Zum Tod von Wilfried Weber: Ein Nachruf von Rainer Moritz

Grandseigneur der Hamburger Literaturszene

23. August 2016
von Börsenblatt
Wilfried Weber, Inhaber der Hamburger Buchhandlung Felix Jud, ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses in Hamburg, erinnert an den eleganten Hanseaten, der seinen Kunden ein gebildeter, anregender Gastgeber war − und eine eigene Haltung zu Büchern hatte.

Wenige Wochen ist es her, da schrieb mir Wilfried Weber eine Postkarte, um mir ein paar Zeilen zum Tod Götz Georges zukommen zu lassen. Das war seine Art zu kommunizieren, handschriftlich und mit dezent altmodischem Understatement. Eine E-Mail von ihm zu bekommen hätte mich erschreckt.

Weber galt als Grandseigneur der Hamburger Literaturszene. Er war Mitglied der Akademie Deutscher Buchpreis, amtierte vielerorts in Jurys, gehörte zum kleinen Kreis derjenigen, die Mitte der 80er Jahre das Literaturhaus in Hamburg auf den Weg brachten, trieb dieses Projekt maßgeblich voran, initiierte zusammen mit dem Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi die Lesereihe "Poesie im Rathaus", fungierte als Ratgeber und wusste mit seiner stupenden Belesenheit und seiner Urteilskraft genau zwischen literarischen Eintagsfliegen und langzeitig wirkenden Erscheinungen zu unterscheiden.

Im Sudetenland geboren, wuchs Weber, nachdem er mit seiner Mutter vor den Russen geflohen war, in Thüringen auf und kam dann ins bayerische Wunsiedel, in den Geburtsort Jean Pauls. Dort absolvierte er den Großteil seiner Schulzeit, ehe er Ende der 50er-Jahre ins Rheinland gelangte und in Neuss eine Lehre bei einem kunsthistorisch beschlagenen Buchhändler machte.

Für Felix Jud war er der "größte Glücksgriff"

Als Weber erfuhr, dass die renommierte Hamburger Buchhandlung Felix Jud einen ersten Sortimenter suchte, überlegte er nicht lange. Der Gründer Felix Jud überzeugte den jungen Mann, indem er ihm bei einer Autofahrt um die Außenalster die Schönheit der Stadt zeigte. Die Einstellung Webers 1962 bezeichnete Jud später als "größten Glücksgriff" seines Berufslebens.

Wilfried Weber ist Hamburg treu geblieben, und er hat es früh verstanden, in die für die Buchhandlung Felix Jud  so wichtige Rolle des Buchhändlers als gebildeten Gastgebers zu schlüpfen. Es fiel ihm nicht schwer, das Profil dieser Hamburger Institution zu verstehen. Neben logistischen Fähigkeiten und ökonomischen Kenntnissen eignete er sich früh an, was er eine "eigene Haltung zu den Büchern" nannte, und ging ganz selbstverständlich davon aus, dass Bücher besondere Waren seien und deren Verkauf sich vom Tütensuppen- oder Smartphone-Verkauf unterscheide.

Weber wuchs in seine Aufgabe hinein, eroberte sich schrittweise ein eigenes Terrain und genoss es bei aller hanseatischen Zurückgenommenheit, zum Vertrauten von Künstlern und Persönlichkeiten aus Theater, Politik und Literatur zu werden. Unverwechselbar gekleidet – gerne mit eleganten Einstecktüchern, Cordhosen in kräftigen Farben und vom britischen Künstler David Hockney inspirierten roten Stocken – wusste er, dass sich seine Kunden geschmeichelt fühlten, wenn Weber persönlich das Wort an sie richtete.

Sein Interessensspektrum war groß: Er interessierte sich für die römische Antike und die Renaissance, schätzte Harry Graf Kesslers Tagebücher als einer seiner lebenswichtigen Lektüren. Er korrespondierte mit Berühmtheiten, war Hochzeitsgast, als Siegfried Unseld und Ulla Berkéwicz heirateten, öffnete gleichzeitig seine Buchhandlung für literarische Fußballabende, nannte, nach seinen Musikwünschen befragt, bei einem Gespräch im Deutschlandfunk Joe Cocker und David Bowie und dachte sich einen Abend aus, an dem Iris Berben zusammen mit Boxweltmeister Vitali Klitschko Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" vorstellte.

Er holte den Kunsthandel in die Bücherstube

1972 machte Felix Jud Weber  zu seinem Teilhaber – ein Schritt, ohne den, wie Jud später sagte, die Buchhandlung nicht überlebt hätte. Ohne sich um alle skeptischen Blicke zu kümmern, öffnete Weber die alte Bücherstube für den Kunsthandel und pflegte intensiven Kontakt zu den Hamburger Museen, mit denen er und seine Kompagnonne Marina Krauth eng kooperierten.

Seine Pflege der Tradition, seine Wahrnehmung der Buchhandlung als "geistigen Raum" täuschten nicht darüber hinweg, dass er die Veränderungen des Metiers genau registrierte und liebend gern darüber nachdachte, wie sich "seine" Buchhandlung Felix Jud wohl in zehn Jahren präsentieren würde. Kein Wunder, dass er zusammen mit Marina Krauth 2009 zu den Gründern der noblen Buchhandlungskooperation "5plus" zählte.

Immer eine "stimulierende Freude", schrieb Karl Lagerfeld, sei es für ihn gewesen, sich mit Wilfried Weber, diesem "flotten, britisch-eleganten Hanseaten", auszutauschen. Wer die Buch- und Kunsthandlung Felix Jud am Hamburger Neuen Wall kennt, vermag sich nicht vorzustellen, diesen so unverwechselbaren Mann, nein, Herrn dort nicht mehr anzutreffen.

Wilfried Weber starb im Alter von 76 Jahren völlig überraschend bei einem Wanderurlaub im Allgäu.