Können Autorenlesungen und Literaturfestivals zur Ukraine für mehr Aufmerksamkeit und Empathie sorgen?
Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse gab es an zahlreichen Orten enorm informative, packende, bewegende Diskussionen mit Autoren, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivistinnen aus der Ukraine. Als die Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matviichuk sprach, liefen einem alten Herrn, der neben mir saß, die Tränen über die Wangen. Ich hatte den Eindruck, das Publikum lernt und begreift bei diesen Begegnungen viel mehr als in all den Monaten des Medienkonsums. Zurzeit läuft das Münchener Literaturfestival, der Publikumszuspruch bei den Ukraine-Veranstaltungen ist sensationell. Kuratiert wird dieser Schwerpunkt von der der in Wien lebenden ukrainischen Autorin Tanja Maljartschuk, Bachmannpreisträgerin des Jahres 2018.
Wie könnte man mehr Nähe zu den in der Ukraine lebenden Autorinnen und Autoren herstellen?
Darüber bin ich in Gesprächen. Für internetaffine Buchhändlerinnen ließen sich persönliche Briefe von Autorinnen und Autoren, die auf Facebook schreiben, übersetzen – fünf, sechs pro Woche. Vielleicht ließe sich auch eine Youtube-Plattform einrichten, über die Spendenaufrufe gepostet werden. Ferner sind Lesekreise, auch mit Übersetzerinnen oder anderen kompetenten Leuten, eine schöne Form, sich den Büchern der Autoren anzunähern – manche lassen sich bestimmt auch gern per Zoom dazuschalten.
Kann die gezielte Lektüre ukrainischer Literatur und von Sachbüchern über die Ukraine dabei helfen, sich einem Land im Kriegszustand mental zu nähern?
Zweifellos. Seit Kriegsbeginn erfreuen sich ukrainische Bücher einer beständigen Nachfrage, einige Titel wie Serhij Zhadans "Himmel über Charkiw" sogar in einer völlig unerwarteten Dimension. Der Suhrkamp Verlag publiziert seit fast 20 Jahren kontinuierlich Bücher aus der Ukraine und über die Ukraine. Jetzt mussten wir selbst Titel aus den Jahren 2014, 2015 mehrfach nachdrucken. Es ist tragisch, dass ein breites Interesse an diesem Land erst erwacht ist, seit es sich Russlands Vernichtungskrieg entgegenstemmt. Plötzlich wird eine Gesellschaft kenntlich, die entschlossen ist, für die Freiheit und Souveränität ihres seit 1991 unabhängigen Staates zu kämpfen. Was sind das für Menschen, die friedlich und gut leben wollen wie wir auch und die jetzt dieser erbarmungslosen Destruktion ausgesetzt sind? Wie konnte es so weit kommen? In den Büchern finden wir Antworten auf diese Fragen.