Interview mit Katharina Winter, Justiziarin von S. Fischer

"Autoren und Verleger treten für eine gemeinsame Sache ein"

26. Januar 2016
Redaktion Börsenblatt
In Berlin steht heute die geplante Reform des Urhebervertragsrechts auf dem Prüfstand – auf einer Tagung des Instituts für Europäisches Medienrecht, an der zahlreiche Inhalte-Produzenten und Interessenverbände teilnehmen, darunter auch der Börsenverein. Boersenblatt.net hat dazu Katharina Winter, seit Anfang Januar Justiziarin und Abteilungsleiterin Rechte und Lizenzen bei S. Fischer, befragt.

Ist die geplante Reform überhaupt notwendig?
Der Entwurf geht an der Realität der Buchverlage vorbei. Nicht nur aus rechtlichen Gründen. Die Schriftstellerin Nina George hat kürzlich in einem Vortrag an die deutschen Publikumsverleger die Beziehung zwischen Autor und Verlag mit einer Ehe verglichen und gesagt, 30 Prozent aller Autoren seien glücklich mit ihrem Verlag, ca. 40 Prozent sähen die Ehe als Zweckgemeinschaft, aber die restlichen seien unglücklich – und zwar nicht unbedingt aus vertragsrechtlichen Gründen. Es geht vor allem auch um Unterstützung, im Künstlerischen wie im Persönlichen. Da hilft die Reform herzlich wenig. Buchverlage sind nicht nur Vertragspartner der Autoren, sie sind auch deren Unterstützer.

Oder sind Autoren nicht heute schon stark genug, um mit Verlagen "auf Augenhöhe" (Heiko Maas) zu verhandeln?
Herr Maas meint nein. Quelle seiner Erkenntnis sind die Autorenverbände. Ungeachtet der nur sehr geringen Repräsentanz der Verbände übersieht Herr Maas aber Folgendes: Bei fast einem Drittel aller Abschlüsse mit deutschsprachigen Autoren werden die Konditionen und Vertragstexte von Literaturagenten vorgegeben. Damit liegt die Latte auch für die eigenen Verträge hoch: Die Verlage können Autoren, die direkt mit Ihnen verhandeln, nicht schlechter stellen. Sie müssen schon aus Konkurrenzgründen und im eigenen Interesse das Niveau halten. Fischer tut dies aus Überzeugung. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Vergütungsregeln für die Belletristik, bei Übersetzern wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angewendet. Und schließlich wird offenbar vergessen: Der einzelne Autor wird am Erfolg seines Buches beteiligt, das Risiko eines jeden Misserfolgs trägt der Verlag – und zwar für all seine Autoren.

Wenn der Entwurf zum neuen Urhebervertragsrecht Gesetz würde, müsste S. Fischer dann sämtliche Verträge mit Autoren und Übersetzern revidieren oder neu aushandeln? Oder gibt es einen Bestandsschutz für geschlossene Verträge?
Immerhin hat man soweit gedacht, "das Vertrauen der Vertragspartner in die Gültigkeit der bisherigen Abreden" nicht zusätzlich zu unterminieren. Die geplante Übergangsvorschrift sieht Bestandsschutz für alle bestehenden Verträge vor. Allerdings würde mit einem Inkrafttreten des Entwurfs die Grundlage für die seit 2005 bestehenden Gemeinsamen Vergütungsregeln wegfallen, Neuverhandlungen wären die Folge. Mit ungewissem Ausgang.

Vor allem die Möglichkeit des Rückrufs der Urheberrechte nach fünf Jahren sorgt in Verlagen – auch bei S. Fischer – für Unruhe. Ist das Szenario durch große Player wie Amazon abgeworbener Spitzenautoren nicht übertrieben?
Die 5-Jahres-Regelung sorgt weniger für Unruhe als für Unmut. Ich halte auch nichts davon, Amazon als Teufel an die Wand zu malen. Ich frage mich eher, wie lange es gut gehen kann, dass die Rahmenbedingungen für Buchverlage insgesamt systematisch verschlechtert werden (ich erinnere an die beängstigende Entwicklung auf europäischer Ebene, die Urteile des BGH zu § 52a und § 52b UrhG, die schwelende Diskussion über den Gebrauchtverkauf von E-Books oder die bevorstehende VG-Wort-Entscheidung des BGH). Dass Player wie Amazon davon profitieren könnten, liegt auf der Hand: Viele Anbieter umwerben auch erfolgreiche Autoren, ohne aber die klassischen Verlagsaufgaben wie Lektorat, Pressearbeit und Marketing als selbstverständliche Leistungen anzubieten. Mit der 5-Jahres-Regelung würde es möglich, Rechte abzugreifen, ohne die organisatorisch wie finanziell aufwendigen Leistungen zu erbringen, die man erbringen muss, wenn man sich Verlag nennen will. Verlag sein heißt, für Autoren etwas zu tun. Und dabei wären wir wieder bei Nina George.

Gibt es nicht auch (weniger prominente) Autoren, die von einer verkürzten Verwertungsfrist profitieren könnten?
Wer ohnehin unzufrieden ist, wird es als Gewinn empfinden, sich ohne Gespräche mit dem Verlag einseitig von Vertrag und Verlag lösen zu können. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Debüts oder eher unbekannte Autoren, gerade die literarischen, setzen sich häufig erst nach Jahren oder auch erst mit dem zweiten oder dritten Buch durch. Fünf "sichere" Jahre ab Ablieferung des Manuskripts sind gerade in diesen Fällen eine verdammt kurze Zeit für die gemeinsame Arbeit am Text, für die Aufbauarbeit in Presse, Handel und bei Lizenzpartnern. Und der Autor hat noch nicht einmal die Möglichkeit, sich vertraglich für eine längere Zeit zum Verlag zu bekennen, selbst wenn er es wollte. Er kann voll raus, aber eigentlich nicht mehr richtig rein.  
 
Der Aufschrei über die Reform fällt vor allem bei Buchverlagen besonders laut aus. Der Deutsche Journalistenverband hingegen begrüßt die Reform, weil sie beispielsweise freien Autoren mehr Rechte gewährt. Unterscheidet sich die Position des Buchautors so grundlegend von der eines freien Journalisten?
Ich glaube nicht, dass der Aufschrei gerade der Buchverlage besonders laut war – die gesamte Kreativwirtschaft hat ja unüberhörbar geschrien – er war vielleicht durch den offenen Brief von Autoren, Agenten und Verlegern nur besonders gut zu vernehmen. Weil der offene Brief gerade das dokumentierte, was der Reformentwurf in Abrede stellt, nämlich dass Autoren (ungeachtet ihrer Prominenz übrigens) und Verleger für eine gemeinsame Sache eintreten, die mehr als nur Verhandlungssache ist. Wie das "gefühlt" bei den freien Journalisten aussieht, weiß ich nicht. Ein prinzipieller Unterschied jedenfalls besteht in der Vergütungsstruktur: Beteiligungsprinzip und verrechenbare Garantiezahlung bei den Buchautoren, Pauschalvergütung und Zeilenhonorare bei den freien Journalisten.
 
Was bedeutet die Möglichkeit kollektiver Vereinbarungen mit Autoren für die (individuelle) Vertragsfreiheit? Überschreitet der Gesetzgeber nicht Grenzen?
Ob der Reformentwurf noch im Rahmen dessen liegt, was die Verfassung zulässt, ist Gegenstand eines Gutachtens, das von Börsenverein und anderen "Verwerter"-Verbänden in Auftrag gegeben worden ist und demnächst veröffentlicht werden wird. Davon abgesehen halte ich das Prinzip "Tarifvertrag" für ein dem Urhebervertragsrecht wesensfremdes, das schon 2002 als Fremdkörper ins Gesetz aufgenommen wurde und jetzt zwanghaft durchgesetzt werden soll. Das Urhebervertragsrecht basiert auf einer Beteiligung des Urhebers am Erfolg seines Werkes, der hinter kollektiven Vereinbarungen stehende Gedanke aber ist der einer gerechten Entlohnung im Sinne eines Arbeits- oder Werklohns.