Ur­teil im Agen­cy-Pro­zess ge­gen Ap­ple

Ei­ne ver­häng­nis­vol­le Ent­schei­dung

16. Juli 2013
von Börsenblatt
In der vergangenen Woche hat Richterin Denise Cote in New York ein Machtwort gesprochen: Sie erklärte Apple für schuldig, im Jahr 2010 bei E-Books zum Schaden der Verbraucher Preisabsprachen mit fünf großen Verlagshäusern getroffen zu haben. Eine Analyse von Dieter Wallenfels.

Das US-Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um er­hob im Ap­ril 2012 Kla­ge ge­gen Ap­ple und fünf US-Groß­ver­la­ge. Da­rü­ber hi­naus reich­ten im Mai 2012 fast al­le ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­staa­ten ei­ne Sam­mel­kla­ge ge­gen die Ver­la­ge und Ap­ple ein. Am 10. Ju­li 2013 ent­schied ein ame­ri­ka­ni­sches Bun­des­ge­richt, Ap­ple ha­be mit die­sen Ver­la­gen beim Ver­such, die Prei­se auf dem auf­blü­hen­den E-Book-Markt zu er­hö­hen, il­le­gal kon­spi­riert.  Die Ent­schei­dung war kei­ne Über­ra­schung, weil die Rich­te­rin schon vor Pro­zess­be­ginn am 3. Ju­ni 2013 deut­lich ge­macht hat­te, dass sie auf der Sei­te des kla­gen­den US-Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums stand, was ihr den Vor­wurf der Vor­ein­ge­nom­men­heit ein­brach­te.

Das Ur­te­il ist der einst­wei­li­ge Schluss­punkt ei­ner um­fang­rei­chen Aus­ei­nan­der­set­zung zwi­schen US-Be­hör­den mit Ap­ple und US-Ver­la­gen, die auch auf den eu­ro­päi­schen Buch­markt auss­trahl­te und die EU-Kom­mis­si­on in Brüs­sel auf den Plan rie­f. In­si­der ver­mu­ten, dass die Ver­fah­ren von Ama­zon in­i­tiiert wur­den. Es ging um ein von den Ver­la­gen prak­ti­zier­tes Kom­mis­sions-Agen­ten­mo­dell (Agenc­y-Mo­dell). Hier­nach bleibt der Ver­le­ger Herr des Ge­schäf­tes, be­hält auch das Recht der Preis­fest­set­zung. On­line-Händ­ler ver­kau­fen im ei­ge­nen Na­men, aber auf frem­de Rech­nung und er­hal­ten ei­ne Pro­vi­si­on. Die Fol­ge ist ei­ne Qua­si-Preis­bin­dung von E-Books, wenn die Ver­la­ge nur an sol­che Händ­ler lie­fern, die das Agen­cy-Mo­dell ak­zep­tie­ren.

Die­ses Mo­dell war auf den hef­ti­gen Wi­ders­tand von Ama­zon ge­sto­ßen, der E-Books ge­ne­rell für Dol­lar 9,99 ver­kau­fen woll­te. An­ge­grif­fen von den Klä­gern wur­de we­ni­ger das Agen­tur-Mo­dell selbst, als viel­mehr die ver­mu­te­te Ab­spra­che gro­ßer Ver­la­ge mit Ap­ple vor dem Hin­ter­grund, dass Ap­ple in der do­mi­nie­ren­den Po­si­ti­on von Ama­zon auf dem E-Book-Markt mit dem Le­se­ge­rät Kind­le ei­ne Be­dro­hung der Ap­ple-Di­stri­bu­tions­platt­form (iPho­ne, iPad und iPod) auf die­sem Markt ge­se­hen ha­be. We­gen der be­haup­te­ten In­te­res­sen der Ver­la­ge, es nicht zu ei­nem Preis­ver­fall bei elekt­ro­ni­schen Bü­chern kom­men zu las­sen, der auch das lu­kra­ti­ve­re Ge­schäft mit Print­pro­duk­ten be­ein­träch­ti­gen könn­te und der Wett­be­werbs­si­tua­ti­on zwi­schen Ap­ple  und Ama­zon bei den von bei­den Fir­men an­ge­bo­te­nen Platt­for­men für den E-Book-Ver­trieb ver­mu­te­ten die Klä­ger ein kar­tell­rechts­wi­dri­ges Zu­sam­men­wir­ken. Nur weil Ap­ple be­reit war, so die Ver­mu­tung, das Agen­tur-Mo­dell zu ak­zep­tie­ren, sei es den Ver­la­gen mög­lich ge­we­sen, auch Ama­zon zu zwin­gen, sich hie­rauf ein­zu­las­sen. Die Fol­ge: E-Book-Prei­se sei­en ge­stie­gen, zum Teil über den Preis der Print-Aus­ga­be hi­naus. Das Ge­richt folg­te die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on.

Schon zu­vor hat­ten sich die verklag­ten Ver­la­ge mit dem US-Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um und den Bun­des­staa­ten ver­gli­chen und die be­an­stan­de­ten Agen­tur-Ver­trä­ge be­en­det.

Mit ei­nem Ver­gleich en­de­te auch das von der EU-Kom­mis­sion in Brüs­sel ein­ge­lei­te­te Kar­tell­ver­fah­ren ge­gen Ap­ple und vier eu­ro­päi­sche Ver­lags­grup­pen. Die Kom­mis­si­on hat­te die Vor­wür­fe de­r US-Be­hör­den auf­ge­grif­fen und eben­falls den Ver­dacht ge­äu­ßert, es ge­be Ab­spra­chen zwi­schen den Ver­la­gen und Ap­ple mit dem Ziel, den Preis­wett­be­werb beim Han­del mit E-Books zu be­ein­träch­ti­gen. Die Ver­la­ge ga­ben die Zu­sa­ge, nach Kün­di­gung der be­ste­hen­den Ver­trä­ge in den nächs­ten zwei Jah­ren den Händ­lern die Mög­lich­keit der Preis­be­stim­mung zu über­las­sen, je­doch nicht un­ter Ein­kaufs­preis und nicht in den eu­ro­päi­schen Län­dern, in de­nen es auf­grund na­tio­na­len Rechts ei­ne Buch­preis­bin­dung gibt, wie z. B. in Deutsch­land. Dies hat die EU-Kom­mis­si­on aus­drück­lich er­klärt. Die deut­sche Buch­preis­bin­dung, auch die für E-Books, bleibt al­so von dem Ver­gleich un­be­rührt.

Das ge­gen Ap­ple in den USA er­gan­ge­ne Ur­teil be­stä­tigt al­le die­je­ni­gen, die vor ei­ner Ein­be­zie­hung des kul­tu­rel­len Be­reichs in die Ver­hand­lun­gen zwi­schen der Eu­ro­päi­schen Uni­on und den USA über ein Frei­han­dels­ab­kom­men war­nen. Maß­ge­blich für das US-Ge­richt war al­lein die Er­wä­gung, dass durch die Ver­trä­ge zwi­schen Ver­la­gen und Ap­ple Ama­zon da­ran ge­hin­dert wer­den soll­te, seine 9,99 Dol­lar-Mo­dell-Nied­rig­prei­spo­li­tik wei­ter zu be­trei­ben. Die Rich­te­rin sah hie­rin ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Ver­brau­cher. Das ist aber nur ei­ne sehr vor­der­grün­di­ge und ein­sei­ti­ge Be­trach­tung, denn die meis­ten Kom­men­ta­to­ren­ der Ent­schei­dung sind sich dar­in ei­nig, dass das Ur­teil in ers­ter Li­nie Ama­zon nützt und sei­ne Markt­macht in be­droh­li­cher Wei­se ver­stärkt. Vor die­sen Fol­gen hat­ten so­wohl der US-Schrift­stel­ler-Ver­band als auch Ver­tre­ter des ame­ri­ka­ni­schen Buch­han­dels ge­warnt. Die Agen­tur-Ver­trä­ge hät­ten ge­ra­de das Ziel ge­habt, ein wett­be­werb­so­rien­tier­tes Um­feld im Buch­han­del zu schaf­fen, im lang­fris­ti­gen In­te­res­se ge­ra­de der Le­ser und Buch­käu­fer. Das Ur­teil ist al­so nur ein Pyr­rhus-Sieg für den frei­en Wett­be­werb, denn die Agen­tur-Ver­trä­ge soll­ten ja ge­ra­de da­zu die­nen, auch an­de­ren Wett­be­wer­bern ne­ben Ama­zon in den USA ei­ne Chan­ce zu ge­ben und da­durch den Wett­be­werb zu stär­ken. Und so hat Paul Ai­ken, Ge­schäfts­füh­rer des US-Schrift­stel­ler-Ver­ban­des, si­cher Recht mit der Be­mer­kung, das Ur­teil fes­tige die Markt­macht von Ama­zon und be­schleu­ni­ge die Kon­zent­ra­ti­on des Mark­tes, die Waf­fen des Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums ziel­ten so­mit in die fal­sche Rich­tung, wenn man be­den­ke, dass der An­teil von Ama­zon auf dem US-E-Book-Markt vor Ein­füh­rung des Agen­cy-Mo­dells 90 % be­tra­gen ha­be.

Den oh­ne­hin nur noch ru­di­men­tär vor­han­de­nen sta­tio­nä­ren Buch­han­del in den USA trifft die Ent­schei­dung hart,  Bar­nes & No­ble eben­so wie die un­ab­hän­gi­gen Buch­händ­ler. In Deutsch­land se­hen Ge­setz­ge­ber und Jus­tiz den Buch­markt er­freu­lich deut­lich dif­fe­ren­zier­ter. Der Schutz der klei­ne­ren Buch­hand­lun­gen vor der Markt­macht von Gro­ßan­bie­tern ist aus­drück­li­ches Ziel des po­li­tisch nach wie vor un­um­strit­te­nen Buch­preis­bin­dungs­ge­setz­es. Auch die deut­schen Ge­rich­te ha­ben im­mer wie­der die Po­si­ti­on des in­ha­ber­ge­führ­ten sta­tio­nä­ren Buch­han­dels ge­stärkt, in letz­ter Zeit vor al­lem durch das Ver­bot von Ver­su­chen über­re­gio­na­ler On­line-Händ­ler, durch At­trak­tio­nen ver­schie­dens­ter Art ei­nen Preis­wett­be­werb durch die Hin­ter­tür ein­zu­füh­ren. Das Vor­ge­hen der US-Re­gie­rung ge­gen Ver­la­ge bei de­ren Be­stre­ben, sich selbst und den Buch­han­del vor der ab­so­lu­ten Markt­do­mi­nanz von Ama­zon zu schüt­zen, macht deut­lich, wel­ch un­ter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen bei­de Län­der vom Buch­markt ha­ben und wie schwer es sein wird, durch­aus ein­äu­gi­ge US-Vor­stel­lun­gen vom Wohl des Kon­su­men­ten in Ein­klang zu brin­gen mit eu­ro­päi­schen Über­zeu­gun­gen, wel­che Rah­menbedingungen der Buch­markt zum Er­halt ei­ner jahr­hun­der­te­alten Buch­kul­tur im In­te­res­se der Buch­käu­fer  braucht. Die Aus­ei­nan­der­set­zun­gen um die Agen­tur­ver­trä­ge in den USA zei­gen, wie Recht Frank­reich hat, das sich aus gu­ten Grün­den am ent­schie­dens­ten von al­len EU-Län­dern ge­gen die Ein­be­zie­hung des Kul­tur­be­reichs in die Frei­han­dels-Ge­sprä­che mit den USA wehrt.

Dieter Wallenfels ist Preisbindungstreuhänder der deutschen Verlage.