Vertreter Michael Schikowski über Sachbuchformen

Der authentische Ton

30. Juni 2016
von Börsenblatt
Weil die Fakten heute im Internet zu finden sind, tendiert das Sachbuch immer mehr zu personalisierten Darstellungsformen. Der Unterschied zum Roman werde dadurch oft fließend, meint Michael Schikowski.

Das Sachbuch steht im Ruf, fern aller Geschmacksrichtungen und Moden stets sachlich zu bleiben. Darum heißt es ja Sachbuch. Auch weil es den Roman gibt, in dem ja angeblich "nur Erfundenes" drinsteht, unterstellt man im Umkehrschluss dem Sachbuch eine besondere, direkte Beziehung zur Wirklichkeit. Die Grenzen zwischen Roman und Sachbuch sind aber fließend. Das lässt sich schon daran erkennen, dass viele Sachbuchthemen nicht allein von Betroffenen als Erlebnisbericht geschrieben werden, sondern auch von professionellen Autoren, die irgendwie betroffen wirken müssen.
Wir finden offensichtlich ohne solche Nachweise der Betroffenheit eine Publikation wenig glaubwürdig. Erscheint uns nicht schon jetzt der professionelle Blick des Fachbuchs vielleicht sogar leicht fragwürdig? Damit würde das Fachbuch vom populären Sachbuch außer Kurs gesetzt – ähnlich wie auch in der öffentlichen Debatte die Institutionen und Repräsentanten beruflichen Wissens zunehmend in Misskredit geraten. Sachbücher sind ja nicht allein Medien, die sich an die Gesellschaft richten, sie sind auch Medien, in denen sich – allemal im Falle großer Verkaufserfolge – Gesellschaft ausdrückt.

Ob es sich nun um Krankheiten, Reisen oder politische Ereignisse handelt, das Leben der Autoren selbst wird zum Medium. Die Autoren beschreiben ihre Erlebnisse, im Grunde in der Form der Reportage. Die Objektivität tritt in ihrer Bedeutung hinter die Authentizität des subjektiv Erlebten zurück. "Hier weiß eine Autorin, wovon sie schreibt", meint man dann – etwa bei Kristin Helberg, die mit einem Syrer verheiratet ist und in "Verzerrte Sichtweisen" (Herder) über die Syrer unter uns schreibt.
So wie der Glaube an einen objektiv richtigen Standpunkt, den Experten herausfinden, schwindet, wird der subjektive Blickwinkel zunehmend wichtig, von dem aus ein Sachverhalt erlebt wird. Eine Ursache für den Umsatzrückgang des Fachbuchs könnte also auch darin liegen, dass das Ansehen der Fachleute selbst im Niedergang begriffen ist. Dabei heißt es doch: Wer die Fakten nicht kennt, hat bloß eine Meinung, und die erhöht lediglich den Blutdruck.
Die Unterschiede zwischen Sachbuch und Roman könnten aber auch deshalb fließend geworden sein, weil die harten Fakten zu Biografien, die früher etwa in Monografien aus dem Rowohlt Verlag zu finden waren (und nach denen im Handel immer noch gefragt wird), alle längst auf den Onlineportalen der Museen und Institutionen zu finden sind. Die Branche hat sich also recht erfolgreich mit dem Genre der Romanbiografien zu entschädigen gewusst, was Bücher wie "Warten auf Robert Capa" (Ebersbach & Simon) beweisen.
Eine andere wichtige Vermittlungsform des Sachbuchs ist der Gesprächsband. Gespräche, manchmal auch Brief- oder Mailwechsel, sind ein neues, anregendes Genre der Sachliteratur und manchmal, wie in "Die Welt verändern" (Aufbau und Edition Chrismon), auch nur ein Teil der Publikation. Neben der Reportage, ursprünglich ein Genre der Zeitschrift, ist damit das Format des Interviews oder Gesprächs im Sachbuch angekommen.
Dass es sich beim Sachbuch häufig nur um einen Text handelt, der sich mit dem Roman dieselbe Anzahl Buchstaben teilen muss, macht man sich etwas zu selten klar. Vor allem beim politischen Sachbuch wird gern verleugnet, dass der Wirklichkeitsbezug nur erschrieben ist. Tabellen, Zahlenkolonnen, Übersichten sollen den Text unterstützen. Immerhin sprechen dann die blutdrucksenkenden Fakten für sich.