Buchveredelung - lohnt sich das? Gastspiel von Michaela Philipzen

Fühlt der Leser irgendwas?

2. Juni 2016
von Börsenblatt
Im Sommer wird in den Verlagen unter Hochdruck über das "Look & Feel" der neuen Herbstkrimis entschieden. Ullstein-Produktionsleiterin Michaela Philipzen über Sinn und Unsinn herstellerischer Rituale.

Auf das Zeremoniell der Coverfindung folgt unmittelbar die Frage nach der Buchveredelung: Gefühlt jeder dritte Spannungsroman wird wenigstens mit pointiert gesetztem Glanzlack ausgestattet. Haptisch erfahrbar wird es mit hoch­geprägten Elementen und besonderem Umschlagpapier. Anspruchsvollst, vor allem aber: kostenintensiv dann, wenn dem Buch beispielsweise ein farbiger Schnitt mitgegeben wird. Die Bedeutung der Novität für den Verlag lässt sich bisweilen daran ablesen, welche Veredelungsstufen sie erfährt. Aber lohnt der ganze handerotische Zauber eigentlich? Ist unsere krimilesende Kundschaft empfänglich für unsere sinnlichen Signale?
Die Frage sei erlaubt, warum sich Krimicover ganz unterschiedlicher Verlage häufig ähneln, ja nahezu austauschbar werden? Wenn die Handlung des Öfteren eine völlig andere Richtung einschlägt als das Äußere zunächst vermuten ließ, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Krimi-Leserschaft sich nicht mehr auf die Orientierungshilfe des ersten Eindrucks verlässt – und dies mit einer ähnlich mehrdeutigen Auswahl ihrer Lieblings­cover auf Bloodycover beantwortet (bloodycover.de/2016-2/), um schließlich Thomas Raabs "Still – Chronik eines Mörders" zum stimmigsten Krimicover zu wählen: hellblaue Wasserlinie im Gegenlicht – hätte auch gut zu einem Titel über Wieder­geburt aus dem spirituellen Fach gepasst … aber gut! Ein ähnliches Bild zeigen die ersten zehn "Krimi-Zeit"-Platzierungen: die Optik? Ein einziges Alles-ist-möglich. Die Buchausstattun­gen? Nahezu ausnahmslos desillusionierend schlicht.

Wo bleibt die Anerkennung für die blutspritzende, multi-hochgeprägte, nachtleuchtende und haptisch-betörende Buchverpackung? Wo der Dank für die wegweisenden Informationen auf den USP-versprechenden Etiket­ten? Wo die brückenbauenden Storytelling-Häppchen, die den Buchverkauf beflügeln?
Wir können nur vermuten, dass Nesbøs erfolgreiche Mini­serie "Blood on Snow" noch mehr Krimifans hätte gewinnen können, wäre ihnen bewusst gewesen, dass Ullstein die Auflage nicht nur mit viel Liebe in Deutschland hat drucken lassen, sondern auch in Handarbeit veredeln ließ. Ganze zwei Wochen hat es in Anspruch genommen, bei der Startauflage von "Der Auftrag" die Buchkanten Exemplar für Exemplar schwarz einzufärben. Kein Scherz!
Die dicht mit Broschuren gefüllten Regale meiner benachbarten Krimibuchhandlung Miss Marple skizzieren ein Klientel, dem aufwendige Buchausstattungen nicht ganz so wichtig sind. Rundum gelungene Stoffe und Empfehlungen – dann greifen ihre Kunden zu, betont die passionierte Buchhändlerin Cornelia Hüppe. Der Überhang an broschurgebundenen Krimis darf nicht als Beleg für eine knauserige Kundschaft missinterpretiert werden, im Gegenteil: Für Überraschungserfolge von Autoren unabhängiger Verlage lassen sich überdurchschnittliche Ladenpreise durchsetzen! Was wohl nicht nur serienaffine Miss-­Marple-Kunden stört, ist, wie mir weitere Buchhändlerinnen versicherten, wenn die Folgetitel plötzlich in einem anderen Buchformat als der Vorgänger erscheinen. Na hoppla! Könnte das ein Indiz dafür sein, dass der lust-lesende Krimibuchkäufer doch empfänglich für subtile Sinneseindrücke ist? Bis dies nicht eindeutig widerlegt ist, tun wir vermutlich weiter gut daran, ­unsere Bücher auch haptisch sprechen zu lassen. Details mit Herzblut zu verfeinern und dem Buch dadurch Persönlichkeit zu verleihen. Denn am Ende freut sich darüber noch jemand, dessen Part bei der Entstehung eines Buchs ohnehin der wichtigste ist: der wertgeschätzte Autor.