Sachbücher von Journalisten

Bei aktuellen Themen zählt jeder Tag

25. Mai 2016
von Börsenblatt
Als internationale Medien die "Panama Papers" enthüllten, lag schon am nächsten Tag das erste Buch in den Läden. Unter Hochdruck und strengster Geheimhaltung wurde daran gearbeitet. Denn Verlage und Autoren müssen im Geschäft mit aktuellen Themen vor allem eines sein: sehr schnell.

Die Händler, die an jenem Montagmorgen Anfang April die Pakete aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch öffneten, dürften nicht schlecht gestaunt haben. Von einem Buch "Panama Papers" hatten sie bis zu diesem Zeitpunkt nichts gehört. Und nun sollten sie es direkt verkaufen.

Am Vorabend lief die Information über das Datenleck aus Steueroasen und Briefkastenfirmen zum ersten Mal im Fernsehen, am Montag machten Zeitungen in aller Welt damit auf. Damit das Buch eine möglichst große Wirkung entfalten und sich gut verkaufen konnte, war es nötig, parallel zur Veröffentlichung der Recherchen in Medien wie der "Süddeutschen Zeitung" auf den Markt zu gehen.

"Wir haben es insgesamt drei Monate lang als Geheimprojekt vorbereitet", erklärt KiWi-Sprecherin Gudrun Fähndrich. Das bedeutet: Die Bucharbeit der Autoren Bastian Obermayer und Frederik Obermaier von der "SZ" lief – parallel zur Redaktionsrecherche – im Verborgenen, ebenso wie Satz, Korrektorat, Umschlaggestaltung und die PR im Verlag. "Wir haben im Vorfeld Blanko-Werbeanzeigen ohne Inhalt gebucht", sagt Fähndrich.

KiWi rechnete mit einem sicheren Coup und lieferte die Erstauflage von rund 60.000 Stück komplett aus. Die ersten Wochen sind entscheidend bei einem Stoff aus der Tagesaktualität, der Lebenszyklus eines Bandes wie "Panama Papers" ist naturgemäß kürzer als bei anderen Sachbüchern. Fortlaufende Entwicklungen wie der schon kurz darauf durch den Scoop ausgelöste Regierungsrücktritt in Island können erst in einem erweiterten Nachdruck berücksichtigt werden.

Und doch gibt es für Verlage immer wieder gute Gründe, ein Nachrichtenereignis in die lange Form zu bringen. So wie "Uli Hoeneß: Alles auf Rot" des "Spiegel"-Journalisten Juan Moreno. Als eines von mehreren Büchern über Hoeneß kam es im Frühjahr 2014 bei Piper auf den Markt, rund zwei Monaten nach dem Gerichtsurteil und damit sogar vergleichsweise spät. "Ich wollte das Urteil in jedem Fall abwarten", sagt Moreno. "Vielleicht war es verkaufstechnisch ein Fehler, nicht den ersten Hype mitzunehmen – aber dafür ist in manch anderen Büchern über Hoeneß noch von drei Millionen Euro Steuerhinterziehung bzw. sogar von der Unschuldsvermutung die Rede." Morenos Buch wirkt dadurch bis heute zeitloser.

"Die Affäre Mollath" von den beiden "SZ"-Redakteuren Uwe Ritzer und Olaf Przybilla erschien Anfang März 2013 und damit während die Hauptfigur noch in der Psychiatrie saß. Die Idee, aus einer "dreistelligen Anzahl von Zeitungsartikeln, die wir zu diesem Zeitpunkt schon geschrieben und die so viele Leser bewegt hatten, ein Buch zu machen, entstand parallel zu den ersten Anfragen von Verlagen", erinnert sich Przybilla. "Am Schluss hatten wir die komfortable Auswahl."

Die Journalisten entschieden sich für Knaur. Das Buch schrieben sie vor allem abends, an den Wochenenden und im Urlaub. Angesichts des Arbeitsaufwands sei das Honorar bei solchen Projekten die geringste Motivation, so Przybilla. Vielmehr ging es im speziellen Fall darum, ein Stück weit zur Wahrheitsfindung beizutragen und sowohl Neu-Lesern einen distanzierten Gesamtüberblick über das Thema zu bieten, als auch jenen Lesern, die schon alles über Mollath verschlungen hatten, noch ein bisschen mehr zu liefern. "Ein Drahtseilakt", sagt Przybilla.

"Das Ereignis muss groß genug sein"

Doch wie gelingt es angesichts der täglichen Informationsflut überhaupt, bei möglichst vielen Lesern Interesse für ein Buch zu wecken, wenn sie vermeintlich schon in den Zeitungen und im Internet alles über das Thema erfahren haben? Noch dazu, wenn Verlage bei den kurzfristig geplanten Titeln auf Vorankündigungen und angemessene Vermarktung verzichten müssen? "Das Ereignis muss groß genug sein und das Buch eine wesentliche Neuigkeit beitragen", formuliert Martin Janik, Programmleiter Sachbuch bei Piper, zwei wesentliche Voraussetzungen, damit aus zeitgeschichtlichen Momentaufnahmen mehrere Hundert Seiten zwischen zwei Buchrücken werden. Bei Moreno war dies der Scoop, den Münchner Alt-OB Christian Ude nach dessen Amtszeit mit ungefilterten, drastischen Worten gegen Hoeneß zitieren zu können. Das brachte Nachrichtenwert und kurbelte den Verkauf an.

Eine zweite Möglichkeit kann eine neue Perspektive auf ein allseits bekanntes Thema sein, erklärt Janik. Oder ein spezieller Erzählton. Beides ist der Fall bei "Meinen Hass bekommt ihr nicht", dem Buch des Radiojournalisten Antoine Leiris über die Attentate von Paris. Sehr viele Verlage hatten sich um den Zuschlag für den späteren Bestseller beworben, auch Piper. Gewonnen hat schließlich Blanvalet.

"In jedem Fall laufen solche Projekte immer ein wenig anders als normale Sachbücher", sagt Janik. "Man arbeitet mit Teilmanuskripten und man braucht eine Crew, die weiß: Auf jeden Tag kommt es an." Oft greifen Verlage für die Produktion auf Journalisten zurück – wenn das Buch nicht ohnehin von einem geschrieben wird. Oder auf Experten, die in einem bestimmten Thema bereits tief drin sind und ohne großen Anlauf starten können.

Die Verlagsgruppe Random House kann dafür auf ein eingespieltes Team zurückgreifen, das seit zehn Jahren in einem Joint Venture mit dem "Spiegel" ausgewählte Bücher herausbringt. Zu den acht bis zehn Titeln pro Jahr zählen neben Übersetzungen und ausländischen Lizenzausgaben vor allem Bücher aus aktuellen Recherchen des Nachrichtenmagazins, die bei DVA erscheinen. Zwei bekannte Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind "Staatsfeind WikiLeaks" und "Der NSA-Komplex" von Marcel Rosenbach und Holger Stark.

Für die Bücher werde keine einzige Zeile eins zu eins aus den Magazin-Beiträgen übernommen, sagt Karen Guddas, Programmleiterin "Spiegel"-Buch bei Random House. Wie Kollege Moreno haben auch Stark und Rosenbach vom Nullpunkt an geschrieben. "Aber natürlich greifen die Autoren auf ihre Recherchen zurück und nicht alles, was recherchiert wurde, ist zuvor im Heft gelandet." Der Anspruch der Bücher sei ohnehin, hintergründiger zu sein als das Tagesgeschäft.

Den "NSA-Komplex" mit knapp 400 Seiten haben die Journalisten in nur wenigen Wochen geschrieben. Auch bei "WikiLeaks" standen viele Verlage parallel in den Startlöchern, durch die Internationalität des Themas musste sich die DVA-Ausgabe außerdem gegen die Lizenz-Konkurrenz aus dem Ausland behaupten. Und auch hier war es wichtig, zügig aktualisierte Ausgaben auf den Markt zu bringen. Random House hat dies praktischerweise gleich bei den Goldmann-Taschenbuchausgaben (ab August alle bei Penguin) miterledigt.