Wie alteingesessene Buchhandlungen sich gegen Filialisten behaupten

Revierkämpfe und ihre Sieger

10. April 2015
von Börsenblatt
Die Expansionslust von Thalia, Hugendubel & Co. hat manche alteingesessene Buchhandlung in Bedrängnis gebracht. Manche der früheren Platzhirsche wurden geschluckt, andere mussten schließen - doch einige kamen durch. Zwei Beispiele.

Der 4. April war für das Buchhaus Wittwer in Stuttgart kein Tag wie jeder andere. Am Ostersamstag nahm Hugendubel wie angekündigt Abschied von der Königstraße – nach sechseinhalb offenbar mühevollen Jahren. In die Immobilie zieht nun ein polnischer Young-Fashion-Filialist ein, ­Reserved. 


Für Wittwer, 200 Meter Luftlinie entfernt, beginnt mit dem Weggang von Hugendubel eine neue Zeitrechnung, wird manches wieder einfacher – in Festtagsstimmung ist das Unternehmen trotzdem nicht.
Dass der Wettbewerber Stuttgart wieder verlässt, habe man "mit einem lachenden und einem weinenden Auge" beobachtet, sagt Geschäftsführer Rainer Bartle. Natürlich sei man froh, dass der Konkurrent aus München weg sei. "Aber wenn so ein großes Buchhaus schließt, ist das auch immer ein schlechtes Signal für die gesamte Branche."

Wittwer selbst hat die Filialisierungswelle, die seit Mitte der 1990er Jahre durch die Republik rollt, gut überstanden (weitere Beispiele: siehe Seite 29). "Wir hatten zu keinem Zeitpunkt Angst, aufgeben zu müssen", betont Bartle. Anderen Buchhändlern ist es nicht so gut ergangen: In den Jahren, in denen Hugendubel am Ort war, haben nach Bartles Schätzung rund ein Dutzend Kollegen in Stuttgart geschlossen. Hugendubel mag dafür nicht immer der Auslöser gewesen sein: "Aber sicher hat das Unternehmen dazu beigetragen."

Den Druck von Filialisten wie Hugendubel, Thalia oder der Mayerschen haben in den vergangenen zehn Jahren viele angestammte Buchläden zu spüren bekommen. Viele Platzhirsche haben im Kampf um ihr Revier aufgegeben oder ihre Läden an die Konkurrenz verkauft. Heute, wo die großen Ketten längst wieder ihre Flächen verkleinern und Standorte schließen, ist es allerorten Zeit für eine Bilanz.

Verglichen mit Wittwer mag die Bücherstube Marga Schoeller in Berlin vielleicht ein Mini-Sortiment sein. In der Hauptstadt jedoch ist es mindestens genauso bekannt wie Wittwer in Stutt­gart. Sechs Angestellte arbeiten auf den 150 Quadratmetern Verkaufsfläche in der Charlottenburger Knesebeckstraße, davon drei in Vollzeit. Das kleine Geschäft ist für viele Berliner der Inbegriff einer Buchhandlung: 1929 von der 24-jährigen Marga Schoeller am Kurfürstendamm gegründet, wurde die Bücherstube schnell Treffpunkt von berühmten Künstlern und Literaten. Nicht nur wegen ihrer zentralen Lage, sondern auch, weil es hier statt Naziliteratur Bücher von damals verfemten Autoren als "Bückware" gab; später gingen Schriftsteller wie Erich Kästner, Elias Canetti und Bertolt Brecht hier ein und aus. 1974 zog die Bücherstube schließlich in die Knesebeckstraße unweit vom Ku’damm – eine Lage, die in den 1990er Jahren auch für Filialisten interessant wurde. Koinhaberin Ruth Klinkenberg berichtet: "Nach dem Mauerfall zog mit Hugendubel der erste große Filialist von außerhalb in die Stadt, der dann auch blieb." Das 4.500 Quadratmeter große Hauptgeschäft von Hugendubel befand sich nur etwa zehn Laufminuten von ihr entfernt am Tauentzien, bis zum Auszug 2012.

In Berlin haben es schon manche versucht, doch das Pflaster ist steinig: Hugendubel ist zwar bis heute in Berlin aktiv, setzt dabei aber auf deutlich kleinere Flächen; es gibt Thalia und Weltbild. Kiepert und später Lehmanns indes mussten schließen, genau wie einst Fnac und Virgin. Nur Dussmann, 1997 gestartet, präsentiert sich seit Jahr und Tag in frischem Glanz – neben vielen, vielen kleinen Buchhandlungen in den Stadt­teilen. Wie die Bücherstube Marga Schoeller.

Man habe die Konkurrenz zu Hugendubel schon gespürt, sagt Klinkenberg. "Auch, weil sich bei vielen das Kaufverhalten zu ändern begann: Man traute den Großanbietern zunächst mehr zu", so ihre Beobachtung. Selbst Stammkunden ihrer Bücherstube ließen sich davon anstecken, gingen bald hier- und bald dorthin. Mit der Folge, dass das Sortiment nach und nach an Umsatz einbüßte – seit 1996 immerhin etwa ein Viertel.

Im Sog von Amazon  Verantwortlich für den Rückgang ist aus Sicht von Klinkenberg aber nicht nur Hugendubel, sondern auch die Verlagerung der Touristenströme in den Ostteil Berlins – und vor allem der Internethandel. Weil Amazon heute der eigentliche Platzhirsch sei, habe man das Sortiment ein wenig umgestaltet, als Hugendubel seine Filiale am Tauentzien schloss, so die Buchhändlerin: "Unsere Strategie in Zeiten von Amazon ist ähnlich wie zu Zeiten der Filialistengründungen – wir wollten keine ›kleinen Hugendubels‹ werden, sondern unser sehr persönliches Profil behalten." Das bedeute: keine Stapelware und ein breites, gut ausgesuchtes Sortiment abseits des Mainstreams. "Die Kunden sollen nicht nur das vorfinden, was überall liegt, sondern auch anderes entdecken können; wir können ihnen Aufmerksamkeit, Kompetenz und persönliche Beratung bieten – sie sollen merken, dass uns der Beruf wichtig ist und Spaß macht." Deshalb recherchiere und besorge man auch mal Dinge, die mehr Arbeit machten und organisiere Lesungen.

Weitere "Platzhirsche" und ihre Geschichten lesen Sie im Börsenblatt Heft 15, das am 9. April erschienen ist.