„Die Zeiten und Stimmungen ändern sich“

13. Oktober 2007
von Börsenblatt
Interview mit Kiepenheuer & Witsch-Verleger Helge Malchow zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen „Esra“.
War die Entscheidung eine Überraschung für Sie? Malchow: Nein, Überraschung ist der falsche Ausdruck. Wir hatten ja vorher in allen Instanzen verloren. Uns war klar, dass es innerhalb des deutschen Rechtswesens starke Stimmen für das Verbot des Buches gibt. Aber ich hatte natürlich auch Hoffnung. Und die war nicht unberechtigt: drei von acht Richtern haben sich ja auf die Seite des Verlags gestellt. Sie haben viel versucht. War alles umsonst? Malchow: Was das konkrete Buch angeht, war es umsonst. Auf der anderen Seite hat die Diskussion sicher das Bewusstsein der Öffentlichkeit für Fragen der literarischen Freiheit geschärft. Hat das Urteil über den konkreten Fall hinaus Auswirkungen auf das literarische Schreiben? Malchow: Ich denke, ja. Statt sich nur mit ästhetischen Fragen zu beschäftigen, müssen Autoren sich während des Abfassens von Büchern auch mit juristischen Fragen auseinandersetzen. Verändert sich die Arbeit der Lektorate? Malchow: Wenn die Lektoren neben der Prüfung der literarischen Qualität auch eine juristische vornehmen müssten, dann wäre das fatal. Ich werde mich darauf nicht einlassen. Es gibt das berühmte Beispiel „Mephisto“. Das Buch von Klaus Mann wurde verboten, erschien Jahre später dann aber doch. Haben Sie eine solche Hoffnung auch für „Esra“? Malchow: Nun ja, das ist eine Entscheidung, die jetzt getroffen wurde. Aber die Zeiten und Stimmungen ändern sich. Im Falle von „Mephisto“ war das jedenfalls so. Und der Verlag hat das Buch trotz des Verbots dann eben einfach gedruckt, ohne dass sich daraufhin erneut ein Kläger gefunden hätte. Ansonsten hätte man es lediglich wieder vom Markt nehmen müssen. Glauben Sie, dass das "Esra" noch während Ihrer Zeit als Verleger bei KiWi erscheinen kann? Malchow: Da habe ich im Augenblick kein Gefühl für.