Was für ein Jahr!

Unser Jahresrückblick

23. Dezember 2015
von Börsenblatt
Reprobel-Urteil, Bertelsmann-Club oder Weltbild - 2015 hat ganz schön an den Nerven gezehrt. Auf der Habenseite stehen der Buchhandlungspreis, VLB-TIX und die Verbandsreform. Blicken Sie mit uns zurück.

Ein Jahr des Schocks und der Sinnstiftung

»Wir sind Charlie«: Der Terror-anschlag auf das französische Satiremagazin »Charlie Hebdo« im Januar berührte das Selbstverständnis der Branche: »Wir dürfen und wollen unser Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit nicht aufgeben«, machte der Börsenverein damals in einem Aufruf mit vielen Unterzeichnern deutlich. Das Bekenntnis »Für das Wort und die Freiheit« wurde zum Sinnstifter und Leitmotiv des Branchenjahrs, barg aber durchaus Konfliktpotenzial - etwa als sich der Börsenverein ebenso vehement wie vergeblich dagegen aussprach, China und Saudi-Arabien in den Internationalen Verleger-Verband IPA aufzunehmen. Auch die Frankfurter Buchmesse war politisch aufgeladen wie selten: Der Auftritt Salman Rushdies setzte ein -Zeichen für die Meinungsfreiheit - während der Iran die Messe aus Protest boykottierte. Furore machte die Friedenspreisrede. Navid Kermani rief in der Paulskirche zum gemeinsamen Gebet für Syrien auf, als Gegenentwurf zu den mörderischen »Snuff-Videos« des IS.     

Weltbild / LesensArt: Rosskur in Augsburg und das Kapitel LesensArt

Nach dem Einstieg des Investors Walter Droege im Sommer 2014 haben sich nicht nur Weltbild-Betriebsräte und Mitarbeiter oft die Augen gerieben, der Konzern geriet immer wieder in die Schlagzeilen: Der zunächst gefeierte »-Retter« Droege setzte im vergangenen Jahr bei den insolvenzgebeutelten Augsburgern konsequent den Rotstift an - unter anderem wurden 67 Standorte von Weltbild Plus abgewickelt - nach Drehbuch, wie man wohl den Tod auf Raten unter dem neuen Inhaber Rüdiger Wenk nennen muss. 400 Mitarbeiter verloren ihre Jobs. In der Augsburger Konzern-zentrale wurde in der Weihnachtswoche rund 50 Weltbildlern die Kündigung zugestellt und die abgespaltene Weltbild--Logistik, die Droege gern als Baustein in seinen Logistikpark eingefügt hätte, wurde nach einem monatelangen Ringen mit dem Betriebsrat in die Insolvenz geschickt. Bis nächstes Jahr hängt Also -Logistics Services noch am Tropf der Schwes-ter Weltbild, doch 240 von 450 Angestellten werden gehen müssen.     

Buchhandel: Schulterschlüsse und Abgesänge

Das Jahr 2015 wird wohl durch geschmiedete Allianzen in Erinnerung bleiben: In der Schweiz verschmelzen Thalia und Orell Füssli zur bekannteren Marke Orell Füssli, Hugendubel versorgt in Deutschland die Warenhauskette Karstadt mit rund 40 kleinen Shop-in-Shop-Flächen. Auch die Tolino-Allianz ist mit der Mayerschen und Osiander um weitere starke Partner gewachsen, die die Lücke füllen, die das angekündigte Ende des Club Bertelsmann hinterlassen hat. Der Club wird - bekanntermaßen - zum Jahresende abgewickelt. Auch in Düsseldorf geht eine Ära zu Ende: Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass das Buchhaus Stern-Verlag Ende März 2016 geschlossen wird. Dass man gemeinsam Kosten senken kann, machen die Regionalfilialisten Osiander und Mayersche vor: Durch die Kooperation wird u. a. beim Einkauf, der IT und beim Marketing effektiver gewirtschaftet. Osiander stellte außerdem mit der Gründung einer Familienstiftung die Weichen für die Zukunft.     

Amazon: Kartellklage, Lieferdienst und Osterweiterung 

Während Verdi die neun deutschen Versandzentren weiter bestreikt, lässt der Onlineriese Bücher seit diesem Jahr verstärkt über Polen und Tschechien ausliefern - Import und Export zahlen die Verlage. Mehr Kapazität ist nötig, denn mit dem eigenen Lieferdienst und mehr regio-nalen Zustellern soll der Prime-Kosmos attraktiver und schneller werden (Same Day und schneller) und die Produktpalette nicht nur digital wachsen. Neuerdings druckt die »Bild« wöchentlich Amazons Bestsellerliste. Der Konzern schreibt dank seiner Cloud-Sparte schwarze Zahlen - da kommt die Kartellbeschwerde gegen die Tochter Audible und die Steuerprüfung durch die europäischen Wettbewerbs-hüter ungelegen.      

Transaktionen Verlage: Neue Heimat für Campus, Oetker und KV & H 

Mit einem Paukenschlag beginnt das Verlagsjahr: Thomas Carl Schwoerer, Gesellschafter des Frankfurter Campus Verlags, hat seine Anteile an die Beltz Holding verkauft. Damit hält Beltz, der Gründungsgesellschafter ist und 50 Prozent der Verlagsanteile gehalten hat, sämtliche Anteile an Campus. Neues gibt es auch vom Kochbuch: Hier übernimmt der zur Hamburger Edel-Gruppe gehörende ZS Verlag das Buchprogramm von Dr. Oetker. Außerdem trennt sich Cornelsen im letzten Schritt seiner strategischen Fokussierung auf den Bildungsmarkt vom Kalendergeschäft und verkauft KV & H, immerhin die Nummer 1 im Kalendergeschäft, an das Südtiroler Unternehmen Athesia. Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück. Und eine traurige Nachricht: Von Metrolit gibt es vorerst keine neuen Bücher. Der Verlag hat zwar in den Medien für Begeisterung gesorgt, seine Gesellschafter (darunter Aufbau) ökonomisch aber nicht überzeugt.     

Metadaten: Alles wissen über Bücher     

Dass Sortiment und Leser über ein Buch mehr erfahren können als die bibliografischen Angaben, ein paar Stichworte zum Inhalt und das, was im Klappentext steht - für viele war das lange Zeit bloß Science-Fiction. 2015 brachte die Wende. Mit dem Relaunch des VLB (und dem veränderten Gebührenmodell), dem breiten Start von ONIX 3.0 und des Klassifika-tionsschemas thema wurde der Grundstein für komplexe Recherchen gelegt. Jetzt sind die Verlage dran: Im kommenden Jahr geht es für sie darum, Metadaten einen Platz im Zentrum ihrer Strategie einzuräumen. Denn in der Branche ist es letztlich wie im Internet: Um wahrgenommen zu werden, braucht es Suchmaschinenoptimierung (im Fall der Buchbranche: Onix 3.0, thema).     

Buchhandlungspreis: Auszeichnung für 108 Unabhängige

In Monika Grütters hat der Buchhandel wahrlich eine große Fürsprecherin. Im Februar hat sie den Deutschen Buchhandlungspreis für unabhängige und inhabergeführte Buchhandlungen mit einem Jahresumsatz unter der Mil-lionengrenze ausgelobt. Stolze 614 Sortimente haben ihre Bewerbung einge-reicht, 108 Buchhandlungen wurden von einer namhaften Jury für die erste Preisverleihung nominiert. Am 17. September war es so weit: Vergabe des ers-ten Deutschen Buchhandlungspreises in Frankfurt. 350 Buchhändler und ihre Fans, darunter Verleger und Zwischenbuchhändler, füllten den Festsaal der Deutschen Nationalbibliothek. Alle in Feierlaune. Die Sieger konnten sich über Prämien in Höhe von 25 000 Euro, 15 000 Euro (drei beziehungsweise fünf Buchhandlungen) oder 7 000 Euro freuen. Es hagelte Lobreden und Liebes-bekundungen für die Kleinen, die an diesem Abend wie selten gefeiert wurden. Und das Beste: 2016 soll es wieder einen Buchhandlungspreis geben.     

Buchmarktforschung: Kein Ende der Exklusivitäten in Sicht

»Es ist ein Desaster für die Branche, dass es keine verlässlichen Daten gibt«, sagte Alexander Skipis im Oktober. Der Grund für dieses Statement: Die beiden marktführenden Buchmarktpanel-Anbieter GfK Entertainment und Media Control schmälern durch Exklusivvereinbarungen mit bestimmten Handelspartnern die Basis für Verkaufsdaten. Der Versuch von GfK-Geschäftsführer Ma-thias Giloth, eine Aufhebung dieser Exklu-sivitäten durchzusetzen, schlug fehl. Stattdessen nimmt Konkurrent -Media Control jetzt für sich in Anspruch, durch Exklusivvereinbarungen mit KNV, Thalia sowie der Buchhändlergenossenschaft eBuch den größten Teil des Sortimentsbuchhandels abzubilden.     

Urheberrecht: Das Modell »Verlag« gerät in Bedrängnis     

Als »annus horribilis«, so Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang, könnte das Jahr 2015 in die Geschichte des Verlagsrechts eingehen. Der Bundesgerichtshof legte mit seinem Urteil vom April Paragraf 52b des Urheberrechts-gesetzes (Zugang zu Büchern an Bibliotheksterminals) so extensiv aus, dass Nutzer künftig ganze Lehrbücher herunterladen und zu großen Teilen aus-drucken können. Der Europäische Gerichtshof entschied am 12. November, dass Ausschüttungen von Geräteabgaben nicht mehr an Verlage fließen dürfen - die VG Wort und andere Verwertungsgesellschaften forderten daraufhin von Verlagen Beträge zurück, die sich auf bis zu 400 Millionen Euro summieren könnten. Unmut erregte der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein neues Urhebervertragsrecht. Vor allem die auf fünf Jahre angelegte Rückruffrist für Autorenrechte begründet die Sorge, dass Verlage keine Planungs-sicherheit mehr haben oder gar in ihrer Existenz bedroht werden.     

Verbandsreform: Die erste Feuertaufe ist bestanden

Wie reformiert man einen Verband mit so viel Tradition im Rücken - und so vielen verschiedenen Interessen unter einem Dach? Vor dieser Aufgabe stand der Börsenverein 2015. Die Antwort: Nicht im Hauruckverfahren, sondern Schritt für Schritt. »Die Zeit ist reif für eine Veränderung«, stellte Vorsteher Heinrich Riethmüller im Juni auf der Hauptversammlung in Berlin fest, und die Mitglieder sahen das offenbar ähnlich. Mit breiter Mehrheit stimmten sie für die erste Stufe der Strukturrefom, die den Verband wendiger, flexibler machen soll.
Zwei Punkte von vielen: Arbeitskreise und AGs stehen als »Interessengruppen« jetzt allen Sparten offen und die drei Fachausschüsse des Börsenvereins sind zum engen Miteinander verpflichtet. Die Feuertaufe bei den November-Sitzungen glückte. Ob Bundle-Besteuerung oder Preisaktionen bei E-Books: Buchhändler, Verleger und Zwischenbuchhändler diskutierten die Themen der Stunde direkt in großer Runde - hart in der Sache, aber mit sanftem Schulterschluss.