das zu begreifen, muss man seine Geschichte kennen, die Rolle , die Konzerne wie BP und Shell als Geburtshelfer spielten; aber auch die Rolle von Prinz Bernhard der Niederlande, der sein altes Netzwerk aus seiner Zeit bei der IG Farben und der SS mitbrachte, als er 1962 die Präsidentschaft des WWF übernahm. Das Thema verlangte nach einem Buch, aber mir war klar, dass es keinen Verlag geben würde, der bereit gewesen wäre, das Abenteuer dieser Recherche zu finanzieren. Also ging ich gleich zum  Fernsehen. Dort gibt es immerhin noch Redaktionen, die sich für investigative Themen interessieren und die Recherchen finanzieren. In diesem Fall fast ein Jahr lang.

Ein Sachbuch wird von Fernsehjournalisten oft als „Abfallprodukt“ einer Fernsehstory gesehen. Selbst Verlagsmitarbeiter benutzen diesen verräterischen Begriff manchmal, ohne rot zu werden. Sie sind ja auch Kaufleute, stehen als Einzelverlage in einem Konzern so unter Druck, dass sie froh sind, wenn das Fernsehen die journalistische Arbeit finanziert und sie durch die Ausstrahlung dann noch eine gratis Werbung fürs Buch bekommen. Ein guter Deal? In diesem Fall hat es halbwegs funktioniert, weil ich von Anfang das Buch im Kopf hatte und auf meinen Reisen durch das grüne Empire vieles gesammelt habe, was ich für den Film niemals gebraucht hätte. Manche „Bücher zum Film“ sind allerdings zum Heulen, sie schmecken wie mit Wasser gestreckter Pudding.

Als ich also mit meinem „Abfallprodukt“ beim Gütersloher Verlagshaus auftauchte, hatte ich das Glück, dass in einem Schwesterverlag innerhalb der Random House Gruppe kurz zuvor die Bibel der zukünftigen Pegida-Bewegung erschienen war, „Deutschland schafft sich ab“, des Berliner Denkers Thilo Sarrazin. Das ist scharfe Munition für Salonrassisten aller Art, aber mit einer Traumauflage von über 100.000 wie mir Verlagsmitarbeiter stolz aber auch mit  Schamröte im Gesicht gestanden. Zeit für ein kleines aufklärerisches Gegenstück auch wenn es nicht besonders viel Gewinn versprach. Die Mischung macht es, wie in einem Supermarkt, der alles verkauft: Handgranaten neben Friedenstauben, alles da. Na gut, ich dachte mir frei nach Erich Kästner „Entweder man lebt, oder man ist  konsequent“ und war letztlich froh, einen Verlag mit einem potenten Vertrieb und einem kriegserfahrenen Justitiariat  an der Seite zu haben, hatte der WWF doch schon gegen den Film „Der Pakt mit dem Panda“ mehrere einstweilige Verfügungen von der Kette gelassen.

Das erschütterte den Chefjustitiar von Random House,  Rainer Dresen, nicht im Geringsten. Er freute sich wie ein Schneekönig auf das Duell, denn sein Gegner würde kein geringerer sein als Professor Christian Schertz aus Berlin, ein Star der Szene und Matador vor Gericht, vor allem wenn es darum geht, die Mächtigen, Reichen und Schönen der Republik vor den hinterhältigen Übergriffen der Medien zu beschützen. Dresen machte sich ans Werk und reinigte mein Buch mit eisernem Rechen von allzu klaren Formulierungen. Das tat schon ein bisschen weh, aber ich wusste, dass uns nichts anderes übrig blieb, denn der Wind in den Pressekammern der deutscher Landgerichte weht den Medien so eisig ins Gesicht wie vielleicht zuletzt in den  restaurativen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Abbau der Pressefreiheit

Ein Beispiel aus den insgesamt etwa 20 Verhandlungen, die ich in vier Jahren bei der Verteidigung von Buch und Film miterlebt habe: Über Monate ging es unter anderem um den O-Ton des indischen Tigerexperten Ullash Kumar. Er kritisierte, dass der WWF die indische Regierung dazu überredet hatte, ein paar hunderttausend Adivasi, die ursprünglichen Bewohner der Wälder, mit Gewalt umzusiedeln, angeblich, um die Tiger zu schützen. In Wahrheit habe er das getan, um den kommerziellen Ökotourismus anzukurbeln. Ich hatte selbst eine WWF-Tigersafari im Kanha Park mitgemacht, um den Vorwurf zu überprüfen. Dort dürfen jeden Tag 155 Jeeps voll mit Ökotouristen acht Stunden lang durch die Kernzone des Tigerreservates fahren, kreuz und quer auf extra befestigten Wegen, die einer Urwald-Autobahn gleichen. Ullash Kumar beendete seine Analyse mit diesen Worten: „ Die Eingeborenen werden aus dem Wald verjagt. Stattdessen holt der WWF Massen von so genannten Ökotouristen in den Wald“. Diesen letzten Satz darf ich nicht mehr verbreiten. Für die Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Die Äußerung, so das Gericht, verletzte das „allgemeine Unternehmenspersönlichkeitsrecht“. Zwar habe Autor Huismann die strittige Äußerung nicht selbst getätigt, sie sei ein Zitat des Umwelt-Aktvisten Ullash Kumar „Da sich die Beklagten indes hiervon nicht distanzieren, ist es ihnen anzurechnen.“ Weiter sagt das Gericht: „Der WWF betreibt unstreitig keinen Ökotourismus im großen Stil… Der Durchschnittsrezipient wir die Aussage nicht als bloße Folge der Förderung von Tigerreservaten verstehen, sondern von einem aktiven auf Tourismus gerichteten Verhalten des WWF ausgehen. Insoweit liegt mithin eine unwahre Tatsachenbehauptung vor, die die Klägerin nicht dulden muss." Dabei haben wir in dem Film im Umfeld des inkriminierten Zitates mit Bild und Kommentar deutlich gesagt, dass der WWF nicht der einzige Anbieter von Tigersafaris ist, sondern dass es „verschiedene“ Anbieter gebe. Das ändert nichts daran, dass der WWF – und darauf ist er stolz-  nachweisbar die Tigerpolitik des indischen Staates seit den 70Jahren konzipiert- und teilweise auch umgesetzt hat. Auf seinen Webseiten bietet er nach wie vor eigene Tigertouren nach Indien an- für ca. 10.000 Dollar pro Nase. Trotzdem steht am Ende ein nicht mehr anfechtbares Fehlurteil der Berufungsinstanz, dem ich mich zu unterwerfen habe.   

Die Gewichtung in der Rechtsprechung der Pressekammern hat sich in den vergangenen 20 Jahren- die kann ich einigermaßen überblicken- langsam verschoben, millimeterweise, schleichend- weg von der Freiheit der Kritik hin zu einer geradezu missionarischen Überbewertung der Persönlichkeitsrechte von Unternehmen und Personen. Das ist im angelsächsischen Raum nicht so und auch der Europäische Gerichtshof hat im Juli 2014 die Fehlurteile sämtlicher beteiligter deutschen Gerichte im Rechtsstreit Bildzeitung gegen Gerhard Schröder aufgehoben. Diese Urteile seien eine „Verletzung der Rechte auf Meinungsfreiheit“ und hätten eine „abschreckende Wirkung“ auf die Ausübung der journalistischen Meinungsfreiheit.  

Die veränderte deutsche Rechtspraxis hilft großen Unternehmen und mächtigen Politikern immer häufiger dabei, ein kritisches journalistisches Produkt  kaputtzumachen. Mit ihrem Geld können sie Prozesse jahrelang am Kochen halten, und in den Medien die Justitiare und auch die Redaktionen  damit zermürben und lahmlegen- auch wenn sie am Ende verlieren. Das führt dazu, dass einige Rechtsabteilungen schon im Vorfeld das Gegenteil von dem tun, was sie eigentlich tun sollten: Sie kämpfen nicht, sondern versuchen die Autoren und Redaktionen zu einer Art  Vorzensur zu überreden, um Schäden vom Sender fernzuhalten. Das könnte dann so aussehen: „Ihr Zeuge sagt: der WWF ist mitverantwortlich für das Abholzen der letzten großen Regenwälder. Relativieren Sie das, indem Sie sich von der Aussage zu distanzieren. Etwa so: Der WWF dagegen sieht seine Kooperation mit dem Palmölkonzern als Versuch, gemeinsam mit seinem Partner-Unternehmen die wertvollsten Wälder vor der Vernichtung zu schützen. So ein Satz tut Ihnen doch nicht weh und dann sind wir fein raus.“ Ich hasse diesen vorauseilenden Gehorsam wie die Pest, weil er mich dazu zwingt, meine eigene Haltung zu verwässern und weil er meine Quellen, die mir vertraut haben, diskreditiert. Auch so kann die Freiheit der öffentlichen Kritik  Stück für Stück demontiert werden. Das ist nicht gut für die Medienkultur.

Der  Buchhandel kuscht

Eine Woche nach dem Erscheinen des Buches im April 2012, und bevor der WWF gerichtliche Schritte eingeleitet hatte, erhielten die marktbeherrschenden Unternehmen des Buch-Großhandels, Buchketten und Online-Händler ein Schreiben von WWF-Anwalt Prof. Christian Schertz. So auch die Geschäftsführung von Amazon.de GmbH.: „Sie vertreiben das im Gütersloher Verlagshaus erschienene Buch mit dem Titel „Schwarzbuch WWF“ des Autoren Wilfried Huismann. In dem Buch sind diverse diffamierende Falschbehauptungen enthalten. Unserer  Mandantschaft stehen daher umfängliche Unterlassungsansprüche gegen sämtliche Störer zu…. Namens und in Vollmacht des WWF Deutschland haben wir Sie daher aufzufordern…. es bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom WWF Deutschland zu bestimmenden Vertragsstrafe , die gegebenenfalls vom zuständigen Landgericht zu überprüfen ist, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen:“

Es folgt eine Auflistung von 10 Tatsachenbehauptungen aus dem Buch. Ohne Nachfrage beim Verlag nahmen Amazon und ebenfalls der Buchgroßhandel insgesamt das Buch sofort aus dem Programm. Viele Buchhändler allerdings wehrten sich, bezogen das Buch direkt vom Verlag und verkauften es weiter, so wie die  Osiander-Buchhandlungen. Diese mutige Haltung war für mich damals sehr wichtig, ein Licht im Tal der Finsternis. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Die Lage war kritisch, das Buch war weg und keiner hat es gemerkt. Denn auch einige schon geschriebene Buchrezensionen blieben in den Schubladen, weil dem Redaktionschef die Sache zu brenzlig geworden war. Es hieß dann: Lasst uns noch warten. Wenn wir jetzt vorpreschen und dann herauskommt, dass dieser Huismann nur so ein Verschwörungs-buff ist?  Wenn er verliert, wie stehen wir denn da? Das zeigt, wie effektiv die Selbstzensur funktioniert.

Mich hat geschockt, wie schnell sich flammende  Bekenntnisse zum aufrechten Gang als dünner zivilisatorischer Firnis erweisen können, wenn sie auf die Realität treffen. So vergingen die Tage, bis am 28.Mai 2012 als erster Lars Langenau von der Süddeutschen Zeitung seinen Artikel „Die dunkle Seite des WWF“ platzierten konnte, in dem er darauf hinwies, dass in Deutschland ein Buch de facto verboten werden kann − und das ohne Gerichtsbeschluss. Reaktionen des Buchhandels auf den Artikel: Keine. Am 3. Juni legte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nach und kam mit der Titelgeschichte auf den Markt: „ Buchhandel kuscht vor WWF.“  Autsch, das tat weh. Die FDP-Fraktion im Bundestag ließ in dem Artikel mitteilen, die „Meinungsfreiheit“ sei durch das „kollektive Einknicken der Buchhändler praktisch beschränkt“ worden. Die Verantwortlichen mussten die Deckung verlassen, denn auch im Ausland erschienen erste Artikel über ein Buchverbot im Land der Bücherverbrennung. Die FAZ hatte einen empfindlichen Nerv getroffen und die Geschäftsführung der Thalia-Kette versuchte es mit einer ganz pragmatischen Rechtfertigung: Man habe nur sicherstellen wollen, „dass wir nur rechtlich unstrittige Titel im Sortiment führen“. Ein Satz, der harmlos daherkommt, aber eigentlich alles noch schlimmer macht. Sollen die Leser in Zukunft nur noch „unstrittige Titel“ kaufen können? Dann würde es ja reichen, wenn Thalia sich auf der Website eine „DELETE“ Box zulegt. Jeder beliebige mächtige Mann, oder Konzern, oder Drogenboss, oder FIFA-Präsident könnte dann − ohne ein Gericht bemühen zu müssen − mitteilen, dass er diesen und jenen Titel für „strittig“ halte und schwupps verschwindet das Buch aus dem Sortiment.

Sündenablass für Verlage

Die Titelgeschichte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung brach den Bann. Alle Medien sprangen auf das Thema an und der Buchhandel beendete unter dem öffentlichen Druck seinen Boykott. In den zwei Wochen, bevor es zur ersten Verhandlung vor dem Kölner Landgericht kam, wurden nahezu 20 Tausend Exemplare verkauft. Vor Gericht konnte der WWF kein Verbot des Buches durchsetzen, oder auch nur einen der zentralen Kritikpunkte widerlegen. Im vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich musste der WWF die Kernaussagen des Buches akzeptieren. Aber gegen Ende der Vergleichsverhandlungen legte er auf einmal den Entwurf einer „gemeinsamen Erklärung“ auf den Tisch, die der Verlagschef von Random House  doch bitteschön unterschreiben möge. Darin hieß es unter anderem: „Beide Seiten betonen grundsätzlich: dass der WWF die Umwelt schützt und die Natur bewahrt…dass der WWF  weltweit große Erfolge im Waldschutz errungen hat….“ Es folgen sieben weitere Bekenntnisse zu den großartigen Leistungen oder zumindest guten Absichten des WWF, bis am Ende der Satz auftaucht, der mich stutzig machte: „Beide Seiten können sich nun wieder ihren Kernaufgaben zuwenden und ihre Zusammenarbeit bei der Umstellung des Verlages auf nachhaltiges Papier, die seit 2010 besteht, vertiefen.“ 

Was war das denn? Da spielt der WWF am Ende genau das Spiel, das ich im Buch selbst beschrieben hatte: Multis  – darunter sind natürlich auch alle großen Zelluloseverbraucher der Welt − vernichten die Wälder und brauchen deswegen ein vom WWF abgesegnetes Zertifikat, um das eigene Gewissen zu beruhigen und um öffentliche Kritik fernzuhalten. Eine Art Erpressungsversuch? Vielleicht. Ich kann nicht beantworten, ob und was da hinter den Kulissen verhandelt wurde. Der Verlag hat sich gottseidank nicht darauf eingelassen, diese obszöne Erklärung zu unterzeichnen. Aber den ersten Einschüchterungsversuch gegen Random House hatte es, wie ich jetzt erfuhr, schon gegeben, bevor das Buch in den Druck ging, nach dem Motto: Wir beide sitzen doch im selben Boot − da kann doch eine Krähe der anderen nicht plötzlich ein Auge aushacken. Nein, das gehört sich nicht. Schließlich ist Bertelsmann weltweit der größte Partner des WWF bei der Durchsetzung des FSC-Zertifikates.

Und ich selbst, was plusterte ich mich moralisch auf − irgendwie saß  ich doch auch mit in dem Boot. Bin ich nicht genauso mit schuld am Abholzen der Wälder? Je mehr verkauft wird, desto schlechter müsste also mein Gewissen werden. Aber das Gegenteil ist der Fall: Je mehr verkauft werden, desto besser fühle ich mich. Auch Autoren sind, wie Verleger janusköpfige Wesen: Sie wollen das Gute in die Welt tragen, andererseits sind sie Kaufleute und müssen Geld verdienen, sonst werden sie abgewickelt. Deswegen haben wir ein – wenn auch beschränktes − Recht auf Verdrängung und vielleicht auch deswegen schaute ich mir erst nach dieser seltsamen Vergleichsverhandlung die letzte Seite meines gedruckten Buches an und entdeckte tatsächlich den Stempel des vom WWF initierten Gütesiegels, der  Forest Stewardship Council. Schlimmer noch: Es war nur die  Aldi-Version des Zertifikates: „FSC-Mix. Papier aus verantwortungsvollen Quellen.“ Bei Mix müssen nur 10% der Zellulose aus nachhaltigem Holzeinschlag stammen. Weiß aber keiner, kollektive Amnesie. Ich wäre vor Scham fast im Boden versunken. Hatte ich doch im Buch selbst beschrieben, das das Siegel, ursprünglich gegründet, um Naturwälder nachhaltig zu bewirtschaften, durch den weltweit viel zu hohen Papierverbrauch längst ausgehöhlt und pervertiert war. Dem WWF entkommt man nicht.    

Immerhin hatte das Buch es nun bis zum Leser geschafft. Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Der WWF hat den weltweiten Vertrieb weitestgehend lahmgelegt. Ein Beispiel: Ein niederländischer Verlag hat − noch von Random House – die Lizenz für eine niederländische Sprachfassung erworben. Der Verleger ging dabei konspirativ vor. Ich durfte ihm nicht einmal eine E-Mail schreiben und den Kontakt nur über den Übersetzer halten. Das erschien mir alles doch ein wenig übertrieben. Aber mir wurde gesagt: Der WWF ist in den Niederlanden noch mächtiger als in Deutschland. Prinz Philip war der erste Präsident von WWF International, danach kam sein Freund, John Loudon, Aufsichtsratsvorsitzender der Royal Dutch Shell. Viele niederländische Finanz-und Wirtschaftsbosse sind Mitglied im „Club der 1001“, der das Headquarter des WWF mitfinanziert. Die niederländische Übersetzung ist seit einem Jahr fertig, das Buch ist allerdings nicht erschienen. Der Verleger sagt, er sei unter Druck gesetzt worden. Wörtlich: „Wenn es um den WWF geht, hört in den Niederlanden die Demokratie auf."

Ich wünsche mir starke Verlage

Was ich mir von Ihnen wünsche, wollte Herr Skipis wissen, als er mich zu dieser Veranstaltung einlud. Ich weiß es nicht. Ich kann nur die Lage aus meiner Sicht am Ende der Nahrungsmittelkette beschreiben und hoffen, dass Sie selbst darüber nachdenken, ob Sie im Bereich Sachbuch Resteverwerter des Fernsehens und Abgreifer bei den vielen neuen selfpublishing-Autoren sein, oder ob Sie die geistige Hoheit bei der öffentlichen Kritik an Missständen und grundsätzlichen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zurückgewinnen wollen.  

Gute Buchthemen fallen nicht vom Himmel. Wer sich als Autor mit aller Leidenschaft und Leidensfähigkeit, die man von ihm erwartet, auf einen Stoff einlässt, dann ist er damit im Regelfall alleine und oft recht einsam. Verleger sind am Kauf und Verkauf von Rechten interessiert und von den Autoren, den Rechte-Gebärern, erwarten sie, dass sie gefälligst liefern. Mit der Schwangerschaft wollen sie nichts zu tun haben, mit der Zeugung erst recht nicht. Komisch nicht? Ist doch Zeugung beim Kindermachen meistens das Beste und selbst recherchierte Geschichten sind am Markt hoch begehrt.  

Ich träume von einer Art Investigativ-Ressort für Bücher, an das ich mich wenden kann, wenn ein Thema zu groß für einen Einzelnen ist. Das ist bei investigativen Themen normalerweise der Fall. In so einer redaktionellen Clearing-Stelle könnten Themen gesetzt, diskutiert und entwickelt, Recherchen finanziert werden. Sonst werden viele gute und wichtige Themen nicht zu Ihnen kommen und viele, gerade junge Autoren, die mit den antiquierten Methoden des Buchgeschäftes nicht vertraut sind, bekommen nie eine Chance, ihre Geschichten zu verwirklichen.   

2014 habe ich gemeinsam mit zwei Bremer Kumpeln die englischsprachigen E-Book-Rechte am Schwarzbuch WWF erworben, vor kurzem überließ mir das Gütersloher Verlagshaus alles fremdsprachlichen Rechte an dem Buch. Ein schönes Geschenk- aber heiß wie eine Kartoffel. Was tun damit?  Das englische E-Book ist im Herbst 2014 in unserem Selbstverlag names Nordbook UG, also einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, unter dem Titel „Pandaleaks − The dark  side of the WWF“ erschienen. Ein riskantes Unterfangen. Zwar hatte der WWF sich bei dem Vergleich dazu verpflichtet, nie wieder gegen das Buch zu klagen- aber das gilt nur für den deutschen Rechtsraum. Bei einer globalen Ausgabe hätte der WWF die Möglichkeit in einem anderen Land seiner Wahl vor Gericht zu gehen. Bislang hat er sich allerdings nicht getraut.

Unser Versuch, mit einem E-Book den Raubbau an den Regenwäldern zu bremsen, ist dabei kläglich gescheitert. Entgegen allen Erwartung haben 70% der Kunden nicht das elektronische „Pandaleaks“-Buch bestellt, sondern das doppelt so teure Book on Demand auf Papier. Das war unsere erste Lehre. Die zweite: Trotz des Korbes für das E-Book funktioniert das analoge Buch sehr gut in der digitalen Welt des Internet. Denn es ist ein Debattenbuch geworden. Wir haben für „Pandaleaks“ ein digitales Umfeld geschaffen. Im Zentrum steht eine eigene Website, die neue Informationen nachliefert und auch für Kommentare offensteht. Sie ist mit den social media, vor allem mit Twitter, vernetzt. So ist ein Netzwerk hochkompetenter Menschen aus NGO-Aktivisten, Wissenschaftlern und freien Journalisten aus aller Welt entstanden, die zum Wachstum des Buches beitragen. Es bildet sich eine Art WWF-watch. So macht crossover Sinn. Dabei ist das Buch kein Nebenprodukt, sondern Flaggschiff und Referenz einer tiefen, vom Internet demokratisierten und globalisierten Debatte. Von den meisten, die sich daran beteiligen, hatte ich vorher noch nie gehört. Darunter sehr viele Menschen, die sich mit dem Völkermord an Indigenen Völkern beschäftigen, der überall stattfindet, wo das  Agro-und Energiebusiness wie ein Tsunami durch ihre Lebensräume fährt − beraten und begleitet von seinem Juniorpartner WWF. Selbst Angehörige eines betroffenen Pygmäen-Volkes aus Uganda haben uns geschrieben.

Oder ein ehemaliger Angestellter des WWF-Hauptquartiers in der Schweiz, der sich meldete, nachdem er von dem Buch „Pandaleaks“ durch eine Besprechung im Guardian erfahren hatte. Der Mann hat uns erzählt, dass Prinz Philip Ende der 80er Jahre von der Furcht besessen war, das Apartheidregime, als letzte weiße Bastion in Afrika, könnte fallen. Der Insider überließ uns Dokumente, wonach über verdeckte Konten WWF-Gelder nach Südafrika verbracht wurden, um das Apartheidregime in seinem Kampf gegen den ANC zu unterstützen. Mit dem Geld wurden ehemalige britische Elitesoldaten finanziert, die im Krüger-Nationalpark Söldner ausbildeten. Die wurden dann nach Aussage des Zeugen als irreguläre Killerkommandos gegen die schwarze Befreiungsbewegung eingesetzt. Möglicherweise ein  Kriegsverbrechen, das man unbedingt untersuchen sollte. So entstehen neue Stoffe für neue Bücher. Aber wollen wir das als aus der Not geborene  Selfpublisher? Wir hätten nicht das standing, die Macht und den juristischen Schutz, den man für solch ein Unterfangen braucht. Stellen Sie sich vor, wir hätten das „Schwarzbuch“ WWF im Selbstverlag gemacht- als GBR etwa, bei der man auch mit dem Privatvermögen haftet. Wir wären damit untergegangen. Richtige, große und starke Verlage sind unersetzlich. Ihre Macht, ihr Geld, ihre Rechtsabteilung sind ein Garant der Meinungsfreiheit. Alles andere wäre naiv. Diese Rolle müssen Sie aber auch wahrnehmen. Denn darin liegt die moralische Daseinsberechtigung der Verlage.  

Gute Freunde raten mir sehr davon ab, mich noch einmal mit dem Panda anzulegen und erinnern an die alte Indianerweisheit: Man steige  vom Pferd, eh es tot ist. Andererseits fällt es mir schwer, Ruhe zu geben. Das liegt bestimmt an dieser verdammten Edition Suhrkamp. Oder vielleicht doch nur an  Merkels Hosenanzügen?

Huismanns Rede gibt es als Download (PDF) auf der Seite des Börsenvereins.