Sachbuch

Macht und Vermächtnis

17. Januar 2008
von Börsenblatt
Revoluzzertum und Religion, Geheimdienste und Starkarrieren, Klimawandel und sozialer Abstieg – die großen Themen der Frühjahrsprogramme.
Mythos 1968 Hat es jemand vielleicht noch nicht gemerkt? 2008 wird wieder ein großes Selbstvergewisserungsjahr der 68er, die so schnell historisch geworden sind. Zum 100. Mal werden wir nun von Dutschke und Vietnam-Protest, von Kauf­hausbrandstiftung und sexuellen Barrikadenstürmen lesen. Wer es noch hören kann, dem verspricht die kommende Buchproduktion aber endlich einmal mehr als Veteranen-Nostalgie auf der einen, simples Bashing auf der anderen Seite: nämlich Historisierung und den Blick auf weitere historische Zusammenhänge. Allem voran »Unser Kampf«, das provokant betitelte Buch von Götz Aly, der mit seinen faktendichten Untersuchungen ein ums andere Mal der etablierten historischen Wissenschaft auf die Sprünge half. 1968 analysiert er weniger als radikalen Anfang einer Reform-Epoche denn als Spätausläufer des Totalitarismus. Der Protest gegen die Väter der »Generation Kübelwagen« imitierte unbewusst deren revolutionäre Mentalität: Wille zur Abrechnung mit dem Bestehenden, zum totalen Aufräumen und Neuordnen, utopistische Verblendung und nicht zuletzt das Verlangen nach schnellen Karrieren. Ähnliche Linien zieht auch Wolfgang Kraushaar in seiner Bilanz »Achtundsechzig«: Hinter »emanzipatorischen Fassaden« lauerten die Ressentiments der Väter. Wie Aly und Kraushaar sind auch Oskar Negt (dessen Buch »Achtundsechzig« über die politischen Intellektuellen und die Macht bei Steidl wiederveröffentlicht wird) und der Verleger Lothar Menne als Historiker des proletarisch stilisierten Bürgerkinderprotests zugleich involvierte Zeitzeugen. Ob Rudi Dutschkes frühe radikale Gruppe Viva Maria, die Kommune 1 oder Che Guevara in Bolivien – Mennes Erinnerungen »Unter dem Pflaster lagen die Träume« zehren vom Bonus des persönlichen Dabeigewesenseins. Eine spezifisch weibliche Form des Fanatismus untersucht Jutta Brückner in ihrem Buch »Bräute des Nichts«, das die »Seelenbiografien« von Ulrike Meinhof und Magda Goebbels verbindet und in beiden den Bodensatz einer destruktiven politischen Romantik findet. Che Guevara, der Quasi-Christus Wer die geistige Atmosphäre des Aufbruchs noch einmal nachschmecken will, wird von Suhrkamp und Wagenbach gut bedient. Beide Verlage bieten Schlüsseltexte jener Jahre in Neuauflage, bei Suhrkamp zum Nostalgiepreis von je 19,68 Euro. Ulrike Meinhof, Frantz Fanon, Ernst Bloch, Herbert Marcuse und die legendären Aufsätze der Zeitschrift »Kursbuch« – es kommt alles noch einmal mehr oder weniger frisch auf den Büchertisch. Dass es 1968 um viel mehr ging als um die Situation in den Universitäten, zeigt das Buch von Gerd Koenen. Es verfolgt noch einmal die »Traumpfade der Weltrevolution«, auf den Spuren des Globalrevolutionärs Che Guevara – Quasi-Christus und Poster-Ikone der Epoche. Um die weltweiten Kontexte der Bewegung geht es schließlich auch in dem Buch von Norbert Frei (»1968 – Jugendrevolte und globaler Protest« bei dtv) sowie in dem von Ingrid Gilcher-Holtey herausgegebenen Band, dessen Titel den Trend gut zusammenfasst: »1968 – Vom Ereignis zum Mythos«. Novitäten Götz Aly Unser Kampf – 1968. S. Fischer, 256 S., 19,90 Euro Jutta Brückner Bräute des Nichts. Der weibliche Terror: Magda Goebbels und Ulrike Meinhof. Verlag Theater der Zeit, 120 S., 12 Euro Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.) 1968 – Vom Ereignis zum Mythos. Suhrkamp, 500 S., 16 Euro Gerd Koenen Traumpfade der Welt­revolution. Das Guevara-Projekt. Kiepenheuer & Witsch, 450 S., 22,95 Euro Wolfgang Kraushaar Achtundsechzig. Propyläen, 300 S., 19,90 Euro Lothar Menne Unter dem Pflaster lagen die Träume. Goldmann, 250 S., 14,95 Euro Lebensgeschichten Die letzte Sachbuchsaison – das war ein Herbst der Biografien. Auch in den nächsten Monaten gibt es einige große und brisante Lebensgeschichten zu lesen. Etwa die des islamischen Religionsgründers, soweit sie überhaupt zu rekonstruieren ist. Der Niederländer Hans Jansen hat versucht, den von Legenden überlagerten historischen Mohammed freizulegen. »Wir wissen viel weniger über den Propheten als angenommen«, lautet sein Resümee. Geläufige Vorstellungen seien revisionsbedürftig. Ein Heiliger der modernen Literatur, über den wir allerdings besser informiert sind, ist Franz Kafka. Zum 125. Geburtstag liefert Reiner Stach mit »Die Jahre der Erkenntnis« das lange erwartete Mittelstück seiner biografischen Trilogie. Der renommierte Kafka-Forscher Hartmut Binder legt eine große Lebenschronik in Bildern vor, Hans-Gerd Koch die historische Stadtreise »Kafka in Berlin« (Wagenbach). Glamouröse Karrieren, tragische Schicksale Einer der bedeutendsten Kafka-Nachfolger, hierzulande immer noch wenig bekannt, ist Bruno Schulz (1892–1942). Parallel zur fälligen Neuübersetzung seines Hauptwerks »Die Zimtläden« erscheint die Biografie von Jerzy Ficowski, »Ein Künstlerleben in Galizien«. Es endete tragisch: Schulz wurde Opfer eines Ehrenhandels zwischen zwei Nazis. Das Leben des Tagebuchvirtuosen Harry Graf Kessler, ein Kulturkrimi zwischen mondäner Welt und politischer Dramatik, wird geschildert von Friedrich Rothe (Siedler). Herbert von Karajan, das umstrittene Genie, erhält zum 100. Geburtstag eine Hommage von seiner eigenen Frau Eliette: »Der Mann an meiner Seite« (Ullstein). Die Geschichte des Wagner-Clans erzählt der renommierte Biograf und Deutschlandkenner Jonathan Carr. Nelly Mann, die letzte Unbekannte der Mann-Sippe und 1944 durch Selbstmord aus einem nur mit viel Alkohol zu ertragenden Leben geschieden, wird von Kirsten Jüngling mit einer eigenen Biografie bedacht (Propyläen). »Ich bin doch nicht nur schlecht« lautet der Titel, dem Thomas Mann sicher widersprochen hätte: Er konnte die große Liebe von Bruder Heinrich nicht leiden, sie hatte nicht die gewisse Dezenz. Brigitte Roßbeck erzählt das Leben der Caroline Schlegel-Schelling (Siedler), Eckart Kleßmann widmet sich in »Universitätsmamsellen« gleich fünf »aufgeklärten Frauen zwischen Rokoko, Revolution und Romantik«. Christiane Kunst wartet auf mit dem politischen Frauenleben der First Lady des Alten Rom: »Livia. Macht und Intrigen am Hof des Augustus«. Mit Macht und Intrigen bekommt man es auch bei der großen Biografie des Verlegers Axel Springer zu tun. Hans-Peter Schwarz versucht, dem schillernden Mammutverleger und konservativen Visionär, der wie kein anderer von den 68ern gehasst wurde, in allen Aspekten gerecht zu werden. Mit viel Interesse kann schließlich die Familienbiografie aus der Feder des charismatischen Barack Obama rechnen. »Ein amerikanischer Traum« ist keine wahlkampfbegleitende Politikerbiografie von der Stange, sondern ein beeindruckendes, glänzend geschriebenes Buch. Ein Homme de Lettres empfiehlt sich als Präsident der Vereinigten Staaten. Novitäten Hartmut Binder Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern. Rowohlt, 608 S., 68 Euro Jonathan Carr Der Wagner-Clan. Geschichte einer deutschen Familie. Hoffmann und Campe, 400 S., 22 Euro Jerzy Ficowski Bruno Schulz. Ein Künstlerleben in Galizien. Hanser, 192 S., 19,90 Euro Hans Jansen Mohammed. Eine Biographie. C. H. Beck, 491 S., 24,90 Euro Eckart Kleßmann Universitätsmamsellen. Eichborn, Die Andere Bibliothek, 336 S., 28,50 Euro Christiane Kunst Livia. Macht und Intrigen am Hof des Augustus, Klett-Cotta, 340 S., 24,50 Euro Barack Obama Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie. Hanser, 448 S., 24,90 Euro Hans Peter Schwarz Axel Springer. Propyläen, 600 S., 24,90 Euro Reiner Stach Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. Fischer, 650 S., 29,90 Euro Dienst-Geheimnisse Ein wichtiges Thema in diesem Frühjahr: die Großmächte und ihre Legenden, Intrigen, Geheimnisse. Tim Weiners monumentale Geschichte der CIA wurde in den Vereinigten Staaten bereits heftig debattiert. Das Buch des Pulitzer-Preisträgers deckt bisher unbekannte Hintergründe historischer Ereignisse auf – 60 Jahre Manipulation der Weltpolitik, die oft mit erstaunlicher Inkompetenz betrieben wurde. 1945 verfügten die USA noch nicht über einen Geheimdienst, der den deutschen, britischen oder russischen Organisationen Paroli bieten konnte. Nun wurden, ähnlich wie in der Raketentechnik, die Spezialisten aus Nazi-Deutschland eingekauft. Von ihnen lernten die Amerikaner das Handwerk der Spionage, aber auch das Geheimwissen effizienter Foltertechniken. Sie wurden festgeschrieben in einem Handbuch, das bis heute in der Verhörpraxis Anwendung finde. Der Journalist Egmont R. Koch widmet sich diesem Skandal in »Die CIA-Lüge – Folter im Namen der Demokratie«. Noch undurchsichtiger als die CIA erscheint vielen Blackwater. Jeremy Scahill beschreibt den Aufstieg der mächtigsten Privat­armee der Welt, deren Söldner im Irak meist zum Personenschutz eingesetzt werden und durch Übergriffe auf die Zivilbevölkerung stark in die Kritik geraten sind. Braucht der Krieg gegen den Terror Rambo-Soldaten, die keiner Gerichtsbarkeit unterliegen? Welche Gefahren liegen im Outsourcing von militärischen Dienstleistungen und dem Aufbau einer Schattenarmee, die so schlagkräftig ist, dass sie Regierungen stürzen könnte? Scahill warnt vor der Privatisierung des Gewaltmonopols. Geschichtsbild auf dem Prüfstand Mit dem Anspruch, ebenfalls politische Ereignisse der letzten Jahrzehnte in neuem Licht zu zeigen, schildert Helmut Roewer die verschlungene Geschichte der deutschen und russischen Geheimdienste im Kalten Krieg (»Im Visier der Geheimdienste«). Der geheimen Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs widmet sich Bogdan Musial in »Kampfplatz Deutschland«. Ein ganz heißes Eisen, denn es geht um Stalins Kriegspläne – Angriffsabsichten gegen den Westen, denen Hitler laut Propaganda ja mit dem Russlandkrieg zuvorgekommen sein wollte. Ist das Bild der unschuldig überfallenen Sowjetunion revisionsbedürftig? Was hat Musial aus Moskauer Archiven zutage gefördert? Mit neuen Dokumenten wartet auch Geoffrey Roberts Buch über »Stalins Kriege« auf, das im angelsächsischen Raum bereits als Meilenstein gewertet wurde. Mit dem Gründungs- und Heldenmythos des kommunistischen China räumt Sun Shuyuns Buch »Maos Langer Marsch« auf (Propyläen). Hinter die politischen Kulissen des heutigen China, das sich nach 400 Jahren des Niedergangs als Großmacht zurückmeldet, blickt Martin Guan Djien-Chan in »Der erwachte Drache«. Und wie sieht es mit der deutschen Historie aus? Ein blinder Fleck ist immer noch die Geschichte der Vertriebenen nach 1945. Vielfache Ressentiments und Verdrängungen bestimmen bis heute dieses Thema. Dabei wirkte das Trauma, das 14 Millionen Flüchtlinge betraf, in mehr als die Hälfte aller deutschen Familien hinein. Andreas Kossert widerlegt in »Kalte Heimat« nun die Legende von der harmonischen Integration im Wirtschaftswunderland. Vielfach galten die Ankömmlinge als Deutsche zweiter Klasse, die ausgegrenzt und angefeindet wurden. Sie flüchteten sich in Aufbau, Arbeit und Vergessen. Jetzt ist es höchste Zeit für die Erinnerung. Novitäten Egmont R. Koch Die CIA-Lüge. Folter im Namen der Demokratie. Aufbau, 220 S., 19,95 Euro Andreas Kossert Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, Siedler, 450 S., 24,95 Euro Bogdan Musial Kampfplatz Deutschland. Stalins Pläne. Propyläen, 400 S., 24,90 Euro Helmut Roewer Im Visier der Geheimdienste. Lübbe, 416 S., 24,95 Euro Geoffrey Roberts Stalins Kriege. Vom Zweiten Weltkrieg zum Kalten Krieg. Patmos, 470 S., 39,90 Euro Jeremy Scahill Blackwater. Kunstmann, 320 S., 22 Euro Martin Guan Djien Chan Der erwachte Drache. Großmacht China im 21. Jahrhundert. Theiss, 208 S., 24,90 Euro Tim Weiner CIA – Die ganze Geschichte, S. Fischer, 850 S., 22,90 Euro Glaubenssache Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?« An der Gretchenfrage, die schon Faust in Verlegenheit brachte, kommt man als Leser angesichts des spirituellen Trends inzwischen kaum noch vorbei. Auch für die kommende Saison sind Kontroversen programmiert. Der Verlag der Weltreligionen offeriert im zweiten Programm das »Buch der Schöpfung«, das älteste und grundlegende Werk der Kabbala, eine systematische Sammlung kosmologischer Spekulationen aus dem frühen Mittelalter, voller Buchstaben- und Zahlenmystik. Außerdem gibt es in Neuausgabe Schleiermachers »Reden über die Religion. An die Gebildeten unter ihren Verächtern«. Religion als »Sinn und Geschmack für das Unendliche« – mit solcher Definition hob Schleiermacher das theologische Verständnis auf die Höhe der Romantik. Michael Burleigh bringt in »Irdische Mächte, Göttliches Heil« den Katholizismus gegen totalitäre Ersatzreligionen in Stellung und rechnet mit der glaubenslosen Moderne ab. Klaus-Rüdiger Mai dagegen hat sich vorgenommen, die undurchsichtigste aller Institutionen zu durchleuchten – den Vatikan, die zwielichtige Weltmacht: ein Hort von Humanität und Hochkultur einerseits, eine Quelle von Verfolgung und Intoleranz andererseits. Auch Karlheinz Deschner, der Veteran der Religionskritik, ist auf seine alten Tage noch einmal in den Schützengraben gestiegen. Er legt Band 9 seiner »Kriminalgeschichte des Christentums« vor, der sich einer bewegten Zeit widmet: der Epoche nach der Reformation, mit der Eroberung und Mis­sionierung Lateinamerikas, massiven Hexenverfolgungen, dem strengen Regiment der Calvinisten und dem umgreifenden Wirken des Jesuitenordens. Die dunkle Seite der Religion Auch aus Frankreich kommt eine Streitschrift: »Mörderische Religion« von Elie Barnavi. Die Schattenseite jedes Offenbarungsglaubens sei die Gewalt, und in der Demokratie müssten der Religion entschlossen Grenzen gezogen werden, argumentiert der Autor. Dass die Globalisierung eine neue, unfriedliche Epoche der Religionsgeschichte eingeläutet hat, ist auch die Überzeugung von Hans G. Kippenberg (»Gewalt als Gottesdienst« bei C. H. Beck). Youssef Courbage und Emmanuell Todd hingegen entdramatisieren den Kampf der Kulturen. In »Die unaufhaltsame Revolution« begreifen sie den Terror muslimischer Gotteskrieger als letztes Rückzugsgefecht einer stark bedrängten Ideologie. Tatsächlich sei die Moderne auch in den islamischen Ländern auf dem Vormarsch; bald würden die Mullahs ihre eigene Welt nicht mehr verstehen. Dass der Islam keine monolithische Kultur ist, sondern vielfach von Spannungen und Rissen durchzogen – das ist die Botschaft einer ganzen Reihe von Büchern. Christiane Hoffmann, die fünf Jahre als einzige deutsche Journalistin in Teheran lebte, beschreibt das Alltagsleben von Frauen im Iran als irritierende Welt zwischen Tradition und Rebellion. Auch Steve Colls detaillierte Darstellung einer arabischen Familie (»Die Bin Ladens« bei DVA) will exemplarisch die Widersprüchlichkeit der islamischen Welt aufzeigen. Rasantem Wandel und Konsumorientierung stehen Lebensverhältnisse gegenüber, die von rigiden Traditionen geprägt sind. Der Nahost- und Terrorismusexperte Olivier Roy sieht allerdings gerade in der Zerrissenheit des Islamismus dessen größte Gefahr. In »Der falsche Krieg« (Siedler) klärt er den Westen über seine Irrtümer auf. Novitäten Elie Barnavi Mörderische Religion. Ullstein, 176 S., 18 Euro Michael Burleigh Irdische Mächte, Göttliches Heil. DVA, 1?500 S., 69,95 Euro Y. Courbage / E. Todd Die unaufhaltsame Revolution. Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern. Piper, 208 S., 16,90 Euro Karlheinz Deschner Kriminalgeschichte des Christentums. Bd. 9, Rowohlt, 528 S., 29,90 Euro Christiane Hoffmann Hinter den Schleiern Irans. Einblicke in ein verborgenes Land. DuMont, 340 S., 19,90 Euro Klaus Rüdiger Mai Der Vatikan. Geschichte einer Weltmacht im Zwielicht. Lübbe, 320 S., 18,95 Euro Oliver Roy Der falsche Krieg. Islamisten, Terroristen und die Irrtümer des Westens. Siedler, 220 S., 19,95 Euro Klimawandel Viele Verlage haben etwas zum Thema Klimawandel im Programm, wobei das Spektrum vom Katastrophismus bis zur Abwiegelung reicht. Harald Welzer etwa prognostiziert »Klimakriege« um die schwindenden Ressourcen und weiß schon heute, »wofür im 21. Jahrhundert getötet wird« (S. Fischer). »Cool it! Warum wir trotz des Klimawandels einen kühlen Kopf bewahren sollten«, lautet dagegen die Devise des Politikwissenschaftlers Bjørn Lomborg. In Abgrenzung von aller Klima-Hysterie will er die reichen Nationen aufs Machbare verpflichten. Statt Milliarden für die Mühen der CO2-Reduzierung aufzuwenden, womit die Erderwärmung allenfalls ein wenig hinausgezögert würde, plädiert er dafür, das Geld gleich effektiver in den Hochwasserschutz und die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern zu stecken. Für Kontroversen wird wohl auch das Buch sorgen, das der Physiker Henrik Svensmark mit dem Wissenschaftsjournalisten Nigel Calder verfasst hat: »Sterne steuern unser Klima. Eine neue Theorie zur Erderwärmung«. Der Geologe Salomon Kroonenberg entwickelt ebenfalls weitere Perspektiven, die das »logarithmische Maß« der Natur mitbedenken: »Der lange Zyklus. Die Erde in 10?000 Jahren«. Die nächste Eiszeit kommt bestimmt; Al Gore muss sich warm anziehen. Wer auch immer das Klima steuert – in der vielfach desorientierten Gesellschaft soll wieder die »Elite« den Kurs angeben. Die »FAZ«-Redakteurin Heike Schmoll hat ein Buch geschrieben, das gleichermaßen die in Deutschland verwurzelte Elitefeindlichkeit wie die Neigung führender Kreise beklagt, sich im Vollgenuss ihrer Vorrechte abzuschotten. Stattdessen plädiert sie für transparente Elitebildung (»Lob der Elite«, C.H. Beck). Davon hat die junge Journalistin Julia Friedrichs bei ihren Recherchen in diversen Elite-Schmieden allerdings wenig zu spüren bekommen. In »Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen« (Hoffmann und Campe) schildert sie eine Welt der Arroganz, in der Menschen, die weniger als 70 Stunden pro Woche arbeiten, als »Minderleister« bezeichnet werden. Die Gesellschaft von morgen Der Soziologe Heinz Bude hat sich am anderen Ende der gesellschaftlichen Rangordnung umgesehen. »Die Ausgeschlossenen« – das sind Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Rentner am Existenzminimum, verwilderte Jungmänner, akademisches Prekariat, Scheinselbstständige und Minijobber. Bude sieht das »Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft« gekommen. Düstere Perspektiven bietet auch Günter Lachmanns Buch »Von Not nach Elend«, eine Reise durch »deutsche Geisterstädte von morgen«. Aber solche deutschen Sorgen relativieren sich, wenn man mit dem Ökonom Paul Collier auf »Die unterste Milliarde« schaut. Die Rede ist in seinem Buch von jenem Sechstel der Menschheit, das in chronisch scheiternden Staaten ohne Entwicklungsper­spektive lebt. Collier widerspricht Freihandelsoptimisten ebenso wie den Globalisierungsgegnern. »Handwerk« lautet schließlich der schlichte Titel des neuen Buches von Richard Sennett – eine intellektuelle Ergänzung zum »Manufactum«-Kult? Es ist eine Kulturgeschichte über das Verhältnis des Menschen zu den materiellen Dingen. Handwerk ist eine Form engagierten Tuns; der Handwerker will eine Arbeit »um ihrer selbst willen« gut machen. In diesem Sinn sollten sich auch die Autoren als Handwerker verstehen. Novitäten Heinz Bude Die Ausgeschlossenen. Hanser, 144 S., 14,90 Euro Paul Collier Die unterste Milliarde. C. H. Beck, 256 S., 19,90 Euro Nigel Calder / Henrik Svensmark Sterne steuern unser Klima. Patmos, 280 S., 24,90 Euro Salomon Kroonenberg Der lange Zyklus. Die Erde in 10.000 Jahren. Primus, 256 S., 24,90 Euro Günther Lachmann Von Not nach Elend. Eine Reise durch deutsche Landschaften und Geisterstädte von morgen. Piper, 288 S., 16,90 Euro Bjørn Lomborg Cool it. Warum wir trotz des Klimawandels einen kühlen Kopf bewahren sollten. DVA, 272 S., 16,95 Euro Richard Sennett Handwerk. Berlin Verlag, 432 S., 22 Euro