Urheberrecht: Oettingers Pläne und der Streit um Paragraf 52b

Die schwierige Suche nach der Balance

20. Oktober 2015
von Börsenblatt
Günther Oettingers Agenda für den digitalen europäischen Binnenmarkt nimmt Konturen an. Erste Schritte des Teilprojekts Urheberrechtsreform sind für Dezember angekündigt. Unterdessen erreicht der Streit um Paragraf 52b des Urheberrechtsgesetzes eine neue Stufe: Der Eugen Ulmer Verlag hat gegen das Urteil des BGH Verfassungsbeschwerde eingelegt, wie Verleger Matthias Ulmer auf Nachfrage bestätigt.

Mit gewisser Anspannung warten deutsche Verlage auf die Urheberrechts-Initiativen, die in den nächs­ten Monaten aus Brüssel zu erwarten sind. Sie sind Teil des Großprojekts Digital Single Market 2020, an dem unter der Ägide von EU-Kommissar Günther Oettinger (Digital Economy & Society) gearbeitet wird. Am vergangenen Freitag kam der Kommissar auf den New European Media Summit auf der Frankfurter Buchmesse, um seine Pläne vorzustellen und die Verleger zu beruhigen.

Oettinger skizzierte zunächst die Ausgangslage – die Herausforderungen der Verlage durch die digitale Technologie, die sich wandelnde Rolle der Verlage als Mittler zwischen Autor und Leser, neue Bezahlmodelle (payment per page) –, um dann auf die geplante Modernisierung des Urheberrechts zu sprechen zu kommen. Dabei betonte er mehrmals, dass die EU-Kommission nicht die Absicht habe, das Urheberrecht aufzuweichen. Ziel sei es immer, eine Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen herzustellen.

Als wesentliche Schritte nannte Oettinger unter anderen:

  • die Harmonisierung des Urheberrechts in den 28 Mitgliedsländern, um verlässliche Regeln für Urheber, Verwerter und Nutzer zu schaffen;
  • die Beseitigung von Grenzbarrieren bei der Nutzung und Distribution digitaler Inhalte;
  • Urheberrechtsausnahmen für Studenten, Lehrer und Forscher;
  • die Verfolgung von Urheberrechts­verletzungen über Grenzen hinweg.

Erste Schritte

Beim Jahrestreffen der europäischen Verlegervereinigung FEP am vergangenen Donnerstag auf der Buchmesse stellten die EU-Direktoren Jens Nymand Christensen und Gerard de Graaf den Reformfahrplan vor. Am 9. Dezember werde es eine erste Kommunikation zum Thema geben, so Chris­tensen: zur grenzüberschreitenden Nutzung digitaler Inhalte ("portability") und zur Umsetzung des Marrakesch-Abkommens, das den Zugang Blinder oder Sehbehinderter zu digital veröffentlichten Inhalten erleichtern soll. Weitere Reformschritte stellten die EU-Beamten für das Frühjahr 2016 in Aussicht.

Streit um Paragraf 52b UrhG

Auch der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Rechtsprechung sind, wie man weiß, nicht untätig. Kaum ist die Diskussion um den Referentenentwurf zum Urhebervertragsrecht abgeflaut, heizt der Bundesgerichtshof mit den vergangene Woche veröffentlichten Gründen des Urteils zu Paragraf 52b Urheberrechtsgesetz (UrhG) die Diskussion wieder an. Am Dienstag vor Messebeginn veröffentlichte die "FAZ" eine Polemik des Heidelberger Literaturwissenschaftlers Roland Reuß gegen den Karlsruher Richterspruch, die sich gewaschen hatte. Der Mitinitiator des Heidelberger Appells von 2009 fährt darin schweres Geschütz auf: Bibliotheken, die Bücher auf der Grundlage des 52b "nach Gutdünken zwangsdigitalisieren", würden sich über "Artikel 27,2 der universalen Erklärung der Menschenrechte hinwegsetzen", worin der Schutz der moralischen (persönlichen) und materiellen Ansprüche eines Autors verbürgt wird.

Entscheidend wird in den kommenden Monaten sein, welche gesetzgeberischen Initiativen im Bund und auf europäischer Ebene gestartet werden und wie sie sich in ihrer Gesamtheit auf das Recht des Urhebers auswirken. Der kürzlich veröffentlichte Referentenentwurf für das Urhebervertragsrecht und die angekündigten Ausnahmeregelungen für Bildung und Forschung (als Folgelösung der bisherigen Paragrafen 52a und 52b UrhG) sind erste Bausteine der auf Bundesebene geplanten Urheberrechtsreform.

Die Frage, ob das seit vergangener Woche nun mit der vollen Begründung vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs zu Paragraf 52b eine Enteignung der Verlage bedeutet, war Thema einer Diskussionsrunde, zu der der Deutsche Fachverlag am Donnerstag auf der Buchmesse eingeladen hatte. Da das von Torsten Kutschke (Leiter Rechtsabteilung DFV) und Katja Winter (Justiziarin S. Fischer) komoderierte Podium mit einem Urheberrechtler (Thomas Dreier, bekannt für seinen mit Gernot Schulze verfassten Urheberrechtskommentar), einem Bibliotheksdirektor (Eric W. Steinhauer, FernUni Hagen), einem Philosophen (Eberhard Ortland, Uni Hildesheim) und einem Verleger (Florian Simon, Duncker & Humblot) besetzt war, brachte es sehr unterschiedliche Aspekte zur Geltung.

Florian Simon gibt sich keiner Illusion hin: Die Verlagsleistung werde durch die Entscheidung der Richter entwertet. Mittlerweile hätten sich verschiedene Gruppierungen in der Gesellschaft miteinander verschworen, um das Urheberrecht zu torpedieren. Dies gelte auch für die Aktivitäten auf der europäischen Ebene: Mit der Piratin Julia Reda, die den gleichnamigen Report verfasst habe, habe man die „Geiß zur Gärtnerin“ gemacht (dies eine Entlehnung aus dem erwähnten Reuß-Artikel).

Kein Komplett-Download von Lehrbüchern

Weniger dramatisch sieht es Thomas Dreier: „Die Piraten haben dazugelernt.“ Julia Reda habe sehr genau und sachkundig über das Urheberrecht geredet. Dreier lieferte den Zuhörern einen faktenbasierten Abriss des vom BGH entschiedenen Streits zwischen der TU Darmstadt und dem Eugen Ulmer Verlag. Die Bibliothek, so Dreier, müsse künftig alles (technisch) Zumutbare tun, damit Missbräuche beim Download von digitalisierten Lehrbüchern an Leseplätzen verhindert würden. Der BGH hatte in seiner Urteilsbegründung den Download ganzer Lehrbücher untersagt – es sei denn, dass betreffende Werk sei seit mindestens zwei Jahren vergriffen.

Aus der Perspektive des Bibliothekswissenschaftlers äußerte sich Eric Steinhauer. Schon in den 70er Jahren, als Kopiergeräte in den Bibliotheken aufgestellt wurden, hätten Verlage den Untergang des Abendlandes beschworen. Die jetzt durch das Urteil bestätigte Ausnahmeregelung für Bibliotheken sei ursprünglich auch als Überdruckventil gegen unverschämte Verlagsangebote gedacht gewesen. Eine Sichtweise, die Eberhard Ortland aus der Sicht des Wissenschaftsautors unterstützte.

Aber auch ein Argument, das viele Verleger nicht überzeugt. Der Eugen Ulmer Verlag hat jedenfalls heute in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs in Sachen 52b eingereicht.