Sachbücher mit Fun-Faktor

Kurzweilig, pointiert, unterhaltsam

30. Juni 2016
von Holger Heimann
Es gibt Themen, die lassen sich besser mit Humor verpacken und erreichen so eine wesentlich größere Leserschaft. Ob sie Bestseller werden, hängt nicht immer von der Planung ab – sondern viel mehr davon, ob sie einen Nerv treffen.

 Es gibt die Bestseller, an deren Erfolg wenig überraschend ist – ja, bei denen die hohen Verkaufszahlen  von den Verlagen regelrecht eingeplant werden: Weil der Autor bekannt ist, sein Thema aktuell, das Marketing außergewöhnlich und aufwendig.
Aber bei dem Buch "Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ" von Giulia Enders, das innerhalb von gut zwei Jahren fast zwei Millionen Mal sowie in 39 Länder verkauft wurde und mittlerweile in der 48. Auflage vorliegt, war alles anders. Die junge Autorin kannte kaum jemand, das Thema, der Darm, schien nun wahrlich auch keines, das auf den ganz großen Erfolg hoffen ließ.
Es kam dann vieles zusammen bei diesem Buch, aber grundlegend war wohl die Art, wie die junge Medizinerin über ein bislang stiefmütterlich behandeltes Feld schrieb: kenntnisreich – zugleich aber leicht und lässig – beziehungsweise mit viel Charme. "Wie geht kacken? – ... und warum das eine Frage wert ist", heißt ein Kapitel, in dem auch die Frage geklärt wird: "Sitze ich richtig auf dem Klo?" Das Buch werde immer als "lustig" beschrieben. Sie halte das für falsch, sagt die Lektorin von Giulia Enders bei Ullstein, Bettina Eltner. Unterhaltsam, das trifft es für Eltner besser. Einräumen würde die Lektorin vielleicht, dass es zumindest ein paar sehr lustige Stellen gibt: Es geht da ums Pupsen und den Schließmuskel.
Der Erfolg des Buchs hat jedenfalls eine fiebrige Suche nach Nachfolge­titeln ausgelöst, die ein medizinisches Thema ähnlich kompetent und humorvoll behandeln. "Dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht einzigartig und lässt sich nicht kopieren", sagt zwar Julika Jä­nicke, Verlagsleiterin Sachbuch bei Ullstein – fügt aber immerhin hinzu: "Wir freuen uns darüber, dass 'Darm mit Charme' eine neuartige Art der Wissensvermittlung bietet, und wenn es durch dieses Buch mehr populärwissenschaftliche Bücher gibt, die komplexe Themen mit leichter Hand vermitteln, begrüßen wir das selbstverständlich."
Dass es mehr solcher Bücher gibt, ­dafür hat vor allem auch Ullstein selbst gesorgt. "Herzrasen kann man nicht mähen. Alles über unser wichtigstes Organ" vom Herbst des Vorjahres weist sich nicht nur durch den Unter­titel als Nachfolgetitel von Giulia Enders' Darm-Abhandlung aus. Das Buch ihres Me­dizinerkollegen Johannes ­Hinrich von Borstel hatte durchaus auch einigen Erfolg, blieb aber doch auf einer anderen Umlaufbahn: 20 000 Exemplare wurden vom Buchhandel (nach Angaben von Media Control) bislang abverkauft.

Mit Humor Tabus knacken 
Der Piper Verlag versucht ebenfalls, auf der Welle mitzusurfen. Im September erscheint ein Buch darüber, was Männer wissen sollten. "Fit im Schritt" (256 S., 14,99 Euro) hat der Verlag salopp für den Titel gereimt und verspricht "Wissenswertes vom Urologen". Auch hier sollen Fakten in unterhaltsamer Form vermittelt werden. "Es gibt in der Uro­logie viel Informationsbedarf und gleichzeitig eine große Sprachlosigkeit", sagt die Programmleiterin Sachbuch bei Piper, Anne Stadler. Urologe Volker Wittkamp, der auch eine Kolumne in ­einer Musikzeitschrift hatte, schreibe über die Dinge, "die Männer nur ungern fragen, weil sie ihnen peinlich sind".
In Steckbriefen zu Beginn der einzelnen Kapitel wird erst einmal Grund­legendes geklärt: Beim Hoden heißt es da zum Beispiel: "Lieblingsessen: Eier­salat" und "Lebensmotto: 10 Zentimeter weiter und ich bin im Arsch". Stadler legt trotzdem Wert auf die Feststellung: "Es ist kein Gag-Buch." Die witzige Formulierung stehe nicht im Vordergrund, aber: "Humor erleichtert den Umgang mit bestimmten Themen." Ein Schmunzeln soll sich der Leser keineswegs verkneifen, der Humor sei jedoch bloß Mittel zum Zweck. Anne Stadler glaubt, dass es ein großes Interesse für unterhaltsam dargebotene Stoffe gibt. "Das kommt bei manchen Themen einfach besser an", sagt sie.
Der unterhaltsame, humoristische Stil beschränkt sich jedoch keineswegs auf medizinische Themen. Piper will im September unter dem Titel "Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt. Von der irren Jagd nach dem Geld" ­heitere Einblicke in die Wirtschafts­geschichte geben (304 S., 15 Euro). Der Hamburger Autor, Sebastian Schnoy, ist jedoch kein Ökonom, sondern Kaba­rettist. Wie man erfolgreich Bücher schreibt, das weiß er. Mit dem luftigen Geschichtsbuch "Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt" landete er einen Bestseller.
C. H. Beck ist die deutsche Marke fürs anspruchsvolle Sachbuch – mithin für die großen Standardwerke, für dickleibige Biografien und schwergewichtige Analysen. Und es sind solche Bücher, die dem Verlag zuletzt große Erfolge beschert haben. "Es gibt eine Repolitisierung am Buchmarkt und somit eine Renaissance des politischen Sachbuchs", sagt Sebastian Ullrich, Programmleiter Paperback bei Beck. Eskapismus war einmal. Durch die Krisen der letzten Jahre sei vielen Menschen vor Augen geführt worden, dass politische Entwicklungen großen Einfluss auf ihre ganz persönliche Lebensführung haben können, glaubt er.
Humorvolle Bücher gehören eher nicht zum Kerngeschäft des Verlags, aber einige finden trotzdem regelmäßig Platz im Programm, zumal der Typus sich zuweilen grandios gut verkauft. Außerdem bringt er wohltuende Abwechslung in die Lektoratsarbeit: "Es ist ganz angenehm, auch mal Bücher zu redigieren, die nicht von Millionen Toten handeln", so Ullrich. "Wie man Deutscher wird" erklärte 2013 der Brite Adam Fletcher "In 50 einfachen Schritten". Über 100 000 Menschen wollten das lesen. Im August kommt jetzt Teil 2 der Anleitung. Das Repertoire reicht diesmal "von Baumarkt bis Weltschmerz". Respektlos und liebevoll zugleich schreibt der in Berlin lebende Autor abermals über die von außen betrachtet seltsamen Angewohnheiten der Ein­geborenen. Fletcher hatte seine Mi­niaturen zunächst in einem Blog zum Besten gegeben, die Bücher sind zweifarbig gedruckt und liebevoll illustriert. Der eigentliche Clou aber: "Wie man Deutscher wird" heißt auch "How to be German" – man muss das Buch, ein "zweisprachiges Wendebuch", dazu nur umdrehen (176 S., 8,95 Euro).
Autoren wie Giulia Enders und Adam Fletcher haben ihr Thema selbst gefunden – vielleicht hat auch das Thema sie gefunden –, die Idee stammt jedenfalls in keinem der beiden Fälle vom Verlag. Ullstein und Beck haben lediglich vor­geschlagen, aus dem in Teilen bereits ­bestehenden Text ein ausführlicheres Buch zu machen. Enders hatte bei einem Science-Slam mit ihrem Vortrag "Darm mit Charme" gewonnen. Fletcher un­terhielt mit seinem Blog mehr als eine Million Leser und erhielt Tausende von Kommentaren. Und womöglich macht das zu einem nicht unerheblichen Teil auch die Qualität ihrer Bücher aus. Denn beide haben eine enge persönliche Beziehung zu ihrem Buchstoff: Fletcher schrieb über das, was ihm auffiel, Enders verbindet eine eigene Kranken­geschichte mit ihrem Thema.

Wundertüte Autor 
Doch es gehört Glück dazu, einen Autor zu finden, der ein Buch quasi nur noch zu Ende schreiben muss. Häufiger werden deshalb Buchideen im Lektorat entwickelt, und dann macht man sich auf die Suche nach einem, der kompetent ist und gleichzeitig das Material unterhaltsam darbieten kann. Aber passt die Kombination zwischen Thema und Autor wirklich? Es sind Versuche, die manchmal glücken, manchmal nicht. "Das ist ein bisschen eine Wundertüte", räumt Ullrich ein. Die Unwägbarkeiten fangen schon früher an: "Es ist schwierig zu sagen, was wirklich funktioniert. Es handelt sich um ein sehr schwer berechenbares Segment. Das macht es spannend", sagt der Lektor.
Die 17 Erzählungen über große Ver­sager von den beiden Literaturkritikern Oliver Jungen und Wiebke Porombka, die es seit dem Frühjahr bei Beck gibt, sind glänzend geschrieben. Genüsslich, mit spürbarer Freude an der eigenen Formulierungskunst spießt das Duo in "Deutsche Nullen. Sie kamen, sahen und versagten" (224 S., 9,95 Euro) krachende Niederlagen auf. Aber der große Durchbruch war dem Buch nicht beschieden. Viele wollten sich offenbar nicht daran ­berauschen, dass Leute wie Egon Krenz, Rudolf Scharping, Kaiser Wilhelm II. und Thomas Middelhoff vorgeführt werden.

Von Ötzi bis Ovid 
Der Reclam Verlag hat gerade eine komplette Reihe angekündigt, mit der unterhaltsam Wissen ­vermittelt werden soll: "100 Seiten für 100 Minuten" – so wirbt der Verlag gleich auf zwölf Seiten in der aktuellen Vorschau. Man hat sich sichtlich etwas vorge­nommen in Ditzingen. Im September erscheinen die ersten zehn Bände: Der "FAZ"-Feuilletonist und Schriftsteller Dietmar Dath schreibt über "Superhelden", der Historiker Jörg Fündling über "Asterix". Es gibt 100 Seiten zu David Bowie, zur Reformation, zu Ötzi, zu John F. Kennedy und über Ovid.
Eine breite, bunte Mischung ist das, Reclam sortiert sie in drei Bereiche: Personen Geschichte und Kultur Gesellschaft. Themen, die im Gespräch sind, sollen zwischen Buchdeckel, sagt Presse­sprecherin Claudia Feldtenzer, die die Reihe zusammen mit Verlagsmitarbeitern aus Lektorat, Herstellung und Marketing konzipiert hat. Oder auch ganz einfach formuliert: "Wir überlegen, was wir selbst gern lesen würden." Lustig sind die Bücher eher nicht; die Vorgabe lautet: pointiert, kurzweilig und unterhaltsam. Eingelöst werden soll das durch Autoren, die sorgsam ausgewählt werden: Häufig sind es Journalisten, denen man am ehesten zutraut, leicht und locker über ein Thema zu schreiben, zu dem sie möglichst obendrein einen eigenen, individuellen Zugang finden sollen.
Mit zehn Büchern der Reihe (je 10 Euro) pro Halbjahr soll es weitergehen bei Reclam. Fürs Frühjahr sind 100 Seiten zu Themen wie Sex, Trash-TV, Mata Hari und Astrophysik angekündigt. "Wir rechnen mit einem Abverkauf von 4 000 bis 8 000 Exemplaren pro Band, je nach Thema wird dies sicherlich unterschiedlich sein. Besonders viel Potenzial sehen wir in Dietmar Daths 'Superhelden' oder Jörg Fündlings 'Asterix'", sagt Feldtenzer. Ob es für die ganz großen Erfolge reicht, und ob einige Bände es vielleicht sogar zu Standardwerken ihrer Gattung bringen?

25 Jahre Yucca-Palme 
Bei Beck ist gerade ein Bestseller von 1990 neu aufgelegt worden: "Die Spinne in der Yucca-Palme" von Rolf Wilhelm Brednich (157 S., 8,95 Euro). Das Buch mit dem eigentümlichen Titel ist eine Sammlung moderner Sagen, die aus einem Seminar an der Universität Göttingen hervorgegangen sind. Die überlieferten Geschichten handeln von todbringenden Spinnen in Topfpflanzen und vom Pudel in der ­Mikrowelle. Über eine halbe Million Mal wurde das Buch verkauft und überdies in mehrere Sprachen übersetzt. Und die ­Geschichten vermehrten sich: "Die Ratte am Strohhalm" oder "Pinguine in ­Rückenlage" hießen zwei der Folgebände, für die manche Leser, die selbst Kurioses per Leserbrief mitzuteilen hatten, zu ebenso kompetenten wie wortgewandten Mitautoren wurden.