Künstliche Intelligenz und ihre Folgen

Die Kunst der digitalen Rede | Teil 2

4. Juni 2017
von Börsenblatt
Im zweiten Teil seines Artikels »Die Kunst der digitalen Rede« beschreibt Stephan Selle die mögliche Entwicklung Künstlischer Intelligenz vom einfachen Dienstleister über den praktischen Einsatz als Freund und Helfer zum Ernst zu nehmenden Konkurrenten des Menschen in der Arbeitswelt.

Stufe II: Der Dschinn

Amazons Echo ist ein Einkaufshelfer, auch wenn er Witze erzählt und das Wetter vorhersagt. Andere Händler können sich über die offen Alexa-Schnittstelle Skills mit eigenen Angeboten einklinken – auch Verlage und Buchhandlungen! Über 500 solche Skills (Apps) gibt es schon in Deutschland, von Bahn und BMW bis Uber und BVB. Die ersten großen Anbieter experimentieren auch schon mit Apps, die über mein Handy in Läden per Barcode Artikel auf den Bildschirm bringen, zu denen ich dann alle möglichen Fragen stellen kann: »Gibt’s dich auch in grün?«

Wer zum Coffee-Shop oder zu McDonalds geht, wird bald über einen Sprachbot vorbestellen können, schon jetzt hat der Burger-Bräter in fast allen Filialen Bestell-Bildschirme (Das Service-Personal wird in den nächsten Jahren durch Latte- bzw. Burger-Roboter ersetzt: soviel zu den tausenden von McJobs).

Die Dschinn-Apps versuchen bei der Erfüllung meiner Wünsche hilfreich zu sein. Noch sind alle Skills auf Spracheingabe umgerüstete Apps, die eindeutige Fragen brauchen. Mit einer Frage wie »Ich möchte nächste Woche an den Bodensee.« wäre die Bahn-Skill derzeit überfordert, ganz abgesehen davon, dass sie erst per Sprachbefehl geöffnet werden muss.

Seit etwas zwei Jahren experimentieren viele KI-Anbieter mit Textbots zum Beispiel unter WhatsApp herum, die sich im besten Falle wie ein weiterer Gesprächspartner verhalten, dabei auf Schlüsselwörter achten, die sich als Kaufwunsch interpretieren lassen. Solche Fähigkeiten werden in nächster Zeit auch bei den Sprachassistenten von Apple, Google und Amazon auftauchen, in Anwendungen, die nachfragen und vorschlagen können. Genutzt werden für solche Anwendungen gigantische Datenbanken und Rechenkapazitäten im der Cloud, der Assistent ist nicht nur das Schaufenster zur Warenwelt, sondern auch der verräterische Zeuge meiner Konsumpräferenzen und Sprachmuster, die solche Datenbanken füllen.

Die Unterhaltung mit dem Dschinn wird ein Beratungsgespräch mit einem von hundert digitalen Verkäufern, die meine Gewohnheiten und Vorlieben kennen und mich in sokratischen Dialogen von einem unklaren Wunsch zu einem definierten Produkt bringen.

Stufe III: Der Freund & Helfer

Soweit zu den Fingerübungen, dem Sprachassistenten als Teil des Internets der Dinge oder als universelle Schnittstelle zur Warenwelt. Mit der echten Unterhaltung will der Bot zum sozialen Wesen aufsteigen. Sony hat von 1999 bis 2006 mit dem Aibo – zu deutsch »Partner« – einen »intelligenten« Roboterhund gebaut, der heute sein Gnadenbrot in Roboter-Fußballteams fristete. Immerhin konnte mit dem zeitlich begrenzten Versuch bewiesen werden, dass – zumindest in Japan selbst – alleinstehende und ältere Mitbürger den bellenden Blechbot als Gefährten akzeptieren konnten. 

Wer sich ab und an mal im Fernsehen oder auf Youtube Dokumentationen über moderne Roboter anschaut, kommt nicht umhin festzustellen, dass der Amerikaner am liebsten bedrohlich Kampfmaschinen baut, wogegen die Japaner auf niedliche Spielgefähren setzen. Subtrahiert man mit der kulturellen Differenz zum Westen den Zuckerguss bei diesen Geräten, dann wird deutlich, was Japaner wollen: Eine digital-mechanische Altenbetreuung. Scham, Trauer und Wut überkommen die arbeitende Generation in Nippon beim Gedanken an ihre Väter und vor allem Mütter, die alt und hilflos in Bergdörfern auf sich gestellt sind. 

Der Ahnenkult verlangt Anderes von allen Nachkommen! Während wir hier in Deutschland Personal aus den umliegenden Länder, vor allem im Osten, rekrutieren können, unter anderem, weil wir uns bei rundum für die Missetaten des zweiten Weltkriegs entschuldigt haben, leben die Japaner nicht nur geographisch auf einer Insel: Weder in Korea noch in China noch in irgend einem anderen betroffenen Anliegerland leisteten die etwas überheblichen Insulaner Abbitte. Also hilft ihnen auch keine Nachbar bei ihrem Pflegeproblem. Also müssen sie das technisch lösen (und wir übrigens bald auch, es wird zu viel!). 

Das Ziel sind freundliche und fast kindliche Roboter, sie legen Mutti in die Wanne, erledigen Einkäufe  und halten die Küche sauber und in Ordnung. Aber wenn sie ihren Dienst als schweigsam und unverständig verrichten, dann droht tatsächlich der digitale Zauberbesen: Die zwei Tage alte Gemüsesuppe wird in den Müll geworfen, da mag die Seniorin noch so sehr protestieren. 

Und hier nun muss die Konversation her, es muss verhandelt werden: Während der Roboter zum Beispiel die Bakteriendichte im Miso misst und kommuniziert (»Die Suppe wird allmählich gefährlich, Yoko-sensei!« – »Und immer wohlschmeckender, Robo-san!«) kann über die Essbarkeit verhandelt werden. Oder über das Fernsehprogramm, die Zu-Bett-Geh-Zeiten und vieles mehr. Das Gerät soll Respekt haben, es muss höflich sein und hilfreich, nicht aufdringlich, aber freundlich.

Nicht nur, dass für die jetzt arbeitenden Japanerinnen und Japaner die Situation fast unerträglich ist, in zwanzig Jahren sind sie ja selbst Senioren. Die Demographie sagt ihnen deutlich, dass dann noch viel weniger Mitbürger als Betreuer zur Verfügung stehen. Der sich-unterhaltende Roboter ist also kein Philosoph, mit dem ich über den Trump-Wahnsinn räsoniere, er ist auch keine redende Universal-Haushaltsmaschine, er bewahrt mich vor der sozialen Vereinsamung und hilft mir, die Schwächen des Alters auszugleichen.

Stufe IV: Der Konkurrent

Die letzte Stufe kommt an dieser Stelle nur kursorisch vor, denn sie kommt später und hängt nur zum Teil an maschineller Sprachfähigkeit. Die Rede ist von den digitalen Maschinen, die möglicherweise mehr als die Hälfte unserer heutigen Jobs übernehmen werden. Die meisten denken bei Robotern noch immer an die Produktion, an Geräte, die schleifen, bohren und schweißen. Die werden aber auch bald waschen, föhnen und legen, also tief in den Dienstleistungsbereich eindringen. Schon heute können digitale Assistenten die meisten Röntgenbilder besser lesen als der Radiologe, auch ohne zwölf-jährige Spezialausbildung. Wer glaubt, dass Roboter am Fließband und an der Werkbank bleiben, liegt sehr weit daneben: Fertigung ist schon seit Jahrzehnten ein schwindendes Geschäft, während die Dienstleistungen boomen.

Sicher sind auch nicht die sogenannten White-Collar-Jobs: Ob Anwälte, ob Steuerberater, ob Sachbearbeiter, Taxifahrer, Kassiererin oder Personalchef: alle müssen sich fragen, wie lange ein intelligentes System braucht, um den eigenen Job hinreichend zu erlernen – wenn zusätzlich die Erfahrung von Hunderten in der Cloud verfügbar ist. Diese Jobs haben aber eins gemeinsam: eine soziale, kommunikative Komponente. Maschinen in diesem Sektor müssen auch Telefonate beantworten können.

Zu Anfang also quasseln nur mein Auto und mein Toaster, bald auch erste eigenständige Roboter, die die Oma baden und ein Spiegelei braten. Aber in naher Zukunft, so die digitale Vision der digitalen Visionäre, gehen mehr als die Hälfte aller Jobs an sprechende Maschinen.

PS: Apples Siri hat nun auch einen Körper bekommen mit dem etwas hausbackenen Namen HomePod. Eigentlich sei das Gerät, so Apple-Chef Tim Cook, der beste intelligente Lautsprecher der Welt, Siri sei ja nur eingebaut, weil es kein Apple-Gerät mehr ohne gibt.

Der erste Teil des Artikels ist hier zu lesen: https://www.boersenblatt.net/bookbytes/artikel-kuenstliche_intelligenz_und_ihre_folgen.1320977.html