Interview mit Iris Hunscheid

"Die Verlage halten den entscheidenden Hebel in der Hand"

12. Januar 2024
von Stefan Hauck

Die neue Regelung von Zeitfracht für Belieferungen über Nacht sorgt für Debatten. Iris Hunscheid, Vorsitzende des Sprecherkreises der IG Unabhängiges Sortiment im Börsenverein, ordnet die Nachricht ein und erklärt, wie die Branche dem wachsenden Kostendruck begegnen kann.

Iris Hunscheid

Wie ordnen Sie die Ankündigung von Zeitfracht ein, die Geschäftsbeziehungen zu kleineren Buchhandlungen mit einem Barsortimentsumsatz von 10.000 wegen Unwirtschaftlichkeit zu beenden und Buchhandlungen mit 10.000 bis 30.000 Euro Barsortimentsumsatz nicht mehr täglich zu beliefern?
Zunächst einmal wirkt das so, als wäre das der Anfang vom Ende. Aber wenn man sich im zweiten Schritt die Zahlen anschaut: Ein alleiniges Umsatzvolumen mit dem Barsortiment von unter 30.000 Euro sichert keine Existenz einer Buchhandlung; das ist eher ein Schreibwarenladen, der vielleicht maximal 150.000 Euro Buchumsatz im Jahr macht. Es kann aber auch gut sein, dass eine Buchhandlung zwei Barsortimente hat und mit einem nur wenig Umsatz macht. Dann gilt es zu überlegen, ob man die Anteile zugunsten des umsatzschwächeren Barsortiments verschiebt. 

 

Die meisten Buchhandlungen lassen sich von zwei Barsortimenten beliefern – oder wie hoch schätzen Sie den Anteil?
Mehr als zwei Drittel der Buchhandlungen, schätze ich, meist aufgeteilt zwischen 80:20 oder 70:30 Prozent zwischen erstem und zweitem Barsortiment. Ein zweiter Zwischenbuchhändler gibt den Buchhandlungen eine Sicherheit, weil bei einem Titel doch oft die Meldenummer 15 ("Fehlt kurzfristig am Lager. Bestellung ist vorgemerkt") erscheint, oder der Titel ist bereits ausgelistet usw. – und das zweite Barsortiment hat ihn noch auf Lager. Es fördert halt nicht die Kundenbeziehung, wenn man zu lange auf ein Buch warten muss. 

 

Insbesondere im Weihnachtsgeschäft …
Da ist eine Verlässlichkeit in der Belieferung das A und O! Aber wir wissen aus Erfahrung, dass immer was dazwischenkommt. Deshalb sind zwei Barsortimente unverzichtbar. Mit nur einem Barsortiment müssten wir, wenn drei Kisten fehlen, bei unseren Kund:innen anrufen mit „Ihr Buch ist heute leider doch noch nicht dabei“ und das kostet zwei Stunden Zeit, die wir nicht haben. 

Wie groß ist denn die Erwartungshaltung der Kund:innen, das Buch am nächsten Tag abholen zu können?
Gerade für die jungen Kund:innen gehört die Übernachtbelieferung dazu, weil sie das von vielen Onlineversendern einfach gewohnt sind – diese Erwartungshaltung können und wollen wir nicht mehr zurückdrehen. Und diese jungen Kund:innen möchten wir ja halten. Deshalb wäre es ein klarer Wettbewerbsnachteil, wenn sie das Buch nicht am nächsten Tag abholen können, sondern erst drei bis fünf Tage nach ihrer Bestellung.  

 

Gibt es bei den Lagern der Barsortimente große Unterschiede?
Durchaus. Das eine listet ältere Titel schneller aus, das andere hat ein größeres Angebot an englischsprachigen Titeln, das eine führt mehr Titel von kleineren Verlagen – und das ist für uns extrem wichtig, weil zu viele kleine Einzellieferungen von Verlagen einfach unwirtschaftlich sind. Ich habe dann einen einzelnen Bestellvorgang, eine einzelne Rechnung, Porto etc. – und je nach Verkaufspreis des Titels lege ich drauf.  

 

Aber Sie bestellen es trotzdem beim Verlag. 
Sicher, das ist mein Berufsethos: Ich will jedes Buch besorgen können und nicht so tun, als gäbe es Bücher außerhalb eines Zentrallagers gar nicht. Und die Kund:innen fragen schon auch Nischentitel nach, weil sie wissen: Meine Buchhändlerin findet alles. Das ist letztlich auch Werbung fürs Renommee. Aber wenn der Nischenverlag dann noch nicht mal der BAG angeschlossen ist, und das kommt oft genug vor, muss ich einen extra Bezahlvorgang starten. Und dann fluche ich. 

 

Die Barsortimente argumentieren mit dem Kostendruck, unter dem sie durch gestiegene Spritpreise, CO2-Abgabe, die seit 1. Dezember angehobene Maut etc. stehen. Welche Wege sehen Sie, den Kostensteigerungen zu begegnen? 

Bei einem Buch für 7,95 Euro kann auch ein Barsortiment nicht kostendeckend arbeiten. Dass uns allen die Logistikkosten – neben all den anderen stark gestiegenen Kosten – jetzt davonlaufen, hat seine Ursache darin, dass Verlage die vergangenen 30 Jahre zu wenig Vertrauen in ihre eigenen Produkte gehabt und unter Wert verkauft haben. Erst seit zwei, drei Jahren haben sie die Preise leicht erhöht, aber insgesamt viel zu spät und zu vorsichtig. Da die Verlage den Preis eines Buches bestimmen, halten sie den entscheidenden Hebel in der Hand, um dem Kostendruck etwas entgegenzusetzen: Sie haben die Verantwortung. Denn aus diesem einen Preis für ein Buch leiten sich für alle in der Verwertungskette die Erträge ab, im Zwischenbuchhandel wie im Buchhandel. 

 

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