Regionalkrimis sind umstritten – aber lohnend

Regionales Treibgut

26. Januar 2017
von Sabine Schmidt
Kritiker schätzen ihn nicht besonders, doch Leser tauchen mit ihm gern in eine Welt ab, die klein und überschaubar ist: Am Regionalkrimi scheiden sich die Geister. Das gilt auch für den Buchhandel.

Jeder Krimi braucht seinen Tatort und wenn der mehr ist als Kulisse, kann es sich um einen Regionalkrimi handeln: Der Schauplatz wird sichtbar genutzt für die Handlung, die Figurengestaltung, die Atmosphäre – so lautet jedenfalls eine der grundlegenden Bestimmungen.

Maßgeblich war einmal die deutsche Provinz, und bis heute ist die Horrorvorstellung der Kritiker das Provinzielle, das sich in den Hausschuhen des Ermittlers und seiner Strickjacke mani­festiert: das Spießige, der begrenzte Charme, die engstirnige Heimatliebe, die keinen weiten Horizont zulässt.

Oft wird darüber geklagt, dass es zu viele Regionalkrimis gibt. Bereits 2012 hat Axel Hacke sich in der "Süddeutschen Zeitung" stellvertretend für manch anderen beschwert: "Erst wenn der letzte deutsche Lehrer und der letzte deutsche Journalist einen Regionalkrimi geschrieben hat, werdet ihr merken, dass man's auch übertreiben kann."

Der Emons Verlag fühlt sich hier nicht angesprochen. "Es gibt keinen Widerspruch zwischen Regionalität und Qualität. Kriminalromane werden nicht dadurch besser oder schlechter, dass sie an authentischen Schauplätzen spielen", so Cheflektorin Stefanie Rahnfeld. Emons ­bleibt bei der Titelzahl, die sich in den vergangenen Jahren für den Kölner Verlag bewährt hat: In diesem Jahr bringt allein er rund 140 Krimineuerscheinungen heraus, deren Tatorte und -regionen auf den Covern annonciert werden. Es sind Thüringen- und Heidelberg-, Berlin- und Nizza-Krimis. "Besonders beliebt sind die Küstenregionen, die Alpen und auch ­Baden-Württemberg", erklärt Rahnfeld.

Auf das Wort »Krimineuerscheinung« legt sie großen Wert: Von "Regional­krimis" im Sinn eines Subgenres will sie nicht sprechen. "Mit unseren Titeln decken wir das gesamte Feld des Kriminalromans ab, leichte Urlaubslektüren sind ebenso dabei wie Thriller mit politischen Themen." Hinzu komme eben nur, dass der Schauplatz eine Rolle spiele.

Kritiker lassen sich vom großen Angebotsspektrum eher nicht überzeugen, Buchkäufer dagegen schon. "Unsere ­Autoren sind auch ohne Unterstützung durch das Feuilleton erfolgreich", sagt Rahnfeld und nennt als Beispiel Hannes Nygaard mit seinen "Hinterm Deich"- und Niedersachsen-Krimis.

Viel hat sich getan, seit Jacques Berndorf in den späten 80er Jahren mit seinen Eifel-­Fällen den Startschuss für die kriminelle Liebe zur Region gab. So wie andere Verlage auch, lässt Gmeiner heute nicht mehr nur in der deutschen Provinz morden, sondern ebenso in deutschen Städten, zudem in der Schweiz, in Österreich und darüber hinaus. 2017 bringt der Verlag aus Meßkirch 84 neue Krimis heraus, die einem Ort oder einer Region besonders verpflichtet sind.

"Die Fans sehen im Regionalkrimi eine Art Rückzugsort ins Vertraute. Und schätzen es als Vielleser, dass es laufend Nachschub gibt", sagt Gmeiner-Pressereferentin Petra Wendler. Auch sie be­obachtet ein konstantes Interesse bei den Buchkäufern. Die erfolgreichsten Autoren bei Gmeiner sind aktuell die Österreicherin Claudia Rossbacher mit ihren Steirer-Krimis und Manfred Bomm mit Tatorten in Schwaben.

Im inzwischen weiten Feld der Regionalkrimis gibt es auf der einen Seite zahlreiche Nachahmer­produkte, auf der anderen Seite aber auch Einzeltäter, die sich absetzen. Rita Falk zum Beispiel, die fast in einer eigenen Liga spielt: nicht nur wegen der Millionenauflage ihrer Bücher, sondern auch, weil sie nicht mit einem detail­getreu beschriebenen, realen Dorf ins Schwarze trifft, sondern mit einem ­Fantasieort.

Falks Geschichten über den Polizisten Franz Eberhofer sind im fiktiven Niederkaltenkirchen, einem Ort mit niederbayerischem Kolorit, angesiedelt. dtv nennt sie "Provinzkrimis" – und diese Art der Provinz ist bundesweit erfolgreich, auch als Live-Event. "Allein die Buchpremieren im Zirkus Krone besuchen bis zu 3 000 Zuhörer, das sind oft Familienausflüge: Kinder, Eltern, Großeltern", berichtet Programmleiterin Bianca Dombrowa.

Niederkaltenkirchen sei eben irgendwie auch ein Sehnsuchtsort, vermutet Dombrowa: überschaubar und gemütlich, ein Dorf, in das sich Leser gern für ein paar Stunden vor einer unübersichtlichen, überfordernden Wirklichkeit flüchten, Professoren ebenso wie Bürokaufleute.

Das Augenzwinkern – Eberhofer-Fälle sind Parodien auf den Regionalkrimi – erhöht den Reiz. Das ist auch so bei den Küsten- und Insel-Krimis des dtv-­Autors Krischan Koch, der zwar nicht Falks Auflagenhöhe erreicht, aber immer mehr Leser hinzugewinnt: "Ich sehe nicht, dass das Interesse an seinen oder an Rita Falks Krimis abflaut – im Gegenteil", so Bianca Dombrowa.

Kiepenheuer & Witsch verlegt keine in Deutschland verorteten Regional­krimis, dafür Fälle, die französische und italienische Tatorte auf dem Cover ankündigen. Der Verlag spricht hier nicht von Regional-, sondern von Urlaubs- oder Destinationskrimis. "Der Fokus liegt nicht allein auf der Region. Uns ist wichtig, dass Krimis auch politisch oder gesellschaftlich relevante Themen verhandeln", betont Programmleiter Martin Breitfeld. Durch die Resonanz sieht er sich bestätigt: Jean-Luc Bannalec mit seinen bretonischen Krimis etwa wird auch im überregionalen Feuilleton wahrgenommen.

Es gibt noch andere Krimis mit regionalen Schwerpunkten, die bundesweit Beachtung finden und in gro­ßen Stückzahlen verkauft werden: die Ostfriesen-Fälle von Klaus-Peter Wolf, die Allgäu-Tatorte von Volker Klüpfel und Michael Kobr oder die Alpen-Krimis des Kabarettisten Jörg Maurer, denen mancher Leser gern auch literarische Qualitäten zuspricht.

Andere hingegen bekommen Aufmerksamkeit vor allem dort, wo sie verortet sind. In der Schatzinsel beispielsweise, der Solinger Buchhandlung von Ingo Klaus, greifen Kunden auch zu Krimis, die in der näheren Umgebung spielen, in Solingen oder im Bergischen Land. "Von solchen Titeln verkaufen wir durchaus große Stapel", sagt Buchhändler Ingo Klaus. "Sie sind Selbstläufer, müssen einfach nur gut platziert werden. Aber auch hier setzen sich die besser geschriebenen Bücher eindeutig durch."

In der Wolf'schen Buchhandlung in Erfurt sind es Thüringer Mordgeschichten, die Leser ansprechen – und zudem Ostsee-Fälle, weil die Kunden gern dorthin verreisen. Stark nachgefragt sind die Titel bei Inhaberin Teresa Förster allerdings nicht. Sie verkauft nur einige wenige Exemplare, schätzt die regionale Variante aber dennoch, "weil sie eben doch den einen oder anderen Kunden anzieht." Entsprechend sind Thüringen- und Ostsee-Krimis in ihrer Buchhandlung präsent.

Deutlicher als die Liebe zur Heimat schlägt sich Urlaubsstimmung in Verkaufszahlen nieder, in der Buchhandlung an der Wilhelmine in Westerland zum Beispiel. Alpen-Titel werden dort zwar nur in Einzelfällen nachgefragt, Sylt-Krimis sind dagegen heiße Ware, "wie die Titel von Gisa Pauly oder Eva Ehley", sagt Buchhändlerin Verena Liedelt.

Touristen mögen es, wenn in ihrer Urlaubsregion gemordet wird, allerdings nicht um jeden Preis. Wie bei den Heimatkrimis legen Leser auch hier großen Wert auf Detailgenauigkeit. Eine Bank muss an einem bestimmten Deichabschnitt wie in der Realität weiß und nicht grün sein, und noch die letzte Ampel sollte richtig blinken, weiß Liedelt. "Man muss merken, dass ein Autor sich bei uns auskennt."

Die teuren Strände des Nordens sind im Rheinland ebenfalls en vogue: "Sylt- Krimis verkaufen wir im Sommer sehr gut", so Buchhändlerin Elke Böttcher von Böttcher & Bolland in Düsseldorf. "Auch die Ostfriesen-Krimis von Klaus-Peter Wolf und Alpen-Fälle sind bei unseren Kunden beliebt" – Urlaubsstimmung und ein bisschen Fernweh sind gut fürs Regionalkrimi-Geschäft. Für den Düsseldorf-Bezug spielen insbesondere die Krimi-Cops eine Rolle: schreibende Polizisten, die mit ihren witzigen Lesungen die Kunden von Bolland & Böttcher überzeugen.

Ähnlich wie am Rhein ist es an der Spree: Nord- und Ostseefälle sind in der Berliner Krimibuchhandlung Miss Marple beliebt. "Von den Küsten-Titeln verkaufe ich in der Regel etwa zehn Stück", sagt Cornelia Hüppe. Usedom-Krimis hat sie vorrätig. Ebenso den einen oder anderen Titel aus anderen Regionen, Franken zum Beispiel, weil immer mal wieder ein Kunde danach fragt.
Regionalkrimis sind für Hüppe keine großen Umsatzbringer, aber sie hat sie im Blick. Dennoch gehört die Krimispezialistin zu denjenigen, für die das Übermaß der Regionalfälle eher ein Reiz­thema ist. "Es gibt zu viele, vor allem zu viele schlechte", betont sie im Einklang mit den Kritikern. "Die Kunden mögen sie ebenso wenig wie ich."

Nur weil ein Krimi mit einem Ort oder einer Region auf dem Cover wirbt, gewinnt er nicht automatisch Leser. Die Nachfrage steigt dann, wenn die Geschichten gut und die Charaktere stark sind.