Geschwister-Scholl-Preis

Andrej Kurkow über "die Sonne der Hoffnung"

29. November 2022
von Andreas Trojan

Schriftsteller Andrej Kurkow ist am Montag in München mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet worden - und hat sich dabei dezidiert auf Sophie Scholl bezogen. Eine bewegende Preisverleihung in Kriegszeiten.

Andrej Kurkow

Die Ukrainer sind heute bereit, die Unabhängigkeit ihres Landes zu verteidigen - und tun dies erfolgreich.

Andrej Kurkow

„Man darf nicht nur dagegen sein, man muss etwas tun.“ Das sind Worte von Sophie Scholl. Andrej Kurkow zitierte sie in seiner Dankesrede zur Verleihung des diesjährigen Geschwister-Scholl-Preises.

Der ukrainische Schriftsteller mit russischen Wurzeln bekommt den Preis für seine Publikation „Tagebuch einer Invasion“ (Haymon). Darin schildert er den Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine. In dem Buch geht es nicht nur um Kriegshandlungen, sondern auch um den Alltag, den die Menschen in dieser Schreckenszeit zu bewältigen haben.

Literatur dürfe bei all dem Leid nicht auf der Strecke bleiben, mahnte Kurkow: „Der Krieg hat die Pläne vieler Verlage durchkreuzt. Flexibilität ist jetzt das A und O. Sie sind bemüht, nichts absagen zu müssen, damit das literarische und kulturelle Leben in der Ukraine weitergehen kann.“

Kurkow verglich in seiner Dankesrede die jetzige Situation mit dem Einmarsch der Roten Armee 1918. Doch etwas hat sich geändert: „Die Ukrainer sind heute bereit, die Unabhängigkeit ihres Landes zu verteidigen, und tun dies erfolgreich. Auch während der Okkupation.“

Katrin Habenschaden, Zweite Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München, Preisträger Andrej Kurkow und Klaus Füreder, Vorsitzender des Börsenvereins in Bayern (von links)

 

Die Ukraine hat einen Chronisten, den wir heute hier feiern, einen Ukrainer russischer Abstammung und einen der führenden Schriftsteller und Intellektuellen seines Landes.

Klaus Füreder, Vorsitzender des bayerischen Landesverbands im Börsenverein

Klaus Füreder, Vorsitzender des Börsenvereins in Bayern, ging in seiner Rede auf die Bedeutung ein, die Andrej Kurkow als Vermittler dieser kriegerischen Auseinandersetzung zukommt: „Die Ukraine hat einen Chronisten, den wir heute hier feiern, einen Ukrainer russischer Abstammung und einen der führenden Schriftsteller und Intellektuellen seines Landes.“

Kurkows „Tagebuch einer Invasion“ zeige den Menschen im Westen jenseits der Nachrichten, was Leben im Krieg bedeutet: „Eine der großen Stärken von großer Literatur ist es, dass sie uns ein Erfahrungswissen in seiner ganzen Unmittelbarkeit vermitteln kann, ohne dass wir selbst dabei gewesen sein müssen. Und es sind diese Episoden von der nacherzählten Wirklichkeit des Krieges, die mich in Ihrem Buch berührt und gefesselt haben,“ so Füreder an die Adresse des Preisträgers.

Das Streben nach Freiheit wird auf jeder Seite von Kurkows 'Tagebuch einer Invasion' sichtbar.

Sonja Zekri, Laudatorin

Die Journalistin Sonja Zekri verwies in ihrer Laudatio auf das umfangreiche belletristische Werk Kurkows. Jetzt, mitten im Krieg, sei kein Platz für reine Belletristik – umso wichtiger sei das intellektuelle Durchdringen der Ereignisse.

„In einer Zeit der Polarisierung und der Propaganda stellt Kurkow seinen intellektuellen und ästhetischen Mut insbesondere dort unter Beweis, wo er auf seine „geistige Unabhängigkeit“ besteht, wenn man so will - auf einen Patriotismus, der sich aus dem Streben nach Freiheit speist.“ Dieses Streben nach Freiheit werde auf jeder Seite von Kurkows „Tagebuch einer Invasion“ sichtbar, lesbar, spürbar.

„Die Sonne scheint immer noch und wird immer scheinen. Sonne der Hoffnung.

Andrej Kurkow

„Die Sonne scheint noch.“ Diese Worte von Sophie Scholl vor ihrer Hinrichtung zitierte Andrej Kurkow am Ende seiner Rede. Gerade Sophie Scholls Mut, gegen den Faschismus zu kämpfen, lässt Raum für Hoffnung. Andrej Krukow: „Die Sonne scheint immer noch und wird immer scheinen. Auch im Dunkeln. Sonne der Hoffnung. Die Sonne, die täglich die Dunkelheit besiegt.“

Die Reden der Preisverleihung lassen sich ab dem 30. November auf der Homepage des Preises nachlesen.

Über Andrej Kurkow

Andrej Kurkow wurde 1961 in Sankt Petersburg geboren, seit seiner Kindheit lebte er in Kiew, der Stadt, aus der er durch den Krieg vertrieben wurde. Das Spannungsverhältnis zwischen der russischen und der ukrainischen Sprache und Kultur, das er in seinem ‚Tagebuch‘ vielfach reflektiert, prägt auch seine eigene Existenz als ukrainischer Autor, der seine Romane und fiktionalen Texte in seiner Muttersprache Russisch schreibt.

In der Begründung der Jury heißt es: Nicht zuletzt im Nachdenken über die eigene Familiengeschichte führe Kurkow den Leser:innen die lange Unterdrückungsgeschichte der Ukraine vor Augen, die von zahlreichen Deportationen und Zwangsvertreibungen gekennzeichnet ist und dennoch eine nun bedrohte politische Tradition des Individualismus und der Liberalität hervorgebracht hat, die Freiheit höher bewertet als Sicherheit und ökonomische Stabilität.

Über den Preis

Der Geschwister-Scholl-Preis (Dotierung: 10.000 Euro) wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern und der Landeshauptstadt München seit 1980 vergeben.

Sinn und Ziel des Geschwister-Scholl-Preises ist es, jährlich ein Buch jüngeren Datums auszuzeichnen, "das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben."