Kommentar zur verlegerischen Freiheit

Den Preis für Geschäfte höhertreiben

23. Juni 2016
von Börsenblatt
Ein Kommentar von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen zum Fall des Hongkonger Buchhändlers Lam Wing Kee.

Was sind transatlantische Werte wie die Unverletzlichkeit der Person oder die Meinungsfreiheit in einem Land wert, das wie China keine Menschenrechtstradition hat, und in dem sich das Schicksal des Einzelnen immer dem Kollektiv unterzuordnen hat? Unsere Grundwerte können nur dann eine Aura ihrer Unbedingtheit erzeugen, wenn sie von denen, die für sie eintreten, selbst als Maxime ihres Handelns begriffen werden. Doch meistens, wenn etwa deutsche Wirtschaftsdelegationen im Schlepptau der Kanzlerin nach China reisen, wird der pflichtschuldige Menschenrechtsappell als Störfaktor empfunden – nach dem Motto: Das hat doch hier wirklich nichts zu suchen.
Es gehört daher zu den Ritualen westlicher Staatsbesuche, dass man vor ausgewähltem Hochschulpublikum eine Menschenrechtsvorlesung hält, an die man sich beim Bankett nach milliardenschweren Vertragsunterzeichnungen nicht mehr erinnert. Die Buchbranche macht da keine Ausnahme: China wird als Lizenznehmer hofiert, es werden Dependancen großer und mittlerer Verlage eröffnet – und zugleich äußert man seine dringende Sorge über das Schicksal der fünf verschwundenen Hongkonger Buchhändler und Verleger, die sich acht Monate in der Hand der chinesischen Polit-Polizei befanden.
Die Internationale Verleger-Vereinigung (IPA), die die Volks­republik China im vergangenen Herbst trotz der Kritik einiger Mitgliedsverbände (darunter auch des Börsenvereins) als Vollmitglied aufnahm, setzt nun auf direkte Gespräche mit dem chinesischen Verlegerverband. Substanzielle Fortschritte, so IPA-Präsident Richard Charkin, ließen sich am besten durch die direkte Zusammenarbeit mit einem nationalen Verlegerverband erzielen. Die Hoffnung ruht hier auf dem Dialog. Doch man sollte sich zugleich fragen, ob man den Preis für Geschäfte mit der Volksrepublik künftig nicht höhertreiben muss – im Sinne eines Junktims: Wenn du Menschenrechtsstandards verletzt, liefere ich dir nicht oder lizenziere dir kein Buch.

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