Übernachtlieferung: Interview mit Logistiker Stefan Könemann

"Die Bemühungen des Börsenvereins werden konterkariert"

11. Januar 2024
von Sabine Cronau

Mit der Ankündigung, nicht mehr alle Kunden täglich zu beliefern, hat Logistiker Zeitfracht zum Jahreswechsel ein immenses Presse-Echo ausgelöst. Wer profitiert davon? Und wie kann die Branche das Thema wieder einfangen? Fragen an Stefan Könemann, stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel und Mitglied im Vorstand des Börsenvereins.

Stefan Könemann

Profiteure des verheerenden Presseechos sind zwei große Marktteilnehmer. Denn es entsteht der Eindruck, nur sie wären dazu in der Lage, pünktlich und zuverlässig bis zum nächsten Tag zu liefern.

Stefan Könemann, Vorstandsmitglied des Börsenvereins

Zeitfracht zieht einen Mindestumsatz für die Übernachtlieferung ein. Die Schlagzeilen in der Presse lasen sich Ende Dezember so, als stehe die gesamte Übernachtlieferung des inhabergeführten Buchhandels auf der Kippe. Ein Kommunikationsdesaster?

 „Ungläubiges Staunen“: Das war meine Reaktion auf die Schlagzeilen, die Zeitfracht uns allen zwischen den Jahren beschert hat - um es mit einem Buchtitel von Friedenspreisträger Navid Kermani zu sagen. Das in diesem Fall fatale Presseecho von Zeitfracht sorgt dafür, dass die Leistungsfähigkeit des gesamten kleinen und mittleren Buchhandels nun ein Imageproblem hat. Und das auch noch völlig zu Unrecht.

Die Bemühungen des Börsenvereins und des inhabergeführten Buchhandels, die Servicestärke des Sortiments flächendeckend bekannt zu machen, werden dadurch konterkariert.

Kann der Buchhandel das Missverständnis gegenüber seiner Kundschaft nicht wieder zurechtrücken?

Das versucht der Börsenverein ja gerade mit einem speziell entwickelten Kampagnenmotiv, das ich sehr gelungen finde (mehr dazu hier). Klar ist aber auch: Die verkürzte Darstellung, dass die Übernachtlieferung des Indie-Buchhandels gefährdet ist, hat sich erst mal in den Köpfen der Leser:innen festgesetzt.

Profiteure des verheerenden Presseechos sind zwei große Marktteilnehmer. Denn es entsteht der Eindruck, nur sie wären dazu in der Lage, pünktlich und zuverlässig bis zum nächsten Tag zu liefern.

Botschaft an die Kund:innen
  • Buchhändler:innen, die deutlich machen möchten, dass sie weiterhin Bücher über Nacht besorgen, ­können ein neues Motiv des Börsenvereins teilen.
  • Das Motiv lässt sich hier als Plakat bestellen oder herunterladen.
  • Für die Social Media-Arbeit gibt es eine entsprechend angepasste Variante zum Posten und Teilen.

Klar ist aber auch: Die Übernachtlieferung via Bücherwagendienst kostet die Barsortimente viel Geld. Ist sie trotzdem unverzichtbar?

Davon bin ich überzeugt. Sie ist ja auch, anders als in den Medien vielfach dargestellt wurde, keine Reaktion auf den Internethandel – sondern seit Jahrzehnten gelebter Service im Sortiment.

Viele inhabergeführte Buchhandlungen können, je nach Postleitzahlengebiet, sogar noch bis 19 Uhr Bestellungen entgegennehmen und die Bücher stehen am nächsten Tag im Laden zur Abholung bereit. Damit ist das Sortiment schneller als der Online-Handel. Und das für die Kundschaft auch noch kostenlos.

Wenn sich die Zahl der Fahrzeuge durch eine Kooperation nicht deutlich reduzieren lässt, hält sich der wirtschaftliche und ökologische Vorteil in Grenzen.

Stefan Könemann

Libri und Umbreit kooperieren bereits beim Bücherwagendienst, zumindest bei der Montagsbelieferung. Könnte eine große Koalition aller Barsortimente ein Ausweg aus der Kostenfalle beim Bücherwagendienst sein?

Natürlich kann man sich diese Frage stellen – das Pressegrosso macht uns die zentrale Belieferung ja bereits vor. Allerdings steckt, wie immer, der Teufel im Detail.

Schon jetzt gehen die Bücherwagendienste der Barsortimente allesamt gut beladen und streckenoptimiert auf die Reise. Wenn sich die Zahl der Fahrzeuge durch eine Kooperation nicht deutlich reduzieren lässt, hält sich der wirtschaftliche und ökologische Vorteil in Grenzen. Anders formuliert: Eine engere Zusammenarbeit sorgt nur dann für Entlastung, wenn noch Luft im Lieferwagen ist und statt 10 Fahrzeugen künftig nur 8 oder 9 unterwegs sind.

Auch die Idee, andere Produkte wie Blumen oder Medikamente mit an Bord zu holen, klingt besser als sie ist. Denn die Zeitfenster sind eng getaktet, wenn die Lieferwagen pünktlich an Ort und Stelle sein sollen. Genau das aber ist mit Blick auf die vielen Staus unkalkulierbar. Kurzum: Das Thema Kooperation ist komplex und hat viele Untiefen.

In einem Workshop des Börsenvereins sollen sich 2024 alle Sparten mit dem Thema Wirtschaftlichkeit / Kostendruck auseinandersetzen. Wie könnte eine Lösung für die Bücherwagendienste aussehen, die ja auch unter externen Faktoren wie der Mautgebühr leiden?

Es wird sicher nicht einfach, eine Lösung für das Dilemma zu finden. Geschwindigkeit kostet immer Geld. Und Barsortimente und Buchhandel müssen ihr Serviceangebot aufrechterhalten – ohne höhere Gebühren oder Kostensteigerungen über eine Erhöhung der Bücherpreise abfedern zu können. Ich kann hier nur an die Verlage appellieren: Bei ihnen liegt die Verantwortung für die Wertschöpfungskette der gesamten Branche.

Geplanter Workshop des Börsenvereins zum Kostendruck

  • Der Börsenverein plant im ersten Quartal 2024 einen Workshop zum Thema Kostendruck / Wirtschaftlichkeit mit Vertreter:innen aller drei Sparten.
  • Ziel ist es, eine gemeinsame, wirtschaftliche und nachhaltige Perspektive des Wirtschaftszweiges Buchbranche zu erarbeiten, wie der Verband mitteilt.
  • In diesem und gegebenenfalls in folgenden Workshops sollen die Teilnehmenden "die zentralen Punkte der Wertschöpfungskette in den Blick nehmen...
  • ...und gemeinsam identifizieren, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann und darf, um Wege aus der Kostenkrise zu finden", so der Börsenverein.