ChatGPT - ein Jahr danach

Künstliche Intelligenz – overhyped und unterschätzt?

29. Februar 2024
von Michael Schickerling

Anfang 2023 stand die Buchbranche am Anfang einer KI-Revolution. Heute, ein Jahr später, bestätigt sich: Der Hype ist real, die Möglichkeiten und Herausforderungen enorm. KI ist dabei, sich tief in unser Leben einzugraben – und in die Buchbranche in all ihren Facetten. Zugleich wirft das rasante Entwicklungstempo Schatten.

Ein Roboter und eine Frau seitzen nebeneinander, zwischen ihnen schwebt ein Herz

Einträchtige Symbiose? So stellt die KI sich das herzliche Miteinander von Mensch und KI vor

Meine eigenen Experimente, einschließlich der Integration von KI-Tools in meine Arbeit und Seminare, haben mir in den vergangenen Monaten die beeindruckende Dynamik und das Potenzial dieser Technologie immer wieder vor Augen geführt. Sie wird die Art und Weise, wie wir Bücher konzipieren, entwickeln und vermarkten, radikal verändern.

Prompt ist nicht gleich Prompt

Schon jetzt lasse ich mir überzeugende Umschlagtexte und originelle Buchtitel vorschlagen. Eine Leser-Persona entwickeln und immer wieder befragen. Eine verlässliche Einschätzung von Buchangeboten einholen oder ohne viel technisches Wissen coole Chatbots bauen. All das ist nicht mal eben schnell gemacht, wenn der Output nicht mittelmäßig ausfallen soll. Entscheidend ist die Kunst des Promptings – die Fähigkeit, Anfragen strukturiert so zu formulieren, dass sie die Ergebnisse in die gewünschten Bahnen lenken. Denn unterfüttert mit einem detaillierten Briefing, ein paar Beispieldaten, persönlichem Know-how sowie ein paar Euro für mehr Datenschutz und Qualität leistet die KI Erstaunliches.

Unterfüttert mit einem detaillierten Briefing, ein paar Beispieldaten, persönlichem Know-how sowie ein paar Euro für mehr Datenschutz und Qualität leistet die KI Erstaunliches.

KI als Partner – nicht nur für die Großen

Was mir trotz einiger Bemühungen nicht gelungen ist: mich selbst überflüssig zu machen, bisher. Auch Autorinnen und Ghostwriter, Übersetzerinnen und Illustratoren, Lektoren und Verlegerinnen sind weiterhin gefragt. Für manche wird es jedoch zunehmend eng. Wie stellen wir also sicher, dass wir von dieser revolutionären Technik nicht überrollt werden? Wie navigieren wir durch das ethische Minenfeld, das die KI begleitet? Aktuelle Branchendiskussionen konzentrieren sich zu sehr auf die rechtlichen Rahmenbedingungen. So wichtig diese sind, dürfen wir die unternehmerischen und kreativen Möglichkeiten nicht vernachlässigen. Dabei müssen alle die Chance bekommen, sich KI als Partner zunutze zu machen – nicht nur die großen Player. Ermutigende Beispiele gibt es zuhauf, vorgestellt immer wieder auch hier im Börsenblatt.

Alle müssen die Chance bekommen, sich KI als Partner zunutze zu machen – nicht nur die großen Player. Ermutigende Beispiele gibt es zuhauf.

KI ersetzt nicht Genie

Die Frage ist nicht, ob KI unsere Branche verändern wird – das tut sie bereits. Die Frage ist, ob wir mutig genug sind, ertragreiche Geschäftsmodelle infrage zu stellen, bevor sie obsolet werden. Erprobte Prozesse anzupassen, bevor andere schneller und günstiger sind. Kreative Angebote zu erweitern, bevor andere den entscheidenden Funken origineller sind. Künstliche Intelligenz kann uns bei all dem unterstützen und inspirieren, aber sie ersetzt nicht die menschliche Genialität. Die Zukunft der Buchbranche liegt in einer Symbiose von Mensch und Maschine, in der beide ihre unnachahmlichen Stärken ausspielen.

Michael Schickerling im Sakko vor Bücherregal

Michael Schickerling

Michael Schickerling

Michael Schickerling ist Verlagsberater und Büchermacher mit einer langjährigen Erfahrung in vielen Verlagsbereichen. Er unterrichtet regelmäßig am mediacampus frankfurt, hält Webinare fürs Börsenblatt zu Themen Texten, Titelfindung und KI und ist Autor verschiedener Fachbücher, zuletzt erschienen: "Corporate Books. Überzeugend konzipieren, zielgruppengerecht schreiben, erfolgreich vermarkten" (Bramann Verlag).