Diskussion zur Zukunft der Europäischen Union

"Wir wollen eine Wertegemeinschaft"

22. März 2019
von Börsenblatt
Das Wort "Schicksalswahl" fiel mit Blick auf die im Mai anstehende Europawahl mehrfach in der mit Verve geführten Podiumsdiskussion "Welches Europa wollen wir?", die vom Börsenverein und der Allianz Kulturstiftung auf der Leipziger Buchmesse veranstaltet wurde.

Eigentlich sollte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) am Messedonnerstag mit auf dem Podium sitzen, aber sie musste aus terminlichen Gründen absagen. Ihren Platz nahm Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, ein. Er diskutierte mit der Politikerin Terry Reintke (MdEP, Die Grünen), der tschechischen Autorin, Journalistin und Übersetzerin Radka Denemarková sowie dem kaufmännischen Geschäftsführer von Rowohlt und Vizepräsidenten des europäischen Verlegerverbands (FEP) Peter Kraus vom Cleff über die Zukunft Europas. Moderiert wurde die Runde von Esra Küςük von der Allianz Kulturstiftung.

Zusammenhalt in Europa

Mit dem Brexit vor Augen sei der Zusammenhalt in Europa ein großes Thema, sagte Terry Reintke. Die EU sei nicht nur eine Wirtschaft- sondern auch eine Wertegemeinschaft, die für Freiheit und Menschenrechte stehe. Dies sollte zur Europawahl am 26. Mai klar vermittelt werden – damit die Wahlbeteiligung möglichst hoch sei. Auch, um dem aufkommenden Nationalismus etwas entgegenzusetzen. Eine "sehr laute Minderheit", so Reintke, habe sich hier in den Vordergrund gespielt. Sie sei bereit Debatten zu führen, aber es gebe Grenzen, Reintke nennt Antisemitismus und Rassismus: "Mit solchen Menschen diskutieren wir auf andere Weise." Enttäuscht zeigte sie sich wie Alexander Skipis, der es deutlich schärfer formulierte, dass die Europäische Volkspartei (EVP) die Mitgliedschaft der rechtsnationalen, ungarischen Fidesz-Partei lediglich suspendiert hat, es keinen Ausschluss gab. Peter Kraus vom Cleff wünschte sich später, frei nach Brecht, "ein Europa, wo sehr schnell nach dem Fressen die Moral kommt".

"Die Politik muss die Herzen der Menschen gewinnen"

Auch Alexander Skipis bekräftigte in Bezug auf die EU: "Wir wollen eine Wertegemeinschaft" − und weist auf Defizite hin: "Die Politik hat vergessen, die Herzen der Menschen für Europa zu gewinnen". Die europäische Politik könne nicht vermitteln, was sie tut. Frieden und Freiheit seien die großen Errungenschaften der Europäischen Union, insbesondere gegenüber autoritären Regimen sollte klare Kante gezeigt werden. Radka Denemarková, die die letzten Jahre in China ("Dort hat sich das Schlimmste von Kapitalismus und Kommunismus geküsst") verbracht hat, erklärte, dass sie von außen die Vorteile Europas deutlicher gesehen hat. Aber auch sie mahnte angesichts der Entwicklungen etwa in Polen und Ungarn, beispielsweise der Einschränkung der Pressefreiheit, wachsam zu bleiben. Hoffnung würden jedoch die Zivilgesellschaften in Osteuropa machen, die sich vehement gegen die Maßnahmen ihrer Regierungen wehren, ergänzte Reintke als Argument gegen ein einseitiges Schwarz-Weiß-Denken.

"Wir müssen etwas tun", die Demokratie verteidigen, so die einhellige Meinung des Podiums. Die Freiheit müssten sich die Bürgerinnen und Bürger selbst erarbeiten, die kulturelle Vielfalt des Kontinents dazu nutzen, erklärte Peter Kraus vom Cleff: "Lesen Sie verschiedene Stimmen", so sein Appell zur Meinungsbildung, "dazu sind Sie verpflichtet als Bürger". Der Rowohlt Verlag stehe dafür ein, dass es verschiedene Stimmen gibt. Skipis lobte als positives Beispiel für europäisches Engagement die "Pulse of Europe"-Initiative.

"Gehen Sie wählen"

Am Ende sollte das Podium ihr Wunscheuropa in 20 Jahren ausmalen. Terry Reintke wählte den Leitspruch der EU "Vielfalt in Einheit". Alexander Skipis wünschte sich, dass die EU viel mehr mit einer Stimme spricht. Dazu gehörten seiner Meinung nach mehr Rechte für das Parlament, weniger Rechte für die Länder und eine größere Außenwirkung. Radka Denemarková entwarf dementgegen ein Bild von vielen kleinen Häusern, die friedlich nebeneinander und miteinander leben. Kraus vom Cleff hofft auf eine Zivilgesellschaft, die sich mehr zutraut in 20 Jahren. "Wir sollten denen auf die Glocke geben", formulierte er salopp, "die Grenzen überschreiten." Sein abschließender Aufruf: "Gehen Sie wählen" − bei der Europawahl am 26. Mai.

mg