Shared Reading jetzt auch in Berlin

Bücher helfen

19. März 2016
von Börsenblatt
Eine Idee aus Liverpool ist in Berlin angelangt. Shared Reading soll Menschen helfen, eine Sprache für das bislang Ungesagte zu finden. In Leipzig wurde die Unternehmung nun vorgestellt.

Eine ganz neue Art des Miteinander-Lesens hat in Liverpool im Jahr 2002 ihren Ausgang genommen. Initiatorin von Shared Reading ist Jane Davis (60) – aufgewachsen in Pubs, ihre Mutter ist an ihrer Alkoholsucht gestorben, und unter Leuten, die oft lieber und mehr miteinander trinken als reden. „Zusammen lesen, ist ein wundervoller Weg verbunden zu sein mit anderen Menschen. Das habe ich vermisst, und ich wusste es gar nicht", sagt sie nun in Leipzig.

Es wurde das späte Lebensprojekt von Davis, unterschiedlichste Menschen zusammenzubringen, um über Bücher zu reden – und zunächst einfach nur Literatur auf sich wirken zu lassen. „Die Menschen haben oft keine Sprache, um ihre Gefühle auszudrücken", hat sie gelernt. Die Literatur könne helfen, diese Sprache zu finden. Der Anfang bestehe oft nur darin, zuzuhören und offen zu sein für die Bücher. Unter Anleitung eines Facilitators (auf Deutsch Vermittler) spricht die Lesegruppe einmal wöchentlich über ein Shakespearedrama, ein Gedicht oder dicke Romane, wie Tolstois „Anna Karenina".

Vor rund einem halben Jahr hat sich Carsten Sommerfeldt in Liverpool zum Facilitator ausbilden lassen. Und seit einigen Monaten bietet er zusammen mit Thomas Böhm Shared Reading in Berlin an. Beide sind Experten für Literaturvermittlung, Böhm war lange Leiter des Kölner Literaturhauses, Sommerfeld Pressechef beim Berlin Verlag und bei Droemer. „Ich habe viele Gespräche mit Autoren, etwa mit Margaret Atwood und Richard Ford darüber geführt, wie man Menschen für Literatur begeistern kann. Shared Reading ist ein ganz neuer Weg, für mich ist es der Königsweg vom Autor zum Leser", sagt er in Leipzig. Es sei eine spannende Erfahrung für beide, für Schriftsteller und Leser. Autoren, die ein Shared Reading-Projekt begleiten, könnten erleben, wie ihre Literatur Menschen berührt.

Deutschland ist nach Dänemark, Belgien und den Niederlanden das vierte Land, in das sich das englische Shared Reading ausgebreitet hat. In Liverpool ist derweil aus Shared Reading längst ein kleines Unternehmen geworden – mit 140 Festangestellten und fast doppelt so vielen Freiwilligen. In Berlin stecken sie zwar noch in der Startphase, aber Carsten Sommerfeldt glaubt, dass sich das deutsche Shared Reading-Unternehmen hin zu einer ähnlichen Größe entwickeln könnte. Denn die Einsatzgebiete, die er für das gemeinsame Lesen sieht, sind vielfältig: Bildung, Gesundheit und Unternehmenskultur. Gemeinsam lesen am Arbeitsplatz – vielleicht bessert es ja bald tatsächlich das Betriebsklima.

Mehr Infos unter: www.shared-reading.de