Verlage über ihre Programm- und Vertriebsstrategien

Was für eine Formatfülle!

19. Mai 2016
von Sabine Schmidt
Kuba kommt 2017 groß raus – und auch der Ausmaltrend erreicht das Kalenderblatt. Verlage müssen die Lust auf Neues ebenso bedienen wie den ausgeprägten Wunsch nach Klassikern. Programm- und Vertriebsstrategien im Kalendergeschäft.

Es gibt nichts, was es nicht gibt – dieser Satz gilt für Kalender erst recht. Hund, Katze, Maus sind als ­Motive dabei, und auch sonst alles, was das Herz begehrt oder womit Anwälte und Zahnärzte ihre Praxen schmücken wollen: Sehnsuchtsfotografien und freche Sprüche, Leuchttürme und Wälder, Autos und Küchenkräuter, große Architektur und kleine Ruderboote. Alle möglichen Formen und Themen findet man allein bei KV & H: Das Unternehmen, das im November von Cornelsen an die Südtiroler Athesia-Gruppe verkauft worden ist, bringt mit seinen drei Kalenderverlagen Harenberg, Heye und Weingarten pro Jahr rund 1 000 Titel heraus.
Im Buchhandelsbereich ist KV & H Marktführer mit einem Anteil von knapp 30 Prozent. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der "Helme Heine Familienplaner": "Er ist seit Jahren der Bestseller bei uns mit einer Auflage von rund 100 000 Exemplaren pro Jahr", ­bilanziert Verleger Jürgen Horbach.

Sonderflächen anmieten 
Neu sind so unterschiedliche Wandkalender wie "Im Land der Löwen", "Star Wars", "Der Hobbit", "Cars and Lyrics" oder "Rosenleidenschaft". Und sie alle brauchen Platz bei der Präsentation, um ihre Schönheit entfalten zu können – die ­Reduktion von Buchhandelsflächen könnte die Kalenderverlage also empfindlich treffen. "Ein Problem ist sie für uns aber nicht: Unsere Umsätze sind stabil geblieben", erklärt Horbach. Das gelinge nicht zuletzt durch das Bespielen von Sonderflächen: "Zum Jahreswechsel mieten Buchhandlungen zusätzliche Quadratmeter in guten Lauf­lagen an, in denen wir mit ihnen unsere Kalender präsentieren." Getestet hat KV & H dieses Modell mit Thalia, inzwischen nutzen es auch andere Sortimente. "Das bedeutet zwar einen ­großen Aufwand für die Buchhändler und für uns, weil wir das Rackjobbing übernehmen. Aber es lohnt sich für ­beide", so Horbachs Erfahrung.

Auch wenn Kalender kostbare Fläche brauchen, sieht der Verleger sie als Chance für den Buchhandel: "70 Prozent werden stationär verkauft, der ­Anteil ist also höher als bei Büchern." Die meisten wollen sich einen Kalender anschauen, ihn in die Hand nehmen, ­bevor sie ihn kaufen. "Dementsprechend sind unsere Zielgruppen Buchhandelskunden: überwiegend weiblich, mit höherem Einkommen und höherer Bildung", so Horbach.

Ausmalen im Trend 
Kai Dombrowsky, Verlagsleiter der Alpha Edition in Kiel, macht zwei Entwicklungen aus: "Ausmalen ist gerade sehr gefragt – wir haben noch nach dem Druck unserer Vorschau entsprechende Ausmal­kalender ins 2017er-Programm 'eingeschossen'." Das kann Claudia Nölling, Programmleiterin beim DuMont Kalenderverlag, nur bestätigen: "Der Ausmaltrend ist auch bei Kalendern an­gekommen." Daneben laufen die Bastelkalender auf hohem Niveau, "aber hier hat die Nachfrage ihren Zenit erreicht und ist leicht rückläufig", sagt Dombrowsky.
Spürbar gestiegen ist die Konkurrenz durch online gedruckte Digitalkalender, bei denen Kunden ihre eigenen Bilder in vorgegebene Masken einfließen lassen; die Druckanbieter und Selfpublisher ­mischen mit.
Bei den Formaten stellt nicht nur Dombrowsky fest, dass die in anderen Ländern äußerst gängigen, aufklappbaren Broschürenkalender in Deutschland nur bedingt geschätzt werden. "Gerade ältere Kunden bevorzugen dann bei den klassischen Themen wie dem Hundertjährigen Kalender das Format 24 x 34 cm mit Spiralbindung." Nicht zuletzt spielen die Wertigkeit eines Kalenders und das enorme Angebot auf dem Kalendermarkt eine Rolle: "Wir haben in Deutschland eine gewachsene Kalenderkultur, die auch in ihrer Formatvielfalt einzigartig ist", konstatiert Dombrowsky, "das kennen andere Länder gar nicht."
Aktuell kommen Kalender für 2017 in den Handel, in der Planung sind Titel für 2018. Bei diesen langen Vorlaufzeiten Trends zu erkennen und einzuplanen, wird zu einer besonderen Kunst. "Es ist entscheidend, sie nicht zu spät, aber auch nicht zu früh aufzugreifen", meint Claudia Nölling. "Trends funk­tionieren im Kalenderbereich nur, wenn sie nicht mehr ganz so brandneu sind und sich in den Köpfen festgesetzt haben", erklärt die Programmleiterin beim  DuMont Kalenderverlag, der mit rund 200 Titeln ins Jahr 2017 geht.
Messen, Zeitschriften und das Internet sind Inspirationsquellen für das vielfältige Programm, ebenfalls der Kunstmarkt, Filme, Fernsehserien und Comics. So werden unter anderem "­Asterix & Obelix" zu Wegbegleitern durch das Jahr. "Neben Ausmalkalendern ist aktuell das Spiel mit der Typografie beliebt, die witzige Sprüche in Szene setzt und auch eine jüngere Zielgruppe anspricht", erklärt Nölling. Highlight des Kölner Verlags ist hier der "Funi Art Typokalender".

Ästhetik des Verfalls 
Long- und Bestseller ist "DuMonts neuer Küchenkalender". Landschafts- und Natur­themen mit klassischen Sehnsuchts­motiven kommen ebenfalls nach wie vor gut an. Nölling beobachtet aber auch, dass sich Sehgewohnheiten und Perspektiven verändern: Es müssen nicht mehr nur Hochglanzbilder sein; inzwischen sind auch Kalender wie "Spuren der Zeit" gefragt, die verlassene Orte und Gebäude zeigen und damit eine Ästhetik des Verfalls. Noch ein Beispiel: "In unserem 'New York'-Kalender sieht man neben dem Empire State Building und dem Guggenheim-Museum auch alltägliche Straßenszenen", so Nölling. "Solche Street-Fotografie mit Menschen und Autos war vor einigen Jahren im Kalenderbereich noch nicht denkbar."

Groß im Kommen ist Kuba: Das Land spielt im Moment nicht nur bei Reisebüchern eine Rolle, sondern auch bei Kalendern, wie etwa der Titel "Faszination Kuba" aus dem Korsch Verlag zeigt. "Der Karibikstaat, der lange abgeschottet war, reizt viele mit seinem morbiden Charme und den schönen Oldtimern", weiß Verlagsleiterin Andrea Röder. "Sie wollen einen Blick auf das unverfälschte Land werfen, solange das Besondere noch nicht nivelliert ist."

Mit 180 Titeln geht Korsch in sein 65. Jahr; sonst sind es in der Regel rund 100 Novitäten. Aktuell liegen allein 96 Namenskalender auf, die "Michael" oder "Sabine" durchs Jahr begleiten. "Das sind Geschenke für 5,95 Euro, die sehr gut ankommen und die wir etwa alle vier Jahre mit veränderten Konzepten neu herausbringen."
Bestseller bei Korsch sind grafische Familienplaner wie der "Tafel Timer". Chalk-Art ist ein neuer Trend, der Lust auf Kreativität mit Kreide weckt. Zu den Korsch-Highlights gehört der Typo­grafie-Wochenkalender "Visual Words", mit lustig-sinnigen Botschaften. "Der Digitalisierung zum Trotz sind analoge Kalender nach wie vor erfolgreich, bei Planungskalendern steigt sogar die Nachfrage", sagt Röder.

Ellert & Richter startet neu 
Da die Präsentation eine entscheidende Rolle im Kalendergeschäft spielt, bietet Korsch Verkaufssysteme an, mit denen Buchhandlungen Kalender besser in Szene setzen können. "Sehr wichtig sind uns individuell zugeschnittene Angebote", betont Röder. "Und dass unsere Außenhandelsmitarbeiter schnell vor Ort sind und ergänzen, was verkauft wurde." Aktuell zieht sie ein positives Fazit: "Es läuft gut, die Remissionen sinken."
Diesen erfreulichen Trend hat auch der Hamburger Buchverlag ­Ellert & Richter im Blick und kehrt nach zehnjähriger Pause ins Kalender­geschäft zurück. »"Einer der großen ­Filialisten hat uns dazu ermuntert, und darauf gehen wir gern ein", er­läutert Verleger Gerhard Richter. "Der Ka­lendermarkt hat sich gut ent­wickelt, deshalb wollen wir wieder dabei sein."
Schon bald nach seiner Gründung 1979 hatte Ellert & Richter Kalender ins Programm genommen, die Produktion 2006 aber eingestellt. Zu Beginn der 80er Jahre war der Verlag eines der wenigen Häuser, die großformatige Landschaftskalender auf den Markt brachten. "Aber bald gab es etliche Toskana- oder Leuchtturm-Titel. Die Auflagen reduzierten sich zwischendurch dramatisch", erinnert sich Richter. Der Hauptgrund für den Rückzug aus diesem Marktbereich war jedoch das Rack­jobbing: "Das war für unsere Außen­handelsmitarbeiter zu aufwendig, weil ihr Schwerpunkt beim Anbieten von ­Büchern lag."
Jetzt meldet sich Richter mit großem Optimismus zurück. "Rackjobbing muss nicht mehr sein. Zudem ist Kalendermachen deutlich günstiger in der Herstellung geworden und lohnt sich auch bei kleinen Auflagen." Hinzu kommen über die Buchproduktionen gute Kontakte zu Fotografen und Autoren, mit denen der Verlag jetzt auch Jahres­begleiter entwickelt. Mit 15 Titeln startet Ellert & Richter sein Comeback, ­unter anderem mit dem "Martin Luther Kalender 2017" zum 500. Jahrestag der Reformation (parallel zu einer Reihe von Buchneuerscheinungen) und dem "Gartenjahr 2017" mit Fotos von Ma­rion Nickig.

Wiederholungstäter  Mit rund 45 Wandkalendern pro Saison gehört auch Delius Klasing zu den kleineren Akteuren. Der Special-Interest-Verlag ist erfolgreich nicht zuletzt durch die Nähe zu seinen Zielgruppen. "Unsere Kunden sind Sportinteressierte wie Mountain­biker oder Rennradfahrer, Segler, Motorbootfahrer oder Surfer", erklärt Verlagsleiterin Nadja Kneissler. "Es ist unsere Philosophie, die Zielgruppen zu unseren Themen auf allen Kanälen zu bedienen: mit Büchern, Zeitschriften, Apps, Events und eben auch mit Kalendern und Bildern für die Wand." Titel und neue Trends ergeben sich aus der Nähe zu den Fotografen der jeweiligen Sport- und Themenbereiche und aus dem engen Kontakt zu den Kunden bei verlagseigenen Sportveranstaltungen und Fachmessen.
Pro Jahr entwickelt Delius Klasing drei bis fünf neue Kalendertitel; "Wellenreiten" gehört ebenso zum Programm wie "Kitesurfing" oder "Seehunde und Robben". Viele Käufer sind allerdings Wiederholungstäter: "Sie wollen jedes Jahr wieder 'ihren' Kalender", sagt Kneissler, sei es "Faszination Yachtsport" oder "Franco Pace exklusiv" im hochpreisigen Bereich für 128 Euro. Auch »mobile« Kalenderthemen wie "Subwaystations" oder "Historische Schiffs-, Eisenbahn- und Luftfahrt­plakate" kommen gut an.

Der Lauf der Zeit ist messbar – und für alle vorgegeben. Viele Menschen mögen es aber, wenn sie im Rhythmus der Tage, Wochen und Monate Motive im Blick haben, die Spaß machen, Erinnerungen wach werden lassen oder Träumen Raum geben.