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Unternehmen Zukunft

1. Februar 2016
von Nils Kahlefendt
Von der e:publish zur future!publish: Um frische Ideen fürs Verlegen und Verkaufen ging es beim neuen Kongress-Format in Berlin. Bei den rund 280 Teilnehmern dürfte sich auch die Gewissheit festgesetzt haben, dass Print und Digital sehr gut zusammen funktionieren können.

Noch immer scheinen beim digitalen Wandel in der Buchbranche zwei Welten aufeinanderzutreffen – die „alte" des gedruckten Buchs und die „neue" des digitalen Lesens. Den scheinbar unüberwindbaren Gegensatz abzubauen und für mehr Durchlässigkeit zwischen analogen Traditionalisten und digitalen Modernisierern zu sorgen, das war – neben der Suche nach neuen Erlösmodellen und Strategien - ein roter Faden des zweitägigen Kongresses in der Berliner Urania.

Das Beste beider Welten 

Für diesen Ansatz steht symptomatisch ein Unternehmer wie Karl-Ludwig von Wendt. Unter seinem Pseudonym „Karl Olsberg“ ist von Wendt nicht nur ein typischer Hybrid-Autor, dessen Thriller bei Berlin oder Aufbau und im Selfpublishing erscheinen. Seit vielen Jahren ist der promovierte Betriebswirtschaftler auch erfolgreich in der New Economy unterwegs. Mit seinem Hamburger Startup Briends und der neuen App Papego will von Wendt dazu betragen, dass aus dem „versus“ zwischen Print und Digital ein Miteinander wird. Die Leser, so viel scheint längst klar, wollen beides: Optik und Haptik des gedruckten Buchs und die grenzenlose Mobilität des E-Books. Die kostenlose App erlaubt den nahtlosen Switch zwischen beiden Welten; bis zu 25 Prozent eines Buchs lassen sich nach dem Scannen der zuletzt gelesenen Seite mobil weiterschmökern. Zahlen soll für diesen Service der Verlag, von einem „fixen Betrag pro Titel“ ist die Rede. Als erster Partner wurde Piper gewonnen, auch Hugendubel unterstützt den Start – Anfang März sollen die ersten Papego-fähigen Bücher im Handel sein.

Disruptive Innovation 

In Berlin war von Wendt beileibe nicht der Einzige, der angesichts schwächelnder E-Book-Anteile und vieler Fragezeichen über den weiteren Fortgang der digitalen Revolution zu eher disruptiver Sichtweise aufforderte. Statt sich wie das Kaninchen auf die Schlange Amazon zu fixieren, bei Investitionen in neue Geschäftsmodelle zugunsten des klassischen Brot-und-Butter-Business zu knapsen, sollten die Chancen gesehen werden, die im mobilen Markt stecken. Experimente und Fehlschläge sind überlebensnotwendig für eine Branche, die die Dimension des Wandels in der Breite noch immer unterschätzt. „Experimentieren Sie, lernen Sie, machen Sie Fehler, probieren sie’s wieder!“ – was Chantal Restivo-Alessi (HarperCollins) in ihrer Key-Note forderte, hätte auch in toto als Motto für den Kongress getaugt. Wenn etwa Jakob Jochmann (pixelcraftbooks) die über 20 Jahre alte Disruptionstheorie für die Branche fruchtbar zu machen versuchte – wie schaffe ich es mit einer innovativen Technologie, einem klugen Servicekonzept auf einen scheinbar gesättigten Markt, was kann dabei schief gehen? – dann empfiehlt sich der Blick, statt auf Amazon, gern auch mal auf Wikipedia, Skype, Airbnb oder den Fahrdienstvermittler Uber.

Per Anhalter aus der Gutenberg-Galaxis?

Diese Blicke über den Tellerrand, auf andere Branchen der Kreativwirtschaft, bot die future!publish reichlich. War es nicht die Computerspieleindustrie, die schon immer ein gutes Näschen dafür hatte, wie sich physische Produkte als Anker für digitale Inhalte einsetzen lassen? Im zarten Alter von 12 Jahren entdeckte Falko Löffler mit „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams nicht nur sein Lieblingsbuch – das Computerspiel gleichen Namens, ein „Roman zum Mitschreiben“, brachte den auf seinem C64 herumhackenden Jugendlichen auf den ultimativen Berufswunsch: Spiele-Autor. In seinem Vortrag unternahm Löffler eine Tour de Force durch die Geschichte der Game-Industrie – und setzte sie, immer mit einem Augenzwinkern, zur Buchbranche in Beziehung. Klar, so genannte „Free-to-play“ oder „Play for fun“-Modelle, bei denen zunächst kostenlose Spiele mit diversen Extras aufgelevelt werden können, sind hier nur schwer vorstellbar: Soll der geneigte Leser alle Verben nachkaufen? Oder nach dem ersten zehn Krimi-Seiten an eine Pausen-Schranke von 24 Stunden stoßen? Ein E-Roman als einarmiger Bandit? Einiges, so Löffler, können die Büchermacher vielleicht doch von den Computer-Nerds lernen: Veränderung ist ein Dauerzustand! Schnelligkeit wird belohnt! Auf Konvergenz folgt Divergenz! Und: Raubkopien sind vielleicht doch nicht an allem schuld?

„Nicht so verlagig“

Wie, so lautete die unter wechselnder Perspektive immer wieder aufploppende Grundfrage des Kongresses, werden Bücher in fünf oder zehn Jahren gelesen, verlegt oder verkauft? Auch bei der Vorstellung der Umfrage Vertrieb 2020, durchgeführt im Sommer letzten Jahres vom mediacampus frankfurt und in Berlin erstmals öffentlich präsentiert, wurde die future!publish ihrem Namen gerecht. Die Umfrage, deren Basis Aussagen von rund 120 Entscheidern der größten deutschsprachigen Verlage bilden, ist nicht repräsentativ, zeigt aber eindeutige Trends auf: Die Relevanz digitaler Vertriebswege steigt, die Bedeutung des Direktvertriebs und der Nebenmärkte wird wachsen, individuelle Kundenbetreuung gewinnt an Gewicht (siehe dazu den ausführlichen Bericht im aktuellen Börsenblatt 4/2016 „Thema der Woche“; Kontakt mediacampus über Anke Naefenaefe@mediacampus-frankfurt.de). Spannend wurde die Präsentation in Berlin auch durch das, was nicht in den Charts stand: Monika Kolb-Klausch hatte mit Till Moepert (Vice President eCommerce & Retail, Springer Nature) nicht nur einen Manager aus einem Fachverlag zum Gespräch aufs Podium geholt – sondern einen, der vor seinem Springer-Engagement nichts mit der Branche am Hut hatte. Moepert kam von Ebay. 2012 startete Springer den eigenen Webshop – bis dahin waren 90 Prozent aller E-Books über Amazon verkauft worden; heute ist es noch ein Drittel. Das stärkt die Verhandlungsposition im Konditionenpoker. Anders als bei Publikumsverlagen überwiegt bei Springer Nature das klassische Long-tail-Geschäft, die Backlist ist gefragt. Doch die Wissenschaftler, die die Kernzielgruppe ausmachen, sind dabei, ihr Kaufverhalten zu ändern; künftig werden Abo-Modelle wichtiger werden, eine Art „Spotify für Fachverlage“. Moeperts Mannschaft wuchs in den letzten Jahren von fünf auf 23 Mitarbeiter, die die Startup-Atmosphäre im warmen Mantel des Konzerns zu schätzen wissen: „Wir sind nicht so verlagig.“ Geht es um Wachstum im digitalen Geschäft, werden auch unkonventionelle Wege beschritten, nicht immer zur Freude des eigenen Außendienstes: „Wir probieren Sachen aus und bitten hinterher um Verzeihung.“      

Tekkies und Verlagswelt 

Stark frequentiert waren auch die beiden Startup-Sessions der future!publish, besonders am Freitag platzte der kleine „Einstein“-Raum der Urania aus allen Nähten. „100 Leute im Tekk-Track eines Verlagskongresses? Das ist selten“, meinte denn auch Michael Lemster (alVoloConsult). Das Spektrum der Acht-Minuten-Präsentationen war breit und reichte von Sprylab, mit deren Software etwa die „Welt“ ihr neues iPad-Magazin Epos baut und die nun ihre Fühler in die Buchwelt ausstrecken, bis zu Buchlichter, einer kuratierten „Kinder- und Jugend-E-Bookhandlung“ nach Vorbild des klassischen Sortiments. pagina hat schon ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel, die Wurzeln der Firma reichen in die 60er Jahre. Nun ist sie angetreten, die Satzautomation zu revolutionieren. Droemer Knaur etwa produziert mit Hilfe der Tübinger Print-on-demand-Titel aus dem Selfpublishing-Portal neobooks. Sebastian Wolter (Voland & Quist) berichtete, wie ein Indie-Verlag sich trotz Abhängigkeit von Dienstleistern und Plattformen ins Abenteuer der eigenen Kurzgeschichten-App stürzte – und sich dabei trotzdem Neugier und Spaß nicht nehmen lässt. Um mehr Durchlässigkeit zwischen Print und Digital geht es auch bei Booktex, ein Gemeinschaftsunternehmen von utb und Preselect.media. Seit Februar 2015 betreibt das Startup eine Plattform für den Vertrieb von e-Book-Auszügen für digitale Semesterapparate an Hochschulen. Für Verlage eine interessante Möglichkeit, ihre Inhalte vorrangig vor der in § 52a des Urheberrechtsgesetzes geregelten Hochschulnutzung und, wichtig: zu angemessenen Konditionen zu vertreiben. Bislang sind 25 wissenschaftliche und Fachverlage mit rund 40.000 Titeln im Boot.

Into the future

Mathias Voigt, Geschäftsführer der Berliner PR-Agentur Literaturtest soll „zehn Sekunden“ gezögert haben, als ihn Detlef Bluhm vom Börsenvereins-LV Berlin-Brandenburg gefragt hatte, ob er die Organisation des neuen Kongress-Formats übernehmen wolle. Beide dürften das anschließende Ja-Wort ebenso wenig bereut haben wie das Publikum: Mit rund 280 Teilnehmern und einem anspruchsvollen Programm sollte der Sprung von der e:publish zur future!publish gezündet haben. Die Probe aufs Exempel wird man in einem Jahr machen können – am 26./27. Januar 2017 findet die zweite future!publish statt.

http://futurepublish.berlin

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