Jahresbilanz 9: Olaf Kühl

"Ich will einen Brunnen bauen"

7. Dezember 2016
von Börsenblatt
Bis zum 31. Dezember kommt auf boersenblatt.net jeden Tag eine Branchenpersönlichkeit zu Wort. Unsere kleine Jahresbilanz, verbunden mit einem Ausblick auf 2017. Heute: der Autor und Übersetzer Olaf Kühl zum Thema Autragsbücher, Work-Life-Balance und die Projekte für 2017.

War Ihr Auftragsbuch für Übersetzungen in diesem Jahr ausreichend gefüllt?
Dieses Jahr habe ich gar nicht viel übersetzt – kürzere Texte der russischen Autoren Arkadij Babtschenko und Oksana Timofejewna für "Lettre International", etwas von Michał Witkowski, von dem man leider nicht mehr so viel hört in Deutschland. Mein größter Auftrag  war die redaktionelle Bearbeitung von Maxim Kantors 900-Seiten-Roman "Das Rote Licht", einem gewaltigen Epos über das deutsch-russische 20. Jahrhundert, das 2017 bei Zsolnay erscheinen soll. Von literarischen Aufträgen allein hätte ich dieses Jahr nicht gut leben können. Da hilft mir mein zweites Standbein, der Job als Russland- und Ukraine-Referent in der Senatskanzlei.

Worüber haben Sie sich in diesem Jahr besonders gefreut?
Über den Brücke-Berlin Preis für Szczepan Twardochs "Drach" und meine Übersetzung des Romans. Die Freude wurde zusätzlich dadurch versüßt, dass aus Paris Rita Gombrowicz und aus der Schweiz mein alter Professor Rolf Fieguth zur Verleihung angereist waren. Fieguth hat mich seinerzeit als Slawisten zum literarischen Übersetzen gebracht. Eher ein Überlebenstraining als die reine Freude war die weite Reise mit Andrzej Stasiuk von Krakau bis nach Ulan-Bator. Viel Spaß gemacht hat mir das mongolische Naadam-Fest, das meine Frau bei uns auf dem Land in Polen organisiert hat und bei dem Mongolen sowie dreißig Studenten und Dozenten der Humboldt-Universität im Bogenschießen, Ringen und (imitiertem) Pferderennen gegeneinander antraten.

Was ist Ihnen in diesem Jahr misslungen?
Dazu fällt mir nichts ein. Möglicherweise habe ich ein selektives Gedächtnis für die Dinge, die gut waren. Misslungen ist mir aber wohl tatsächlich nichts. Geärgert dagegen hat mich sehr vieles, besonders in der Weltpolitik, aber dafür reicht der Platz nicht.

Was war Ihre größte übersetzerische Herausforderung?
Im bisherigen Leben? Ganz eindeutig Dorota Masłowskas "Reiherkönigin". Aber genau deshalb am Ende auch die größte Befriedigung.

Wenn Sie an einer Übersetzung arbeiten, wie können Sie abschalten? Ihr Tipp für die perfekte Work-Life-Balance?
Laufen. Am liebsten im Grunewald über den Teufelsberg, aber seit ich von Zehlendorf nach Moabit gezogen bin, auch die Spree entlang bis zum Schlosspark Charlottenburg. Kein Fernsehgerät zu Hause haben.

Bald gibt es Geschenke. Was wünschen Sie sich?
Ein Buch, das ich unbedingt lesen will: Hans Beltings: "Faces. Eine Geschichte des Gesichts" (C.H. Beck).

Was wollen Sie 2017 regeln? Und welches wichtige Projekt steht an?
Zur Übersetzung erwartet mich Szczepan Twardochs großartiger Boxer-Roman "Król" für Rowohlt Berlin. Außerdem will ich mein eigenes drittes Buch soweit bringen, dass ich es meinem Verleger Gunnar Schmidt und seinem Belletristik-Chef Wilhelm Trapp zeigen kann. Und ich will einen Brunnen auf unserem Bauernhof in Dominikowo bohren. Ich habe nämlich das Gefühl, dass ungute Zeiten auf uns zukommen, und würde gern einen Zufluchtsort weit weg von der Großstadt haben. So irrational dieses Bedürfnis auch sei.

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