Jahrestagung der IG Wissenschaftliche Bibliotheken

"Reger Austausch und kontroverse Diskussionen"

8. Mai 2024
von Michael Roesler-Graichen

Für den Austausch zwischen Mitarbeitenden aus Bibliotheken und Verlagen bot die Jahrestagung der IG Wissenschaftliche Bibliotheken Ende April eine gute Plattform. Thematisch ging es unter anderem um die Auswirkungen der DEAL-Vereinbarungen auf den Markt, die Entwicklung des Open-Access-Ökosystems und die Rolle von KI bei der Qualitätssicherung von Publikationen.

Andreas Reckwerth, Verlagsdirektor Duncker & Humblot und Sprecher der IG Wissenschaftliche Bibliotheken

Das Bibliotheksgeschäft ist für viele Wissenschaftsverlage und Fachbuchhändler das Fundament, auf dem ihre wirtschaftliche Existenz beruht. Die Veränderungen, die das akademische Publizieren seit gut 20 Jahren erlebt, sorgen für erheblichen Klärungsbedarf in den Branchenunternehmen. Um den Austausch zwischen allen Beteiligten zu fördern und zu unterstützen, hat sich im September 2016 die Interessengruppe (IG) Wissenschaftliche Bibliotheken gegründet, die sich inzwischen „als Austauschplattform zwischen Verlagen, Bibliotheken und allen anderen Stakeholdern etabliert hat“, so IG-Sprecher Andreas Reckwerth (Duncker & Humblot).

Das Programm der Jahrestagung, die am 24. und 25. April in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am Main stattgefunden hat, sei auf großes Interesse gestoßen, so Reckwerth. Unter den mehr als 70 Teilnehmenden seien zahlreiche Gäste aus den wissenschaftlichen Bibliotheken gewesen, und man habe eine "sehr schöne Dynamik" beobachtet. "Es gab einen regen Austausch und kontroverse Diskussionen nach den Vorträgen, auch deshalb, weil sich meinungsstarke Personen zu Wort gemeldet haben", so Monika Schneider, stellvertretende IG-Sprecherin (Buchhandlung und Zeitschriftenagentur Otto Harrassowitz).

Themen der Tagung waren unter anderen die Rolle von KI in Verlagsprozessen und bei der Qualitätssicherung (Peer Review etc.) sowie die Auswirkungen der DEAL-Verträge auf die Branche. „Interessant war in diesem Zusammenhang der Vortrag von Jens-Peter Gaul, Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz, der über DEAL als Option für kleine und mittlere Verlage gesprochen hat“, sagt Reckwerth. Dazu sei aus der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verlage (AwV) bereits eine Arbeitsgruppe gebildet worden, die mit Vertretern des Arbeitskreises Forum 13+ verbunden werden soll.

Ein weiterer Schwerpunkt sei die wissenschaftliche Praxis der Qualitätssicherung gewesen, so Heiko Brandstädter, stellvertretender IG-Sprecher (Wiley-VCH). Dazu gab Svenja Hagenhoff von der Universität Erlangen-Nürnberg einen allgemeinen Überblick. Spannend war der Vortrag von Clara Ginther, Leiterin der Universitätsbibliothek an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, die über sogenannte Predatory Journals referierte – ein Phänomen in der ausstoßfixierten Publikationswelt, das zunehmend Sorgen bereitet. Es handelt sich um „räuberische“ Zeitschriften, deren Geschäftsmodell vor allem darin besteht, eingereichte Texte gegen Geld zu veröffentlichen und alle wissenschaftlichen Standards der Inhaltsprüfung zu ignorieren.

Als problematisch sei nach dem Vortrag von Rolf Plappert (UB Erlangen-Nürnberg) über E-Book-Fachpakete der Aufbau von Doppelstrukturen in Buchmarkt und Bibliothekswesen bewertet worden, so Brandstädter. Bibliotheken würden Prozesse aufsetzen, die der Handel und die Verlage bereits etabliert hätten, so Brandstädter. Diese Kritik sei auch schon im Zusammenhang mit DEAL geäußert worden, so Monika Schneider, wo die Max Planck Digital Library (MPDL) als Publikationsagentur der DEAL-Verlage (Wiley, Springer Nature und Elsevier) geschaffen worden sei. Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, wie der Buchhandel in die DEAL-Vereinbarungen einbezogen werden kann. Und wie kann man verhindern, dass Marktteilnehmer komplett unter den Tisch fallen? Dies war auch Thema des Vortrags von Diane Korneli-Dreier, Inhaberin und Geschäftsführerin der Wissenschaftlichen Versandbuchhandlung Dietmar Dreier (Duisburg).

Wie es nach dem DEAL-Projekt mit der Open-Access-Transformation weitergeht, und wie die Zukunft der Wissenschaftspublikation aussehen könnte, war Gegenstand des abschließenden Impulsvortrags von Rafael Ball (Bibliothek der ETH Zürich), an den sich eine Podiumsdiskussion über die zukünftige Rolle der Akteure anschloss.